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Agnetha Fältskog: "Diesmal behalte ich die Kontrolle"

Agnetha Fältskog
Agnetha Fältskog
© Christopher Hunt
Sie war ein Superstar, und sie ist daran beinahe zerbrochen. Eine Begegnung mit Agnetha Fältskog, 31 Jahre nach Abba.

Die Sängerin Agnetha Fältskog, 63, tritt nach 25 Jahren, in denen sie sich vor einer Welt versteckte, die sie mit einer für sie unerträglichen Maßlosigkeit verehrte, durch eine Seitentür zurück ins Rampenlicht. In der Suite 490 des Stockholmer "Grand Hôtel" hat der Fotograf sein Licht aufgebaut, eine Journalistin wartet, zwei PR-Frauen von der Plattenfirma geben ihr schnell ein paar Informationen, ihre Stylistin zupft an ihrer Bluse. Es ist das ganze Setting ihres alten Lebens, Hotel, Promotion, Interviews. Agnetha lächelt. Die Augen, wasserblau wie früher, von Falten umgeben, lächeln nicht mit. Sie hat eine Entscheidung getroffen, sie zieht das hier durch. Diesmal behält sie die Kontrolle.

Sie muss das schaffen, sie hat keine Wahl. Sie hat wieder eine Platte gemacht. 31 Jahre nach Abba, ein viertel Jahrhundert nach dem Ende ihrer Solo-Karriere. Seither hat sie auf einer abgelegenen Insel westlich von Stockholm gelebt, in einem mit hohen Zäunen gesicherten Anwesen, das sie 1984 gekauft hatte, um sich und ihre beiden Kinder "in Sicherheit zu bringen", wie sie damals sagte. Sie wollte Ruhe, und dann fand sie aus dieser Ruhe nicht mehr heraus.

Und nun, in der Suite 490, wenige Wochen, bevor ihr neues Album erscheint, nimmt Agnetha Platz auf dem grauen Sofa, und durch das Fenster fallen die ersten Sonnenstrahlen des schwedischen Frühlings. Man sitzt einer älteren, zurückhaltenden Frau gegenüber, die sorgfältig zurechtgemacht ist für diesen Tag, schwarze hohe Ankleboots, enge schwarze Hose, weiße Hemdbluse, Lederjacke, ein bisschen zu schick, zu opportun, sicher nicht ihr eigentlicher Stil. Man schaut in ein Gesicht, in das das Leben unterschiedlichste Gefühlslagen hineingeschrieben hat, nicht nur die guten Zeiten, und eigentlich stellt sich nur eine einzige Frage, weil sich aus ihr alle anderen Fragen ableiten: Warum?

Warum kehrt eine Frau, die der Öffentlichkeit misstraut; die wegen ihrer Angstattacken nicht fliegen kann, nicht reisen; die noch heute Albträume hat von Menschenmassen, Fans, die sie auf ihren Auslandstourneen erdrücken wollen; die 13 Jahre nach Abba nicht sang, nicht mal Musik hörte, keine Musik, weil sie leergesungen war; warum also kehrt Agnetha Fältskog zurück? Es geht nicht um Geld, sagt sie bestimmt, "ich kann gut von den Platten und den Tantiemen leben". Sie lächelt. Vor 13 Jahren war sie es, die das Angebot eines Geschäftsmannes ablehnte, der eine Millliarde Dollar für eine AbbaReunion bezahlen wollte. Sie sagt: "Ich mache die CD wirklich nur aus Spaß."

Sie wollte singen, das war ihr Antrieb, nur das, es soll kein Comeback sein, sie hat es nicht geplant. "Singen ist mein Leben", sagt sie, sie sagt manchmal Sätze, die sehr einfach klingen und die sie wie einen Puffer zwischen ihreAntwort und die tiefereWahrheit dahinter schiebt. Sie wollte singen, es ist ihr Beruf, ihr einziger, sie ist mit 15 von der Schule gegangen. Und da waren diese beiden Produzenten, Jörgen Elofsson und Peter Nordahl - Elofsson hat mit Britney Spears und Kelly Clarkson gearbeitet -, und die ließen sie über eine gemeinsame Bekannte wissen, dass sie zwei Songs für sie geschrieben hätten. "Ich habe nicht nach jemandem gesucht, der mit mir eine Platte machen wollte", sagt Agnetha. "Mich überzeugten diese beiden Männer, die sich bei mir gemeldet haben. Ich sagte: Oh, okay, ich habe keine Türen geschlossen, ich kann's mir ja mal anhören. Sie kamen und spielten mir die Songs vor, und es fühlte sich an wie: Das musst du machen."

