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TV-Krimi Warum "Polizeiruf 110" der bessere "Tatort" ist

Polizeifruf 110: Anneke Kim Sarau und Charly Hübner
© NDR/Stefan Erhard
Der sonntägliche "Tatort" ist heilig, aber beim "Polizeiruf" schalten viele ab. Wissen die Menschen eigentlich, was ihnen da entgeht? Eine Bekehrung.

Schon mein halbes Leben habe ich sonntags um 20.15 Uhr eine feste Verabredung, die ich äußerst ungern absage. Egal, wo ich gerade bin und wer bei mir ist, ich sitze vor dem Fernseher (oder dem Laptop) und gucke den Krimi im Ersten. Vielleicht sollte ich es diesen Sonntag einfach einmal lassen und stattdessen von Haustür zu Haustür ziehen, im Auftrag des guten Geschmacks:

"Guten Abend, Sie sehen mir aus wie ein Freund der gepflegten Sonntagabend-Unterhaltung. Darf ich fragen, warum Ihr Fernseher nicht läuft?" "Aber es kommt doch ein Polizeiruf, den gucke ich nie."

Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe - auch von Freunden und Kollegen, denen ich normalerweise eine gewisse Zurechnungsfähigkeit bescheinigen würde. Der "Polizeiruf" ist das Hannover der Fernsehkrimis - er hat ein Imageproblem. Man unterschätzt ihn als kleinen, schnarchnasigen Bruder des "Tatorts". Dabei hat er ihn, wenn man einmal genauer hinschaut, längst überflügelt.

Zum einen sind da die Darsteller: Während sich das Ermittler-Karussell beim "Tatort" inzwischen hysterisch schnell dreht, haben sich beim "Polizeiruf" im Laufe der letzten zwei, drei Jahre herausragende Teams gefunden - und zwar so angenehm unaufgeregt, wie es sich eigentlich für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gehört.

Ob in Rostock, München, Magdeburg oder Frankfurt (Oder), im "Polizeiruf" ermittelt die feinste Auslese deutscher Schauspielkunst: Für Charly Hübner, Anneke Kim Sarnau, Claudia Michelsen oder Maria Simon würde ich sofort ins Kino gehen. Umso toller, dass ich sie jetzt regelmäßig im Fernsehen zu sehen kriege.

TV-Krimi: Warum "Polizeiruf 110" der bessere "Tatort" ist
© rbb/Oliver Feist, MDR/Julia Terjung, BR/Geißendörfer Pictures/Hendrik Heiden

Auch die Charaktere sind oft vielschichtiger, gebrochener und dadurch sympathischer als im "Tatort". Vergessen Sie Schmücke und Schneider - das gemächliche "Polizeiruf"-Duo aus Halle wurde zum Glück längst in den Ruhestand verabschiedet. In Rostock ermittelt jetzt ein Haudrauf mit Cowboy-Gang, großem Herzen und kriminineller Vergangenheit zusammen mit einer traumatisierten Profilerin. Der Asphalt-Cowboy, alias Charly Hübner, verkündete gerade seinen Ausstieg beim Polizeiruf 110, was ein großes Loch in das Ermittlerteam reißen wird. Doch die anderen Teams sind genauso sehenswert. In Magdeburg ermittelt eine ehemalige Punkerin deren Sohn Neonazi ist, und der Fakt macht die Figur noch interessanter. Und in Frankfurt (Oder) und Umgebung löst Maria Simon als toughe junge Mutter zusammen mit ihrem polnischen Kollegen Raczek die Fälle. Blödelnde Pathologen oder holzschnittartige Sidekicks sucht man vergebens, stattdessen bekommt man Figuren mit Tiefgang.

Viele der Geschichten, die im "Polizeiruf" erzählt werden, hallen lange nach. Es ist kein Zufall, dass der "Polizeiruf" regelmäßig für den Grimme-Preis nominiert ist. Auch der aktuelle Fall aus Halle ist sehenswert - nicht nur wegen des neuen Ermittlerduos Kommissar Henry Koitzsch und Kommissar Michael Lehmann, sondern auch wegen des bizarren Lügensumpfs in das sich die Verdächtigen verstricken. Aber mehr will ich nicht verraten: Sehen Sie einfach selbst! Sie werden schnell merken: Das Einzige, was der "Tatort" wirklich besser kann als der "Polizeiruf", ist der Vorspann.

Am 30. Mai um 20.15 zeigt das Erste die Jubiläumsfolge "An der Saale hellem Strande" zum 50. Geburtstag des Polizeirufs 110 mit dem neuen Ermittlerteam aus Halle mit Kriminalhauptkommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Kriminalkommissar Michael Lehmann (Peter Schneider).

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