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E-Mail-Wechsel: Daniel Glattauer über die Liebe

BRIGITTE-Autorin Beatrix Gerstberger lieferte sich mit Bestsellerautor Daniel Glattauer eine sehr offene Diskussion über die Liebe - per Mail.

Nach ihrem Gespräch mit Bestsellerautor Daniel Glattauer und nach einigen Gläsern Rotwein stolperte BRIGITTE-Autorin Beatrix Gerstberger in ihrem Wiener Hotel über den Teppich - und dabei fiel ihr noch eine Frage an den Autor von "Gut gegen Nordwind" und "Alle sieben Wellen" ein. Die schickte sie ihm am nächsten Tag per E-mail. Daraus entstand ein, so Glattauer, "absolut ungewöhnliches Experiment": eine wochenlange sehr offene Diskussion über die Liebe.

  • Lieber Herr Glattauer, seit Tagen antwortet mir nur Ihr Abwesenheitsverwalter mit dem Satz: "In den nächsten Wochen bin ich viel unterwegs und werde meine Post leider vernachlässigen müssen." Also, wo stecken Sie? Haben die kreischenden Frauen auf Ihrer Lesetour (ich sollte wohl angesichts der Hysterie um Sie eher von Andachten mit Popkonzertcharakter sprechen) Sie mit einem einzigen großen letzten Schrei erstickt? Und Sie haben sich nicht gewehrt, weil Sie unter chronischer Nettigkeit leiden? Und da Sie "in echt" zarter sind, als Sie auf Ihren Fotos aussehen, mache ich mir schon Sorgen. Ich werfe mich jetzt noch einmal in Ihren Posteingang. Und hoffe, dass Ihnen irgendwo zwischen Köln, Berlin und Leipzig nicht die Luft ausgegangen ist.
  • Liebe Frau Gerstberger, guten Tag. Hier bin ich! Lieb von Ihnen, dass Sie sich sorgen, aber es ist alles okay mit mir. Ja doch, bei meiner Lesung im Wiener Schauspielhaus haben ein paar junge Frauen gekreischt. Vielleicht waren sie einander gegenseitig auf die Zehen gestiegen. Aber mittlerweile ist wieder Ruhe in den Zuhörer-Reihen eingekehrt. Was meine chronische Nettigkeit betrifft: Nett von Ihnen, dass Sie das so sehen. Ja, ich bemühe mich darum. Ich will ein freundlicher Mensch sein. Außerdem bin ich dem Publikum unendlich dankbar, dass es meine Bücher mag. Denn wer meine Bücher mag, mag mich. Und Menschen, die mich mögen, mag ich! Ich mag. Du magst. Er mag. Sie mag. Es mag. Wir mögen. Ihr mögt. Sie mögen. Alle mögen sich und einander. Ist doch schön. Ich bin ein Harmonie-Mensch. Auch wenn da oftmals keine Spannung knistert. Ach, und "zart" soll ich sein? Also bitte! 1,83 Meter groß. 74 Kilo schwer. Das sollte genügen, um nicht per Frauen-Schrei weggefegt zu werden.
  • Lieber Herr Glattauer, schön, dass Sie noch atmen! Ich habe nämlich noch eine Frage: Nach unserem Gespräch neulich abends über die Liebe und über Bücher über die Liebe und nach all den Gläsern Rotwein bin ich in meinem Hotel über den braunen Flauschteppich gestolpert und dabei fiel mir ein, dass wir vielleicht auch noch über das Wort "fallen” hätten reden sollen. Nicht das weinselige, sondern das "to fall in love". Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie häufig dieses Wort mit der Liebe verknüpft wird? Wir verfallen jemandem, bis die Liebe schließlich verfällt, wir fürchten, die Fallhöhe zu unterschätzen, fallen einander in die Arme, überfallen den anderen manchmal mit Unerwartetem und glauben, dass das Schicksal uns diesen Menschen hat zufallen lassen. Ist Liebe also etwas, das mit einem unerwarteten Stolpern beginnt? Ist die intensive Liebe der plötzliche und heftige Sturz? Oder das sich Zeit nehmende Fallen, das sich langsam der unbekannten Landung entgegen neigt? Jener Moment zwischen Stolpern und Landen, in dem auch die größte Sehnsucht nur den Mutigen weitergehen lässt. Wie sehen Sie das?
