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Leben ohne Strom - wie geht das?

Strom, Gas und Benzin werden immer teurer. Die Verbraucher schimpfen, die Politiker streiten über den Ausstieg aus der Atomenergie. Ulla Todt und Conrad Marlow sind die einzigen Bewohner der Ostseeinsel Ruden. Dort kommt seit knapp zwei Jahren kein Strom mehr aus der Steckdose. Es geht auch ohne, sagt Marlow im Interview mit BRIGITTE.de.

BRIGITTE.de: Wie ist das, wenn jemand anruft und sagt: Nächste Woche ist der Strom weg.

Conrad Marlow: Es hat niemand angerufen. Der Strom war eines Tages einfach weg.

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BRIGITTE.de: Sie wurden nicht informiert?

Conrad Marlow: So was kommt vor. Wir haben gedacht: O Gott, was ist denn nu los? Alles, was wir in der Tiefkühltruhe hatten, konnten wir wegschmeißen.

BRIGITTE.de: Wie haben Sie reagiert?

Conrad Marlow: Wir mussten mit der Entscheidung leben. Als wir vor fünf Jahren hergezogen sind, wurden wir vom Wasser- und Schifffahrtsamt mit Strom versorgt. Die haben mit Generatoren die Leuchtfeuer um die Insel angetrieben. Im November 2006 hat das Amt auf LED-Technik umgestellt und die Generatoren abgeschaltet. Da war es dann aus. Jetzt haben wir einen kleinen Diesel-Generator hier. Wenn wir den anschmeißen, haben wir ja Strom. Das reicht aber nur für ein paar Stunden.

BRIGITTE.de: Haben Sie je daran gedacht, umzuziehen?

Conrad Marlow: Nein. Eigentlich braucht man zum Leben kaum Strom. Wenn wir abends heimkommen, machen wir den Generator an, gucken Nachrichten oder mal einen Film, dann sind wir damit auch schon durch. Gekocht wird auf einem kleinen Gasherd.

BRIGITTE.de: Was denken Sie, wenn Sie in den Nachrichten von der Preisexplosion bei Strom, Gas und Benzin hören?

Conrad Marlow: Das ist ein Fass ohne Boden. Für Normalsterbliche ist das gar nicht mehr zu bezahlen. Wenn ich die Politiker höre, die ihre Seifenblasen dazu raushauen, kann ich oft gar nicht mehr zuhören. Was die alles faseln. Und immer nach dem Motto: Da verarschen wir mal das kleine Volk.

BRIGITTE.de: Sie könnten doch eigentlich ganz gelassen sein.

Conrad Marlow: Ich bin weit weg von dem Ganzen, das stimmt. Ich ärger mich aber trotzdem. Wenn ich einen Fischer sehe, der nicht mehr rausfahren kann, weil der Dieselpreis hochgeht und er für den Fisch nichts mehr kriegt, dann betrifft einen das natürlich.

BRIGITTE.de: Und für Ihren Generator brauchen Sie ja auch Diesel.

Conrad Marlow: Ja, insofern bin ich auch persönlich betroffen. Und das Gas für unseren Herd kostet heute auch mehr als früher. Als wir herzogen, waren es 13 Euro pro Flasche, letzte Woche habe ich 18 Euro bezahlt. Aber wir wollen uns hier mal nicht beschweren.

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BRIGITTE.de: Wem ist es schwerer gefallen, ohne Strom zu leben: Ihnen oder Ihrer Frau?

Conrad Marlow: Generell haben Frauen mit Sachen, die in den Annehmlichkeitsbereich fallen, ja mehr Schwierigkeiten.

BRIGITTE.de: Zum Beispiel?

Conrad Marlow: Wir haben keine Waschmaschine mehr. Also geben wir unsere Wäsche auf dem Festland im Waschsalon ab und holen sie frisch gebügelt wieder ab. Ich finde das wunderbar. Meine Frau musste sich erst daran gewöhnen. Frauen machen so was lieber selbst.

