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EM 2008: Sommermärchen oder Fußballfrust?

Spanien ist Europameister, und hinter uns liegen fußballfanatische Wochen. Eine BRIGITTE.de-Redakteurin und ein -Redakteur blicken zurück - einmal nostalgisch, einmal genervt.

Fußballfan Katharina Wantoch freut sich über eine gelungene EM

Ich liege im Trend, die BILD hat mir Gewissheit gegeben. Frauen sind die größeren Fußballfans, hieß es nach dem Halbfinale Deutschland gegen Türkei, als mehr Frauen vor dem Fernseher saßen als Männer. Aber ist das nicht die logische Konsequenz, wenn der größte Fußball-Fan im Land eine Frau ist - und dazu nicht irgendeine Frau, sondern die Kanzlerin? Wie hat sie sich gefreut, als Ballack gegen Österreich das erlösende Tor schoss! Fäuste ballen, Arme hochreißen, soweit der kompakte Blazer das zulässt - und dann alle Männer herzen, die gerade greifbar sind, selbst wenn man dabei Theo Zwanziger erwischt. So jubelte unsere Kicker-Kanzlerin.

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Nur beim 1:1-Ausgleich gegen die Türkei blieb sie recht verhalten. Wahrscheinlich, weil Spaßbremse Michel Platini, der UEFA-Präsident, neben ihr saß. Der hat Merkels Männern bestimmt keinen Sieg gewünscht. Eher schon kollektive Konditionsprobleme. Beim 2:1 war Merkel wieder die Alte und bei Lahms 3:2 dann gar nicht mehr zu halten. Hinterher attestierte sie der deutschen Mannschaft eine tolle Nervenleistung.

Gute Nerven brauchte auch ich als Zuschauerin. Die Jogi-Jungs haben uns ja durch ein Wechselbad der Gefühle geschickt. Guter Auftakt gegen Polen, dann die Katastrophe gegen Kroatien, der sehr mittelmäßige Kick gegen Österreich, die Glanzvorstellung gegen Portugal, und dann die Abglanzvorstellung gegen die Türkei. "Kann man den Löw nicht wieder in den Glaskasten schicken?", war mein Vorschlag nach 10 Minuten. Wir erinnern uns: Das Spiel gegen Portugal musste Jogi rauchend und Rotwein trinkend hinter Glas auf der Tribüne verbringen, weil er sich im Österreich-Spiel mit dem Vierten Schiedsrichter angelegt hatte. Das Resultat: die beste Leistung der deutschen Mannschaft im gesamten Turnier.

Aber wie der befreite Jogi dann nach dem 3:2 gegen die Türkei flummiartig auf und ab hüpfte, das hätte man schon ungern verpasst. Schade nur, dass er im Finale keinen Grund mehr zum heiteren Hüpfen hatte. Nun ist der undurchschaubare Badener also Vizeeuropameister. Und ganz nebenbei auch eine Stilikone. Weißes, enganliegendes Hemd, dazu eine schwarze Stoffhose, das kann eigentlich nur von Schweinis scharz-rot-goldenem Zylinder getoppt werden, mit dem er nach den Spielen über den Rasen stolzierte. Schwarz-Rot-Gold übrigens, und nicht Rot-Schwarz-Gelb wie es uns die "Tagesthemen" weismachen wollten, als sie eine falsche Deutschlandfahne einblendeten. Und wo wir gerade dabei sind, die erste Strophe des Deutschlandliedes ("Deutschland, Deutschland über alles"), liebes Schweizer Fernsehen, ist bei uns seit gefühlten tausend Jahren tabu. Bitte sagt’s doch auch eurem Videotext-Redakteur. Trotzdem sind wir euch zu großem Dank verpflichtet. Ihr habt uns gerettet, als im Spiel gegen die Türkei das Bild ausfiel, und ZDF-Kommentator Béla Réthy beweisen durfte, dass er auch als Radiomoderator nichts taugt. Ihr wart die einzigen mit einer eigenen Leitung. Manchmal ist es eben doch gut, dass ihr so unabhängig seid.

"Baaa-ba-ba-ba-ba-baaa-baaa". Das war der Rhythmus der letzten drei Wochen. Der fünf Jahre alte Song "Seven Nation Army" von den "White Stripes" kam aus allen Fankehlen. Dieses Gitarrenriff hat aber auch etwas so Antreibendes, dass es bestimmt mit für den schönen Offensivfußball verantwortlich ist, den uns die Euro 2008 beschert hat. Stürmende Niederländer, zaubernde Portugiesen, entfesselte Spanier. Nur die Griechen haben davon nichts mitbekommen und blieben in etwa so beweglich wie die Säulen der Akropolis.