  • Interessante Liebes-Fall-Studien, Frau Gerstberger! Und ich denke, Sie haben Recht, man schlittert, taumelt, stolpert, kippt da wo hinein. Und oben fällt ein Deckel zu. (Der oft den Kopf trifft, und diesen vorübergehend lahm legt, kann auch Jahre dauern.) Sie beschreiben aber nicht meinen Begriff von "Lieben", das kommt viel später (oder gar nicht) und bedeutet etwas ganz Anderes. Sie reden vom Gefühl des VER-liebens oder "VER-liebtseins", der aufregendsten, wenn auch magenunfreundlichsten Freizeitbeschäftigung der Menschheit. Dieses "Ver" ist heimtückisch, lässt nichts Gutes erahnen. Bilden wir testweise Wörter mit "ver", was fällt uns da spontan ein? Verbrauchen, vergeuden, vergessen, verlassen, vernachlässigen, vermissen, verlieren, versinken, verschwinden, ver, ver, ver, verdammt: gibt es da nicht irgend etwas Positives, Aufbauendes? Okay: "Vertrauen". Klingt gut, aber worauf gründet es sich? Auf Momentaufnahmen? Auf die Verliebtheit des Anderen? Auf die vage Hoffnung, dass das gegenseitige Beglücken niemals endet, dass beide liebestaumelnd in den gemeinsamen Alltag hineinfinden?
  • Der Verliebende riskiert, liefert sich aus, läuft Gefahr, sich zu verrennen. Warum tut er das? - Weil er nicht anders kann? Nein. Weil er nicht anders will. Weil er sich spüren will. Weil es auch dann noch das schönste und stärkste Gefühl ist, wenn es nur noch in der Erinnerung existiert. Denn als es war, hat man dabei an die Ewigkeit gedacht. Kommt Ihnen das bekannt vor, Frau Gerstberger?
  • So schnell, wie Sie annehmen, stürze auch ich nicht, Herr Glattauer; bei dem "Viel-Später”, der Liebe, war ich noch nicht angekommen, sondern bei dem Davor, jenen fünf Minuten unseres Lebens, die wir Magie nennen. In diesen fünf Minuten treiben sich viele Menschen rum. Menschen, die sich in ein einziges Wort verlieben, die sich im Schlaf verlieben.
  • Menschen, die verliebt sind, bevor sie denjenigen treffen, in den sie sich verlieben, die sich in eine Berührung verlieben, in ein Auge, in das Zucken einer Wimper. Menschen, die sich stets nur auf Bahnhöfen verlieben und Menschen, die sich immer wieder auf den ersten Blick verlieben.
  • Und die dann die Liebe mit einem Ahnen auf den ersten Blick verwechseln. Ungedachten Gedanken, die eher einem inneren Tastsinn entsprechen. Was aus so etwas Vagem überhaupt entstehen kann? Alles, ein wenig nur, manchmal einfach nichts, weil ein Schwanken des Tons genügt, dass sich die Wärme wieder verflüchtigt. Aber zwischen alles oder nichts, da gibt es die Cassette. Eine für mich von einem Mann zusammengestellte Cassette war in meinem Leben schon manchmal ein Anfang. Oder ein Wendepunkt. Cassettenjungs denke ich sind Jungs, für die die Liebe kein fertiges Produkt ist, sondern die es mögen, an ihr herumzuwerkeln. Sind Sie ein Cassettenjunge? Es grüßt ein ewiges Cassettenmädchen.