Ich habe nicht nach jemandem gesucht, der mit mir eine Platte machen wollte

Sie hat ihre Tochter Linda gefragt, sie ist Schauspielerin und auch Sängerin, sie leben zusammen auf der Insel. Linda sagte: Überleg dir genau, ob du das alles noch mal willst. "Ich weiß natürlich alles über das Karussell, in das ich wieder gehe", sagt Agnetha. Und dann, sehr forsch: "Aber ich kann es in den Griff kriegen." Wie? "Indem wir es so machen, dass ich - wie soll ich sagen - nicht zu müde werde."

Ein einziges Mal war sie nach dem Ende ihrer Solokarriere musikalisch in Erscheinung getreten, 2004, mit einem nostalgischen Album, für das sie die Songs ihrer Jugend aufnahm: Petula Clark, Connie Francis. 54 war sie da. Damals sagte sie kurzfristig alle Interviews ab, und erst, wohl auf Druck der Plattenfirma, einen Monat nach Erscheinen von "My Colouring Book" gab sie doch noch ein paar, in denen sie eigentlich nichts sagte. Die Platte war in Schweden ein kleiner Erfolg, "ich dachte damals, es wäre wohl meine letzte. Aber dann", sagt sie, "kam diese Gelegenheit".

18 Monate haben sie an der neuen Platte gearbeitet, von Januar bis Oktober 2012 war sie im Studio, das war der schönste Teil. Aber sie hatte jahrelang nicht mehr gesungen, "anfangs hatte ich Probleme", sagt sie, zeigt auf ihr Zwerchfell, "ich weiß genau, wie man singt, aber ich brauchte einige Zeit, um mich zu erinnern, wie man atmet und woher man die Kraft aus dem Bauch nimmt. Ich habe ein paar Gesangsstunden genommen, drei oder vier, dann war es wieder da, ich musste mich nur räuspern und sang los". "A" heißt die Platte, wie das A aus Abba, so, als wolle sie sich herauslösen aus der Legende, ihren Anteil für sich beanspruchen. Es sind gute Songs dabei, Pop und Balladen, zwei, drei Stücke bleiben im Kopf, manches klingt nach Abba - der Sound, Agnethas immer noch helle, erstaunlich junge Stimme.

Ihre Tochter warnte: Willst du den Rummel wirklich wieder?

Manchmal wirken Alben früherer Stars peinlich, dieses ist es nicht, aber es ist auch nicht sehr persönlich. Man lernt nichts über Agnetha dazu, außer dass sie noch immer eine gute Sängerin ist. Das Stück, das am meisten wie Abba klingt, ist ihre erste Single; auch wenn andere Songs besser sind, aber über so was entscheidet die Plattenfirma. Ihr war wichtig, erwachsen zu klingen, "es wäre dumm, wenn ich versuchen würde, etwas zu sein, was ich nicht mehr bin".

Agnetha Fältskog: "Diesmal behalte ich die Kontrolle"
© Christopher Hunt

Aber Pop ist jung, dieser Widerspruch bleibt, auch beim Duett mit Take-ThatSänger Gary Barlow, das die Techniker im Studio zusammengefügt haben. Sie war in Urlaub, sagt Agnetha, als Gary im Studio war, sie haben sich verpasst, und dass sie gemeinsam auftreten, ist nicht geplant, so wie es erst mal auch nicht geplant ist, dass Agnetha überhaupt live singt. "Ich weiß, dass das alles dazugehört, du kannst nicht nur ins Studio gehen und dann denken, der Rest passiert von allein. Aber ich kriege Probleme, wenn es zu viel wird. Zu viele Reisen, Auftritte, das kann ich nicht mehr machen. Mir fehlt die Kraft."

Es ist viel herumgedeutet worden an den Gründen für Agnethas Rückzug; was die Öffentlichkeit Ende der 80er als legitime Auszeit eines Superstars sah, galt irgendwann als verschroben. Alkohol, Depressionen, mutmaßten die Medien, nannten sie die "Garbo", eine lichtscheue Diva, die mit ihrem Abtauchen selbstgefällig die eigene Legende nährt. Agnetha schwieg zu all dem, blieb verschwunden, auch als die Abba-Songs in den 90ern ein Revival erlebten und Benny und Björn, ihr ExMann, Erfolgs-Musicals wie "Mamma Mia" auf die Beine stellten. In einem der besten Filme über Abba, der BBCDokumentation "The Winner Takes It All", kommen alle vier noch einmal zu Wort, nur Agnetha meldet sich ohne Bild von ihrer einsamen Insel.

