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Warum ist noch kein Meister vom Himmel gefallen?

"Ich schaffe es manchmal erst im zweiten Anlauf", sagt Schachprofi Elisabeth Pähtz. Oder nach langen Nächten mit Wodka. Im Interview hat uns die 22-Jährige in die Geheimnisse der Schachwelt eingeweiht

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BYM.de: Denken Sie über Ihre nächsten Züge nach?

Elisabeth Pähtz: Na ja, bevor man eine Sache macht, sollte man sie schon überdenken. Wenn nur noch Könige und Bauern auf dem Spielfeld sind, berechne ich oft 15 oder 20 Züge im Voraus. In der Mittelphase des Spiels sind es eher fünf oder sechs.

BYM.de: Und im Leben?

Elisabeth Pähtz: Ich bin gerade umgezogen und möchte in meine neue Wohnung ein Wasserbett stellen. Meine Mitbewohnerin hat aber Angst, dass dann die Decke durchkracht. Ich dagegen suche den mathematischen Gegenbeweis: Nach der Norm von 1897 tragen Dielen 270 Kilogramm pro Quadratmeter. Das reicht locker.

BYM.de: Ich bin keine Schachspielerin...

Elisabeth Pähtz: ...ja, das sieht man.

BYM.de: Woran sehen Sie das?

Elisabeth Pähtz: Die Schachwelt hat mit der Außenwelt wenig zu tun. Ich bewege mich seit 17 Jahren darin und kenne die Mimik, die Gestik, die Blicke der Spieler. Viele sind introvertiert. Manche sind etwas schusselig.

BYM.de: Auch im Spiel?

Elisabeth Pähtz: Nein, da konzentrieren wir uns, das haben wir gelernt. Aber wenn wir Dinge in der Außenwelt erledigen müssen, sind wir eher unbeholfen. Möbel zu bestellen, das kriege ich einfach nicht richtig in den Griff. Andererseits habe ich ein phänomenales Gedächtnis: Alle Zahlen für den Visums- Antrag meines Freundes habe ich im Kopf.

BYM.de: Ihr Freund ist Georgier, dort in der Nationalmannschaft und gehört wie Sie zur Schach-Weltspitze. Geht das?

Elisabeth Pähtz: Warum nicht? Wir haben Wesentliches gemeinsam. Das ist sehr praktisch, es gibt kaum Streit. Ich muss nicht erklären, warum ich nun schon wieder zu so einem dummen Turnier fahre. Für viele andere ist Schach einfach nur ein ganz normales Brettspiel. Und keine eigene Welt für sich.

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BYM.de: Wir können die Turniere im Internet erleben. Überall auf der Welt verfolgen Leute online mit, wie Sie spielen.

Elisabeth Pähtz: Der ganz große Nachteil an der Internet-Übertragung ist, dass das Spiel dadurch manipuliert werden kann. Man braucht nur jemanden, der irgendwo draußen an einem Schachrechner sitzt, der dann die besten Züge ermittelt und die an den Spieler sendet - der hat einen versteckten Empfänger, winzig wie eine Erbse.

BYM.de: Schach-Doping: ein Mann im Ohr, der vorsagt?

Elisabeth Pähtz: Bei den Philadelphia World Open haben zwei Spieler überraschend Großmeister geschlagen. Die wurden kontrolliert. Man fand technisches Material. Sie wurden für zehn Jahre gesperrt.

BYM.de: Weiß die Schachgemeinde denn so genau, wie stark jemand ist?

Elisabeth Pähtz: Ja, es gibt Zahlen, die die Weltrangliste ausmachen: die so genannten Elo-Zahlen. Arpad Elo hat sich dieses komplizierte Ranking-System ausgedacht. Im Frauenbereich bewegen wir uns um 2500.

BYM.de: Stimmt es, dass Frauen im Schach ganz gut verdienen?

Elisabeth Pähtz: Nein. Das gilt nur für die russische Vizeweltmeisterin Alexandra Kosteniuk, Nummer sechs der Weltrangliste. Die hat ihr Äußeres vermarktet und damit tatsächlich sehr viel Geld gemacht.

BYM.de: Die sieht auch echt gut aus.

Elisabeth Pähtz: Auf Fotos kommt sie daher wie eine Prinzessin. Anreisende Fans sind manchmal enttäuscht. Aber im Schach ist sie top.

BYM.de: Sind die Männer im Schach hübsch?

Elisabeth Pähtz: Einige haben eine tolle Ausstrahlung. Aber keiner sieht auch nur in Ansätzen so gut aus wie Olivier Martinez, der Freund oder Ex-Freund von Kylie Minogue.

BYM.de: Und Ihr Freund?

Elisabeth Pähtz: Der hat eine typisch georgische Nase und ein besonderes freches Grinsen, und wenn er "Bitte" sagt, kann ich nicht "Nein" sagen. Aber Männer müssen im Schach nicht wirklich klasse aussehen. Sie verdienen auch so gut. Frauen dagegen nur dann, wenn sie ihren Körper mit ins Spiel bringen. Ich habe Glück: Das Zentrum Mikroelektronik Dresden sponsert mich seit fast zehn Jahren. Und seit Januar 2006 bin ich Sportsoldatin bei bei der Bundeswehr.

