Michèle Rothenberg ärgerte sich über die Reaktionen auf den Tod Bin Ladens
Die Nachricht kam überraschend. Irgendwie hatte ich nicht mehr damit gerechnet, dass Osama bin Laden je wieder auftauchen würde. Der Mann war so lange verschollen, dass seine Existenz etwas Surreales bekam. Er wirkte auf mich wie ein böser Geist, nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Doch am Ende war es Blut, was von ihm übrig blieb. Am 2. Mai 2011 erschoss eine US-Spezialeinheit den meistgesuchten Mann der Welt in Pakistan. Meine erste Reaktion? Bestürzung. Nicht, weil ich Mitleid mit ihm hatte. Ich war enttäuscht, dass die Chance verpasst worden war, diesen Verbrecher vor ein Gericht zu stellen. Ich wollte, dass man auf Osama bin Laden das ganze Arsenal unserer Rechtstaatlichkeit abfeuerte. Stattdessen wählte man die rohe Rache. Das Schlimmste aber waren die Reaktionen der westlichen Politiker. Das Bild aus dem "Situation Room", auf dem Barack Obama und sein Kabinett die Hinrichtung Bin Ladens live verfolgen, lässt mich heute noch schaudern. Wie kann man sich mit einer solchen Härte den Tod eines Menschen ansehen, auch wenn dieser ein grausamer Mörder war? Ich war geradezu froh, dass wenigstens Hilary Clinton eine menschliche Regung zeigte. Die sie kurz darauf leider schon bereute. Und Angela Merkel? "Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten", sagte unsere Bundeskanzlerin öffentlich vor der Presse. Lächelnd. Ich habe mich selten so geschämt für unsere Regierung.