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WM-Fieber: Nach dem Abpfiff folgt die Leere

Sie fiebert und leidet bei jedem WM-Spiel begeistert mit - aber wenn es vorbei ist, spürt Meike Dinklage die Leere nach dem Abpfiff.

Wenn WM ist, gucke ich. Häppchen, Bier, das ganze Programm. Ich bin keine große Fußballkennerin, aber ich mag diese Aufregung, die sich in mir und im ganzen Land aufbaut, wenn es die deutsche Mannschaft von einer Runde zur nächsten schafft. Ich bin meistens für die Deutschen, weil mir die Namen der Spieler was sagen; aus politischen Gründen für die Elfenbeinküste zu sein leuchtet mir ein, macht aber einsam.

"Der Abpfiff ist eine Art akustische Ohrfeige, die mich auf den Boden zurückholt."

Wenn ich die Spiele schaue, entwickle ich eine merkwürdige Form von Empathie. Ich glaube zum Beispiel, dass, wenn ich in die Küche zum Kühlschrank gehe oder nebenbei kurz was bei Google nachschaue und genau in dem Moment ein Gegentor fällt, ich schuld bin. Weil ich die Mannschaft emotional losgelassen habe. Manchmal denke ich auch, ich habe ein Spiel beeinflusst, weil ich ab der 75. Minute gedacht habe, das wird nichts mehr, und dann hat sich meine Prophezeiung selbst erfüllt, und das ganze deutsche Team muss es ausbaden. Ich weiß, das ist alles Blödsinn, aber so funktioniert nun mal Fußball, und deshalb schaue ich die Spiele: Alles ist eins, alles eine riesige Emo-Wolke; weinende Männer, hupende Autos, Hoffnung und Verderben, Triumph und Untergang, Rausch und Sieg, die großen Gefühle, entfesselt und bedient in 90 Minuten.

Aber dann der Abpfiff. Der Abpfiff ist eine Art akustische Ohrfeige, die mich auf den Boden zurückholt. Mir wird schlagartig klar, dass das Ergebnis eines Fußballspiels nicht das Geringste mit meinem Leben zu tun hat. Es zahlt nicht meine Miete, es schenkt mir keinen Sonderurlaub, es ändert nichts am Zustand der Welt. Ich weiß, dass, wenn der Schiedsrichter die Pfeife zum Mund hebt, es nun vorbei ist mit der Aufregung und mein ganz gewöhnliches Leben wieder seinen Lauf nimmt. Ich räume den Häppchenteller ab, verabschiede die Freunde, die mit mir geguckt haben, und gehe mir die Zähne putzen.

Ich vermute, ich bin mit dieser Ernüchterungs-Erfahrung allein. Ich habe mich umgehört, Nachbarn, Kolleginnen- die meisten Menschen sind in der Lage, das Fußball-Sensations-Gefühl über Stunden aufrechtzuerhalten. Sie denken überhaupt nicht über die tiefere Bedeutung eines Endstands für ihr Leben nach, so wie sie auch nicht glauben, dass ein Gang in die Küche den Einzug ins Finale verhindern kann. Sie feiern einfach.

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Ganz schlimm ist es, nach einem gewonnenen Spiel noch mit den Hunden raus zu müssen, und in der Straße liegen sich die Menschen in den Armen, und ich bahne mir meinen Weg durch die Autokorsi und überlege, was ich am Wochenende koche und ob ich den Stromanbieter wechseln soll. Fehlt mir das Rausch-Gen? Oder die Fähigkeit zur Identifikation mit dem Kollektiv?

Dabei gibt es Momente, in denen mir mein Abpfiff-Gefühlsblocker das Leben durchaus auch erleichtert. Denn niemand kommt mit Niederlagen so gut klar wie ich. Wenn sich diese depressive Stille über das Land legt, weil Deutschland verloren hat, die Menschen sich unter Tränen die schwarz-rot-goldene Farbe von der Wange putzen, kann ich mühelos zur Tagesordnung übergehen. Kein Groll, keine Enttäuschung, nur unschuldiger Alltag. Vorausgesetzt natürlich, ich war in den vorangegangenen 90 Minuten nicht ein Mal am Kühlschrank.

Text: Meike Dinklage BRIGITTE 14/2014

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