BYM.de: Sie mit der Waffe in der Hand?

Elisabeth Pähtz: Nein, ich bin hauptsächlich Sportlerin. Aber ich musste zur Grundausbildung und den Feind beschießen. Mich haben sie ganz nach vorn geschickt. Da habe ich meinen Leutnant gefragt: "Üben wir hier für den Ernstfall?" - "Ja", hat er gesagt. "Aber im Krieg würden Sie doch nicht die Schwächsten vorschicken. Eh ich in der Stellung ankomme, sind wir alle tot." Das wäre, als ob man beim Schach nur mit den Bauern losrückt. Schach ist ja auch ein Kriegsspiel.

BYM.de: Welche Züge kommen demnächst dran?

Elisabeth Pähtz: Mit 26, also in vier Jahren, habe ich ein Kind, das Grundstudium zur Grundschullehrerin abgeschlossen und einen Mann.

BYM.de: Wie geht eine Schachspielerin mit unerwarteten Dingen im Leben um?

Elisabeth Pähtz: Die nimmt sie ziemlich locker und spontan. Ab und zu wird sie ja auch auf dem Brett überrascht. Und manches kann ich ja steuern. Bei Frauen tritt nun mal in den 20ern das Kinderwunschdenken ein.

BYM.de: Das ist berechenbar?

Elisabeth Pähtz: Ja, in den letzten Jahren waren von den 50 weltbesten Frauen zehn schwanger.

BYM.de: Und haben weitergespielt?

Elisabeth Pähtz: Es heißt, dass schwangere Frauen manchmal utopisch stark spielen. Das kann damit zusammenhängen, dass die Glücksgefühle und die Vorfreude auf das Kind so stark sind. Die Europameisterin und die Weltmeisterin waren beide im dritten Monat schwanger, als sie die Titel errangen.

BYM.de: Schach und Familie sind vereinbar?

Elisabeth Pähtz: Die Nummer elf der Weltrangliste hat drei Kinder, eine andere hat sogar drei Kinder von drei verschiedenen Männern. Ich liebe das Spiel aber nicht so abgöttisch, ich könnte es auch an den Nagel hängen und nur noch ein bisschen Bundesliga spielen. Aber erst mal werde ich noch eine Weile an der Weltspitze spielen.

BYM.de: Ist es schwer, Weltmeisterin zu werden?

Elisabeth Pähtz: Ich habe es zweimal geschafft. Aber ich habe es auch dreimal versiebt. Manchmal schaffe ich vorher sogar die notwendige Qualifikation erst im zweiten Anlauf.

BYM.de: Warum ist noch kein Meister vom Himmel gefallen?

Elisabeth Pähtz: Nun, vielleicht weil niemand so universell gut sein kann, dass wir in ihm Gottes Eigenschaften sehen könnten. Weltrekorde werden aufgestellt und gebrochen, und auch der Meister, der quasi aus dem Nichts auftaucht, wird immer wieder von neuen, anderen Meistern getoppt.

BYM.de: Und im Schach?

Elisabeth Pähtz: Die Ungarin Judit Polgar ist seit Ewigkeiten die beste Schachspielerin der Welt. Aber jetzt steigt Yifan Hou, eine junge Chinesin, auf, von der viele sehr stark vermuten, dass sie sogar Judit Polgar übertreffen wird. Sie ist erst 13, aber sie hat jetzt schon Männer- Großmeister-Stärke.

BYM.de: Kennen Sie sie?

Elisabeth Pähtz: Nicht persönlich. Aber bei der nächsten Schach-Olympiade 2008 in Dresden spiele ich für Deutschland an Brett eins - und sie wohl für China.

BYM.de: Das wird dann hart?

Elisabeth Pähtz: Die Chinesen sind Frauen-Schachland Nummer eins. Und haben da mit Yifan Hou eine kleine Maschine produziert. Ich bin ganz froh, dass ich im Gegensatz dazu eine normale Kindheit hatte - auch wenn ich die Schule nicht so toll fand.

BYM.de: Wie ist es auf einem Turnier?

Elisabeth Pähtz: Man spielt tagsüber seine Partien und sieht sich abends in lockerer Atmosphäre...

BYM.de: ...und muss um zehn ins Bett, um am nächsten Morgen wieder fit zu sein?

Elisabeth Pähtz: Na ja. Das hängt von der Kondition ab. Ich habe auch schon bis morgens um vier mit den Schach-Mädels Wodka getrunken - in Maßen natürlich, aber wir hatten Spaß - und habe am nächsten Tag dann so gut gespielt wie selten. Für die Goldmedaille hat es jedenfalls gereicht.

BYM.de: Spielen Sie auch gegen Ihren Freund?

Elisabeth Pähtz: Ja, neulich bei einem Schnellschachturnier zum Beispiel. Einer von uns musste gewinnen, sonst hätte jemand anderes das Preisgeld bekommen. Und ich habe gewonnen. Später war er ziemlich angekratzt.

BYM.de: Da gelingt es, sich zu konzentrieren? Und nicht zu denken: Oh, ist der süß!

Elisabeth Pähtz: Wenn gar nichts mehr hilft, stelle ich mir vor, dass mir gegenüber eine Kuh sitzt.

Fotos Valeria Brekenkamp

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