  • Frau Gerstberger, schade um den schönen Ausdruck "Cassettenmädchen” (hatte ich noch nie gehört). Aber heute stellt man ja leider keine Cassetten mehr zusammen, heute brennt man CDs. Das sich-dem-Anderen-über-Lieblingsmusik-Mitteilen hat mittlerweile etwas Inflationäres, Alltägliches. Ich mag das gar nicht so gern, solche Geschenke zu erhalten. Man wird damit in die Pflicht genommen, bestimmte Songs (ebenfalls) großartig zu finden und kann sich der Begeisterung des Anderen kaum erwehren. Sogar ähnliche Geschmäcker vertrauter Menschen sind doch immer um Halbtöne verschieden, schon spürt man die Dissonanz in den Schwingungen und weiß, dass der Andere eben doch anders tickt als man selbst. Mir ist "meine” Musik so wahnsinnig wichtig (wichtiger übrigens als jedes Buch), und gewisse Lieder gehen mir so derart unter die Haut, rühren mich zu Tränen, versetzen mich in Euphorie, lösen die heftigsten Gefühle aus, so dass ich nur enttäuscht sein kann, wenn ein Mensch, der mir viel Wert ist, nicht genauso stark empfindet, sondern lapidar anmerkt: "Ja, gar nicht schlecht. Vor allem der vierte Song." (Meistens ist der vierte Song in solchen Fällen der schwächste.) Ach natürlich würde es mir Spaß machen, meine Lieblingssongs (aus vier Jahrzehnten) auf einer CD zusammen zu stellen und nach außen zu tragen, mit der Hoffnung, dass man mich dahinter erkennt, entdeckt und schätzt. Außerdem habe ich in früheren Jahren selbst Lieder (für Gitarre) geschrieben, etwa 50 Texte und Melodien zum Thema, eh klar - Liebe. Noch lieber als Schriftsteller wäre ich nämlich Singer-Songwriter geworden. Ich hatte es aber dabei belassen, mein Umfeld mit Privat-Konzerten zu beglücken. Ob sie wollten oder nicht, sie mussten sich das anhören. In den vergangen Monaten habe ich wieder öfter zu Gitarre gegriffen und mit dem Gedanken gespielt, die Sache vielleicht doch noch einmal öffentlich anzugehen. Mir bedeuten gewisse meiner Songtexte mehr als alles, was ich jemals danach geschrieben habe.
  • Aber bleiben wir kurz bei der Magie, beim "Davor", dem "Verliebtsein", dem Ausnahmezustand, diesen "fünf Minuten". Fünf Minuten? Nein, ich erhöhe auf fünf Monate. Doch, so lange kann die Wirkung schon anhalten. Was ist das für eine irre Droge, worin liegt der Zauber? Ich glaube, in der Wechselwirkung. Man blickt in ein Gesicht, in dem sich die eigene Verliebtheit widerspiegelt. Man verliebt sich in die Verliebtheit des Anderen, die sich in die Verliebtheit des Einen verliebt hat. Mehr Nähe gibt es nicht, inniger lassen sich Gefühle nicht austauschen. In der Umarmung verschmelzen die beiden, wollen nie mehr loslassen. Da bleibt die Zeit stehen. Das sind gespeicherte Momente, Tage, Nächte, die man nie vergisst. Tja, und im Hintergrund spielt Musik. Die bringt man nie mehr aus dem Kopf. Höre ich heute "If You leave me now" von "Chicago", dann habe ich den Skiurlaub 1977 in Bad-Hofgastein vor mir. Nein, nicht den Skiurlaub, der war nur Kulisse. Nicht den Skiurlaub, sondern - SIE.
  • Lieber Herr Glattauer, es gefällt mir, was Sie über die (Ihre) Musik schreiben. Ich erkläre deshalb hiermit öffentlich, dass ich Sie wahnsinnig gern öffentlich als Singer-Songwriter erleben würde! Und da Sie zur Zeit von Lesung zu Lesung eilen und überall und hier über die Liebe sprechen sollen, möchte ich heute der Liebe eine Pause gönnen. Denn wie ermüdend muss es manchmal für sie sein, hin- und her gewendet, abgetastet, abgeklopft, zerredet zu werden. Und brauchen nicht auch Liebende von Zeit zu Zeit Pause vom an die Liebe denken, über die Liebe sprechen (auch wenn sie dies am liebsten tun), damit die Liebe nicht die Luft zum Atmen verliert? Deshalb gönne ich der Liebe heute und hier das große Atemholen und etwas Alltag. Und frage Sie mal nach dem Dazwischen auf Ihrer Tournee. Wo sind Sie gerade? Regnet es dort wie hier bei uns auch?
  • Liebe Frau Gerstberger, ich bin nach einer schönen, aber anstrengenden Lesereise in Westösterreich, in Tirol und Vorarlberg, gerade wieder daheim angekommen. Nun heißt es, Koffer auszupacken, im Wissen, dass ich ihn zwei Tage später wieder einräumen werde. In Wien hat mich tatsächlich ein kühler Regentag in Empfang genommen, fest entschlossen, sich bis zur Dunkelheit keine Pausen zu gönnen. Was versäume ich also, wenn ich hier vor dem Computer sitze und Ihnen einige Zeilen schreibe? Vom Obergeschoß höre ich "The National", eine meiner absoluten Lieblingsbands. (Irgendwie fällt mir auf, dass wir immer über Musik reden, wenn wir von der Liebe reden wollen.) Danke übrigens für Ihr Interesse an meinen eigenen, im Verborgenen gehaltenen Liedern. Wollen Sie eine Kostprobe (nein, nicht hören, sondern) lesen? Okay, Sie können sich ja ohnehin nicht dagegen wehren. Also exklusiv für Sie und "Brigitte": "Das Schneeherz", geschrieben und vertont im Jänner 1987. (Damals war ich stolze 27, und meine damalige Freundin Lisi wollte das Lied immer und immer wieder hören. Daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert. Wir sind seit 23 Jahren zusammen.)