BRIGITTE.de: Gab es nicht viel härtere Umstellungen? Sie können zum Beispiel nicht heiß duschen.

Conrad Marlow: Richtig. Wir duschen kalt. Im Sommer baden wir im Meer. Zurzeit hat das Wasser 18 Grad.

BRIGITTE.de: Und daran kann man sich gewöhnen?

Conrad Marlow: Ja, bei mir ging das schnell. Bei meiner Frau hat es ein bisschen länger gedauert. Mittlerweile ist sie aber härter als ich. Die springt schon im Mai bei 13 Grad ins Wasser.

BRIGITTE.de: Was machen Sie im Winter?

Conrad Marlow: Da kochen wir Wasser auf dem Herd und kippen es in die Badewanne.

BRIGITTE.de: Vermissen Sie nicht trotzdem manchmal eine heiße Dusche?

Conrad Marlow: Ja, aber ich verfalle deswegen nicht in Depressionen. Natürlich haben wir Einschränkungen hier. Aber man muss das aufwiegen. Unsere Lebensqualität ist viel höher als die von jemandem, der in der Stadt hin- und herhetzt.

BRIGITTE.de: Waren Sie so ein gestresster Großstadtmensch, bevor Sie auf den Ruden gezogen sind?

Conrad Marlow: Der Stress hatte es sogar soweit geschafft, dass ich fast den Löffel abgegeben hätte. Ich hatte in der Nähe von Rostock eine große Gaststätte und war Leiter einer Jugendbildungseinrichtung. Da hieß es: Schaffe, schaffe, schaffe. Das war zu viel. Ich hatte einen Magendurchbruch. Nachdem ich den überlebt hatte, dachte ich: Das kann doch noch nicht alles gewesen sein. Also haben wir uns entschieden, einen neuen Lebensabschnitt anzufangen und sind auf den Ruden gezogen. Hier haben wir Ruhe und eine sinnvolle Aufgabe als Hafenmeister und Naturschutzwart. Dass wir mal ohne Strom aus der Dose leben würden, wussten wir damals aber nicht.

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BRIGITTE.de: Und nun sind Sie auch ohne Strom glücklich auf dem Ruden.

Conrad Marlow: Manche fahren im Urlaub an die See und sagen: Ach wie schön. Wir haben den Strand direkt vor der Haustür. Wenn man sich einlassen kann auf die Natur, ist das hier gar nicht zu toppen.

BRIGITTE.de: Im Sommer kommen Tausende Besucher auf den Ruden. Was sagen die dazu, dass Sie ohne Strom leben?

Conrad Marlow: Die meisten kriegen dicke Backen und sagen "Oh Gott". Viele finden es schlimm, weil sie denken, wir könnten kein Fernsehen gucken. Was ja nicht stimmt. Aber nicht von morgens bis abends vor dem Fernseher sitzen zu können, ist anscheinend für viele Leute ein Problem.

BRIGITTE.de: Ihre drei Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Könnten die sich eigentlich vorstellen, ohne Strom zu leben?

Conrad Marlow: Sicher nicht. Die haben auch verkündet, dass wir Alten bescheuert sind.

BRIGITTE.de: Was haben Sie gelernt dadurch, dass Sie keinen Strom mehr haben?

Conrad Marlow: Wir haben den Wert der Energie kennen gelernt. Alles in die Steckdose zu stecken, ist einfach. Wenn das nicht geht, denkt man mehr darüber nach, wofür man die Energie nimmt.

BRIGITTE.de: Wenn Sie zum Beispiel im Bett noch ein bisschen lesen wollen, denken Sie dann: Ach, das lohnt sich nicht, dafür noch Strom zu verbrauchen?

Conrad Marlow: Ich bin in dem herrlichen Alter, wo man abends müde ist. Wir sind den ganzen Tag auf den Beinen. Da guckt man abends noch ein bisschen Fernsehen. Und dann geht das Licht aus.