Auch über die Männer in ihrem Leben wurde viel gemutmaßt. Sie war nach der Trennung von Björn Ulvaeus 1978 mit einem Hockeystar zusammen, einem Designer, einem Detektiv, der ihre Kinder vor Entführungen schützen sollte. 1990 heiratete sie einen Arzt, die Ehe dauerte nur drei Jahre. 1997 begann ihre seltsame Liaison mit einem Niederländer, der sie über Jahre gestalkt und sich sogar ein Haus auf ihrer Insel gekauft hatte. Agnetha ging schließlich mit ihm eine Beziehung ein, nach zwei Jahren machte sie Schluss, er ignorierte die Trennung. Sie musste ihn anzeigen, er wurde für zwei Jahre des Landes verwiesen, dann reiste er wieder ein, stand wieder da. Die Zeitungen meldeten, Agnetha habe danach ein noch besser gesichertes Haus noch tiefer im Wald gebaut. Fragen kann man sie danach nicht, das ist die Bedingung für dieses Interview. Ob sie derzeit mit jemandem lebt? "Oh nein", sagt Agnetha und hebt den Zeigefinger, "das ist ein Geheimnis."

Die neue Platte soll ihr Privatleben nicht beschädigen, "ich will immer noch zurückgezogen leben, aber im Einklang mit dieser Platte. Ich versuche, die Arbeit in meinem Tempo zu machen". Ihr Tempo, das ist ihr Leben, das sie "bodenständig" nennt, "verwurzelt". Es sind die täglichen Spaziergänge mit ihrer zweijährigen Mopsdame und dem kleinen Pinscher Bruno. Sie geht dann zu den Ställen, ihre Tochter Linda züchtet Pferde. Sie hat keine Charity-Projekte, keinen großen Freundeskreis, sie nennt sich selbst Einzelgängerin, ihre Enkel stehen im Mittelpunkt. Manchmal singt sie mit ihnen, "ich versuche auch, ihnen Klavierspielen beizubringen, aber sie sind noch so klein, sie sind lieber bei den Pferden".

Ich träume noch häufig davon, von uns.

Mit fünf hat Agnetha zum ersten Mal vor Publikum gesungen, bei der Weihnachtsfeier eines Angel-Clubs, ihr Vater, Geschäftsführer eines Kaufhauses, schrieb in seiner Freizeit kleine Revuen, und sie trat mit ihm auf. Mit sieben lernte sie Klavierspielen, mit 14 war sie so gut, dass ihr Klavierlehrer den Job quittierte. Mit 15 jobbte sie in der Telefonzentrale einer Autofirma, mit 16 tourte sie mit einer bekannten Band durch Schweden, mit 17 nahm sie ihre ersten selbst komponierten Songs auf, mit 18 hatte sie ihren ersten Nummer-eins-Hit. Mit 19 verliebte sie sich in den Musiker Björn Ulvaeus, auf einer Geburtstagsfeier trafen die beiden Frida und Benny, sie machten zusammen Musik. 1974 dann: "Waterloo".

Die Karriere überschlug sich, fast 400 Millionen verkaufte Platten. Das Ende der Ehe mit Björn; ihre Schüchternheit, am liebsten verließ sie die Konzerthallen durch die Hintertür; das zunehmende Leiden am Tour-Stress, dem Fliegen; die Sehnsucht nach einer heilen, ruhigen Umgebung für ihre Kinder, Geborgenheit. Ob es heute einen Tag gibt, an dem sie nicht an Abba denkt? "Es gibt ein paar", sagt sie, "aber ich trage das in mir, mit mir herum, immer. Und ich träume noch häufig davon, von uns. Ich verstehe oft nicht, was ich da träume und warum, aber es ist immer noch da." Sie sei stolz auf das, was sie erreicht haben, sagt sie, "dass wir so viel Einfluss auf die Menschen hatten", und erzählt von einem kleinen Mädchen, "sie konnte noch nicht sprechen, aber das Erste, was sie sagte, war ,r' aus ,Ring, Ring'."

Aber andererseits: "Ich war Teil dieser Gruppe - das war so groß. Ich werde nie vergessen, wie wir in Australien waren, in England und anderen Ländern. Es war enorm. Und dann leidest du ein bisschen, es nimmt dir viel Kraft, auch wenn du gleichzeitig viel bekommst."