Das Schneeherz Am Parkplatz im Hinterhof links vor dem Tor unter mächtigen Ästen der Eichenallee, ein Rücken aus Blech, darauf ein Herz, fein gezeichnet im Schnee. Doch seltsam, gar seltsam: kein Weg führt dazu, keine Fährte, kein Abdruck, kein Schritt, keine Spur. Woher kommt das Schneeherz, gestochen Rahmen? Und deutlich zu lesen, daneben: "Im Namen der Sonne, der Wind hat's gesehen, der Schnee, der ist in die Erde verliebt und will mit ihr gehen. Und will mit ihr gehen." Am Parkplatz im Hinterhof links vor dem Tor, der Mensch steht verzaubert und fassungslos da. Ein Herz, eine Botschaft aus Schnee, doch keiner, der's war. Wunder, sie warten nicht, es kommt der Föhn, frisst gierig Weißes und spuckt braune Seen. So wankt auch das Schneeherz, gebrochen im Rahmen. Verschwommen zu lesen daneben: "Im Namen der Sonne, der Wind hat's gesehen, der Schnee, der ist in die Erde verliebt und will mit ihr gehen. Und will mit ihr gehen." Am Parkplatz im Hinterhof links vor dem Tor unter mächtigen Ästen der Eichenallee, nur hässliches Blech, kein Herz, keine Liebe, kein Schnee. Doch seltsam, gar seltsam, die Steinchen im Wasser, zu dem nun das Schneeherz zerronnen war, sie liegen geordnet als Schriftzug im Teiche. Ganz deutlich zu lesen: "Immer das Gleiche mit mir, liebe Sonne und Wind. Ich Schnee hab mich in die Erde verliebt, sie wünscht sich ein Kind von mir. So bleib ich auch Frühling und Sommer und Herbst bei ihr."

  • So, Frau Gerstberger, der Schnee ist längst weg. Jetzt versuche ich auch der Musik zu entrinnen und das Thema zu verlagern: Verraten Sie mir einmal Ihre Meinung, durchaus in Anspielung an meine Emmi-Leo-Liebesgeschichte und dem darin verwendeten Begriff der "Alles-Illusion": Was darf man sich von einem einzelnen Menschen, mit dem man eine Beziehung führen, eine Lebensgemeinschaft eingehen will, heute erwarten? Worauf darf man vertrauen? Was kann ein einzelner Mensch an emotionellen und sonstigen Bedürfnissen abdecken? Und wie lange? Muss man ewig damit rechnen, dass irgendwann einmal Schluss ist?
  • Lieber Herr Glattauer, schade, dass Sie die Melodie zu Ihrem Song nicht per mail summen können! Es stimmt: wir zwei plaudern oft über die Musik, wenn wir über die Liebe reden wollen. Ein amerikanischer Evolutionspsychologe hat einmal gesagt, dass es sich bei den kulturellen Leistungen der Zivilisation - Bildende Kunst, Musik, Literatur und Humor - eh nur um pures männliches Imponiergehabe handele, dass nur dazu da sei, die Frauen zu betören. Ich lasse das mal unkommentiert stehen und fasse es so zusammen: Jeder Künstler ist, ob bewusst oder unbewusst, ein Minnesänger. Und nun vom Sehnen zur Ewigkeit, zur Alles-Illusion. Ich fange mal mit der romantischen Betrachtung an: Als ich ein Kind war, musste ich jeden Mittwoch nach der Schule zu meiner Großmutter, die ein altes Haus hatte mit einem Zimmer voller Bücher auf dem Dachboden. Da gab es einen dicken Sessel, und in diesem Zimmer bin ich jahrelang verschwunden. Ich habe dort alles gelesen, was in den Regalen lag, und weil eine der Patientinnen meiner Großmutter einen Verlag mit Liebes- und Westernromanen (!!) hatte, habe ich also schon mit acht, neun Jahren Pilcher-artige Liebesromane gelesen, nein, inhaliert, die mein Bild von der Liebe prägten (Die Westernromane habe ich nie gelesen, so habe ich wenigstes ein unbefangeneres Männer- und Kettenraucherbild entwickeln können). Meine Großmutter nannte die Romane "O-Bein-Romane”: Am Anfang zusammen, in der Mitte durch die widrige Umwelt getrennt, am Ende per Schicksal wieder zusammengefügt, denn wahre Liebe überwindet alles. Aus dieser Prinzessin-Lillifee-Sicht der Liebe kann einen nur das Leben vertreiben. Hierzu zitiere ich Patricia Highsmith: "Am wichtigsten ist es für Paare, die Kunst der Kriegsführung zu erlernen. Das bischen Liebe ergibt sich nebenbei." Liegt das Geheimnis einer dauerhaften Lebensgemeinschaft also irgendwo zwischen O-Bein und Kriegstaktik?