BRIGITTE.de: Sie haben keinen Kühlschrank. Wie lagern Sie Ihre Lebensmittel?

Conrad Marlow: Im Sommer fahren wir unsere Bestände ziemlich runter. Es kommen täglich Schiffe her. Die bringen unsere Einkäufe mit. Wenn wir morgens sagen "Bring uns mal zwei Koteletts mit", dann sind die mittags da. Bevor der Winter kommt, lagern wir den Keller voll, so dass es für drei Monate reicht. Mit Wurstkonserven, Fleischkonserven, Obstkonserven und allem, was sich lange hält. Denn wenn hier richtig Winter ist, dann kommt kein Schiff zu uns durch.

BRIGITTE.de: Waren Sie denn schon mal von der Außenwelt abgeschnitten?

Conrad Marlow: Ja, 2006. Da war alles komplett zugeeist. Aber das war nicht so schlimm. Wir kaufen jetzt so ein, dass wir durchkommen.

BRIGITTE.de: Wünschen Sie sich im Sommer nicht manchmal ein eiskaltes Bier aus dem Kühlschrank?

Conrad Marlow: Damit kann man uns nicht reizen.

BRIGITTE.de: Und mit einem Eis aus dem Gefrierfach?

Conrad Marlow: Damit schon eher. Aber wenn wir Lust auf ein Eis haben, gehen wir zum Hafen und kaufen eins bei den Schiffen.

BRIGITTE.de: Wundern Sie sich manchmal, wie viel Energie die Menschen verschwenden?

Conrad Marlow: Das haben wir früher auch schon gemerkt. Die Leute, die Geld haben, machen sich ja gar keinen Kopf. Die verschwenden die Energie ohne Ende.

BRIGITTE.de: Haben Sie ein paar Tipps zum Strom sparen?

Conrad Marlow: Nein. Die Leute, die kein Geld haben, verschwenden keine Energie. Das können die ja gar nicht bezahlen. Deshalb kann man denen jetzt nicht sagen, dass sie weniger Auto fahren sollen. Das ist für mich am Thema vorbei. Es sind große Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Welche Energieform wollen wir überhaupt haben? Diese Entscheidung muss die Politik treffen.

BRIGITTE.de: Zur Zeit wird viel über die Energieversorgung diskutiert. Was sagen Sie zu der Debatte über verlängerte Laufzeiten für Atomkraftwerke?

Conrad Marlow: Wir hatten hier mal ein Atomkraftwerk. Alle haben geschrien: Das Atomkraftwerk muss weg. Nun ist es weg. Jetzt heißt es: Wir bauen ein Kohlekraftwerk. Da schreien die nächsten. Das verstehe ich nicht. Will man nun Strom oder nicht? Ich bin da pragmatisch. Wenn hier ein neues Kohlekraftwerk hinkommen soll, das dreimal weniger Schadstoffe ausstößt als die alten Kraftwerke, dann entscheide ich mich für das kleinere Übel und nehme das schadstoffarme Kraftwerk. Aber es wird immer erstmal Nein geschrien. Wir können natürlich auch alles dicht machen. Dann wären wir hier die Vorreiter und könnten allen zeigen, wie man ohne Strom lebt.

BRIGITTE.de: Eigentlich sollte jeder einmal bei Ihnen vorbeikommen, um den richtigen Umgang mit Strom zu lernen, oder?

Conrad Marlow: Na, ich hoffe nicht. Wir sind Menschen, die Ruhe lieben.

BRIGITTE.de: Angenommen, es würde bald wieder Strom auf dem Ruden geben, würden Sie sich eigentlich freuen? Oder wollen Sie gar keinen Strom aus der Steckdose mehr?

Conrad Marlow: Wir sind ja nicht bedeppert. Natürlich würden wir den gerne nehmen.

Interview: Nicola Meier Fotos: Jelka/Photocase.com, privat

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