Diese Bodenhaftung hätte sich auch EM-Maskottchen Trix gewünscht, als es von Podolski nach dem Portugal-Spiel bestürmt wurde - und kurzerhand zu Boden ging. Für mich eines der schönsten Bilder des Turniers. Einen so ungestümen Poldi brauchen wir auch bei der WM 2010. Bis dahin werde ich mich mit "Baaa-ba-ba-ba-ba-baaa-baaa" und der Bundesliga bei Laune halten. 

EM-Ignorant Henning Hönicke ist froh, dass es endlich vorbei ist

So weit ist es gekommen: Da beklage ich mich jetzt auf der größten Frauenzeitschriften-Website über Fußball - und bin selbst in diesem Umfeld eine kümmerliche Minderheit. Frauen sind die größten Fußballfans! Das stellen wir Medien alle paar Monate wieder begeistert fest und reiben uns verwundert die medialen Augen, wie die ehemalige Männerbastion plötzlich so massiv von Frauen erobert werden konnte. Das ist ganz toll, liebe Frauen! Lasst ihr mich jetzt bis zur nächsten WM mit eurem Fußball in Ruhe?

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Finde ich ja auch gut, dass das blöde Klischee der Frau, die ihrem Mann Chips neben den Fernseher stellt und sich dann in Ruhe mit ihren ihren frechen Prosecco-Freundinnen trifft, endlich ausgestorben ist (Achtung, Deutsche Bahn: Ihre Werbeagentur scheint in den Siebzigern festzustecken! Helfen Sie ihr da schnell raus!). Aber, liebe Männer und Frauen, hättet ihr euch nicht auf was Cooleres einigen können, was ihr toll findet, als ausgerechnet Fußball? Wahlkämpfe vielleicht? Die könnte Günter Netzer bestimmt auch mit ernster Miene und gebleckten Zähnen zu Tode analysieren. Oder japanische Gameshows? Die machen beim Public Viewing viel mehr Spaß, verspreche ich Ihnen!

Sie, liebe Leserin, haben sich als Mädchen aus freien Stücken dafür entschieden, Fußball toll zu finden und sich gegenseitig zu überzeugen, dass die Spieler total sexy sind (Ernsthaft? Wissen Sie, wie Bastian Schweinsteiger ohne die Hilfe von Photoshop aussieht?). Als Junge hat man diese Wahl nicht. Da muss man, bitteschön, alle Spieler der Nationalmannschaft in einem Rutsch aufzählen können! Ich konnte in der dritten Klasse alle Figuren benennen, die mal ein paar Sekunden im Bildhintergrund eines Star-Wars-Filmes rumgessessen hatten. Im Gegensatz zu Fußballfans erkannte ich schon damals die Nutzlosigkeit dieses Talentes.

Ich will niemandem die EM nachträglich madig machen (kann ich sowieso nicht). Ich freue mich für alle, die sich so richtig begeistern können, ehrlich. Mir ist zwar nicht ganz klar, warum alle Welt es so toll findet, wenn angetrunkene Fans nach einem Deutschland-Sieg die halbe Nacht hupend und Fahne schwenkend Straßenkreuzungen blockieren, aber bitte, macht ruhig.

Was mich aber richtig nervt, ist, von dieser nationalen Manie zwangsvereinnahmt zu werden. Deutschland jubelt, wer nicht mitmacht gehört irgendwie nicht zum Land. Wieso? Ich liebe mein Heimatland. Ob elf seiner Bürger einen Ball quer über einen Sportplatz bugsieren können, hat darauf keinen Einfluss - es sei denn, die Bundesregierung macht es künftig wie Media-Markt und gibt der Bevölkerung Rabatte für deutsche EM-Tore ("5 Prozent weniger Mehrwertsteuer bei jedem Treffer!").

Ich bin jedenfalls froh, wenn der ganze Hype ab sofort wieder auf den normalen Grundpegel runtergeht und sich König Fußball die nächsten zwei Jahre in sein Sommermärchen-Schloss verkrümelt.

Texte: Katharina Wantoch, Henning Hönicke Foto: dpa

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