  • Ich wähle ein anderes Bild: Meine Alles-Illusion, das sind drei Kreise, die sich überschneiden. Der, der sich zwischen den beiden anderen befindet, ist die Liebe. Sie bildet eine Schnittmenge zwischen den anderen beiden Kreisen. Mal ist ihr Anteil groß, mal kleiner, sie ist beweglich, aber sie geht nie, auch wenn sie manchmal an den äußeren Rand weicht. Dort hockt sie vielleicht länger, fast vergisst man sie, oder andere versuchen sie aus den Kreisen zu ziehen. Manchmal nervt es sie auch, dass einer der beiden Kreise versucht, sie immerzu in die Mitte zu zerren. Denn sie ist klug: sie drängt sich auch dazwischen, wenn ein Kreis versucht seine Lücken vollständig mit dem Kreis des anderen zu bedecken, weil sie weiß, das für sie dann nicht viel Platz übrig bleibt. Sie verachtet nicht den Rausch, ganz und gar nicht, dagegen den Begriff der friedlichen Koexistenz, sie hält ihn für den kleinsten gemeinsamen Nenner, aber in Wahrheit liebt sie am allermeisten die Kleinigkeiten: Neben diesem Menschen aufwachen zu dürfen, jeden Morgen. Dann, wenn man verletzlich ist und die Haare wild und die Augen noch halb in einer anderen Welt. Und man einfach geliebt wird. Lieber Herr Glattauer, wie lange die Haare und das Herz wild bleiben, das wüsste ich nur auch zu gern. Zehn Jahre, mehr habe ich noch nicht geschafft, sie 23, heißt das, Sie sind der talentiertere von uns beiden, oder wissen Sie um andere Geheimnisse?
  • Zum Beispiel: Wie (un)-wichtig ist Sex? Und: Warum zieht es alte Männer zu jungen Frauen? (und übrig bleibt nur noch die Lebensgemeinschaft alte Frau und Alles-Illusion).
  • Liebe Frau Gerstberger, Ihre "Kreise" haben es mir angetan! Die müsste man eigentlich graphisch darstellen und neben die Geschichte stellen. Vielleicht in mehreren Varianten. Bild eins: Gute Beziehung. Bild zwei: Sie zieht sich zurück. Bild drei: Ehekrise. Bild vier: Er verliebt sich in eine junge Frau....
  • Wie fragen Sie so schön? "Wie (un)-wichtig ist Sex?" - Deutlich unwichtiger als es alte Männer, die es zu jungen Frauen zieht, für möglich halten. (Zumindest für die jungen Frauen unwichtiger.) Wobei: Es ist keine Schande, dass es irgendwen zu irgendwem zieht. Und es ist auch keine Schande, mit Gott und der Welt Sex zu wollen und Sex zu haben, von mir aus stündlich. (Okay, "Gott" passt hier vielleicht nicht so gut.) Aber bitte, worum geht es denn (leider vielen) Männern dabei? Um Berühren, Spüren, das Glücksgefühl der Zärtlichkeit? Umschlungen zu sein? Verschmelzen mit dem Körper der Frau, die man liebt? Die irre gegenseitige Erregung, wenn man alle Sinnesorgane gleichzeitig im Einsatz hat, (nein, doppelt so viele, die des Anderen auch noch dazu)? Um Tuchfühlung, größtmögliche Nähe, den Atem an der Haut spüren, das Kribbeln in den Zehenspitzen, die kürzeste Distanz zwischen zwei Herzen, die, zumindest in diesem Augenblick ausschließlich für einander schlagen? Und dann die Zeit anhalten wollen, weil es keinen stärkeren Ausdruck von Innigkeit gibt?