Es ist eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Warum: das Gefühl, dass es nicht zu Ende ist, weil Abba nie aufhört. Offiziell hat sich die Gruppe nie getrennt, noch immer erscheinen neue Best-of-Alben, die sich millionenfach verkaufen, laufen die Songs im Radio, gilt der Abba-Sound als unkopierbar. Wenn all das nie endet, dann will man dem irgendwann etwas entgegensetzen, mit seiner eigenen Stimme. Zeigen, dass da noch jemand ist, mit einem eigenen musikalischen Leben.

Für die neue Platte wollte sie wenigstens einen Song schreiben, "ich war nicht sicher, ob ich es noch kann, aber ich wusste, ich habe es in mir. Ich habe Tage gebraucht, aufgehört, es anders angegangen. Ich habe den Song in einer Fantasiesprache geschrieben, ein bisschen französisch, aber nicht richtig. Als ich ihn den Produzenten vorgespielt habe, habe ich gesagt: Achtet nicht auf die Wörter, nur auf die Melodie". Es ist das letzte Lied auf dem Album, es heißt "I Keep Them On The Floor Beside My Bed", es bricht aus dem Duktus des Albums heraus, weil es ein wenig nach Folk klingt, melancholisch, nach den Songs, die Agnetha früher schrieb.

"Ich trage Abba in mir, ich kann es nicht abstreifen"

Die Melancholie gehört zu ihrer Familie. Ihre Mutter, eine Hausfrau, war sehr introvertiert, sie litt unter der späteren Alkoholsucht des Vaters. Agnetha hat nie über den Tod ihrer Eltern Anfang der 90er geredet, selbst dem Abba-Biografen Carl Magnus Palm verschwieg sie, dass ihre Mutter sich umgebracht hat. Im Jahr 2000 kam es dennoch heraus. Sie war aus dem sechsten Stock gesprungen, der Vater starb zwei Jahre darauf. Die Traurigkeit, mit der Agnetha immer zu kämpfen hatte, hat viel damit zu tun.

"Es gab Jahre, in denen ich mich nicht so gut gefühlt habe", sagt sie, "das war nach dem Tod meiner Eltern. Da ging es mir sehr schlecht. Ich will darüber nicht viel reden, man muss da durch. Es beeinflusst dich, du vermisst sie, sie sind so sehr ein Teil deines Lebens. Nach ihrem Tod war ich sehr, sehr traurig und wollte ein ruhiges Leben und versuchen, damit klarzukommen." Hat sie das abgeschlossen? "Es ist wie mit Abba, du trägst es mit dir, es ist nichts, das du abstreifen könntest." Sie sei jetzt glücklicher als vor 20 Jahren, auch wenn "Älterwerden nicht sehr lustig ist, aber du musst es akzeptieren. Ich versuche, das Beste daraus zu machen. Ich achte auf mich, ich bin froh, dass es mir gutgeht, dass ich gesund bin. Ich bin dankbar für vieles, meine Kinder, meine Enkel".

Es gab Jahre, in denen ich mich nicht so gut gefühlt habe

Vielleicht kann man, wenn man ein Superstar war, nie mehr ganz zurück. Diese Platte ist Agnethas letzte Chance, ihrem offiziellen Bild ein eigenes hinzuzufügen. Sie haben Benny die Songs vorgespielt, als die Gesangsaufnahmen fertig waren, "er mochte es sehr", sagt sie. "Björn hat es noch nicht gehört, Frida auch nicht. Aber ich weiß, dass sie darüber Bescheid wissen."

Nach Abba hat Agnetha gesagt: "Ich bin gern ein kleiner Star, aber ich mag kein großer Star sein." Es stimmt noch immer, sagt sie. "Ich bin dankbar, dass ich singen kann, dass es den Leuten viel bedeutet." Ein einfacher Satz. Nicht mehr. Nur singen.

Agnetha Fältskog: "Diesmal behalte ich die Kontrolle"
© Christopher Hunt

Meike Dinklage, 47, hat Agnetha verschwiegen, dass sie selbst als Teenager ein großer Abba-Fan war: Sie hatte mehr als 100 Abba-Poster plus "Bravo"-Starschnitt an ihren Zimmerwänden - damals allerdings war Frida ihre Lieblingssängerin.

Text: Meike Dinklage BRIGITTE 10/2013

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