  • Aber nein, so genannter "guter Sex" aus Männersicht soll systematisch zum "Höhepunkt" getrieben werden, es geht um Heischen nach Anerkennung, um Bewunderungsdrang, um Imponiergehabe, um Demonstration von Stärke. Streicheleinheiten für das stets minder versorgte Ego. Die oben erwähnten "alten Männer" wollen noch einmal von vorne beginnen, noch einmal so jung und verwegen wie in ihren Wunschträumen sein, noch einmal einer jungen (im besten Fall schönen, auch von anderen begehrten, kultivierten, gerne unerfahrenen, aber unbedingt naiven, sonst klappt das nicht) Frau die Welt erklären, noch einmal zeigen, was sie alles drauf haben, noch einmal so tun, als wären sie die Macher des Lebens, als hätten sie die Fäden in der Hand.

Und was wollen die jungen Frauen? Geliebt, begehrt, verwöhnt, versorgt, hofiert, umschwärmt, auf den Händen getragen werden. Und sie wollen zu jemandem aufschauen können. Das tun sie auch. Am Anfang. Dann schauen sie immer öfter zur Seite. Irgendwann schauen sie weg. Und bald sind die alten Männer dort, wo sie mit der gleich alten Exfrau auch bereits waren, mitten im Alltag. Mit etwas Glück und möglichst viel Geld haben sie dann bereits die nächst jüngeren Frauen gefunden, für die sie noch einmal kurz in die Heldenrolle schlüpfen dürfen. Ja, Frau Gerstberger, wie macht man das, mit ein und demselben Menschen soooooo lange zusammen zu sein? - 1.) Wenn es leicht geht - nur einmal. 2.) Nicht alleine. 3.) Mit Nähe. 4.) Nie aufhören zu reden. 5.) Mit dem Wissen, dass sich die Beziehung von der Leidenschaft zur engen Freundschaft und Verschworenheit entwickelt und dass dies ebenfalls, ja dann erst Recht "Liebe" heißt. 6.) Mit Glück. Ja, ich habe Glück gehabt. Wir waren beide 25, als wir zusammenkamen. Elisabeth hat nicht nur einen riesigen Hund, sondern auch einen fünfjährigen Sohn mitgebracht. Es wurde uns also auch im Alltag nicht langweilig. Und dann ist es einfach dahin gegangen mit den Jahren. Tausend schöne Dinge, die uns verbinden. Und doch das Bewusstsein, dass wir nur eine von vielen Möglichkeiten leben. Und wie schmal und steinig der Grat ist, auf dem man heutzutage, wo es keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr dafür gibt, zu zweit durchs Leben gehen kann. Ach, und mit der "Kriegsführung" a la Patricia Highsmith kann ich so gar nichts anfangen. Wenn es friedlich nicht geht, dann lieber gar nicht. Ich bin, zugegeben, ziemlich konfliktscheu. Mit mir kann man (fast) nicht streiten. Eine schlechte Eigenschaft, ich weiß. Das wäre jedenfalls nichts für Sie, Frau Gerstberger. Oder irre ich mich? Und noch ein Thema, bei dem es mich interessiert, Ihre Meinung zu hören (lesen): Wie ist das mit der Liebe und dem Kinder-Kriegen? Und die Kinder dann haben! Und von ihnen die Beziehung bestimmt zu wissen. Bei vielen meiner Freunde zerbricht gerade daran die "Alles-Illusion".

  • Lieber Herr Glattauer, die Kinderfrage... Wie sie kurz beantworten, wo so viele nach der Antwort suchen? Ich greife nun auch einmal auf Ihr Punktesystem zurück. Kinder wünscht man sich, weil sie 1. das große Symbol der bedingungslosen Liebe zueinander sind, 2. die endlose Ausdehnung der bisher gefühlten Harmonie verheißen, 3. auf die Welt kommen und so gut riechen, so wie einmal durch das Leben gezogen: durch ein gutes Leben, 4. sie ein Versprechen sind: Auf das private Glück.
  • Nur leider wird übersehen, dass man nicht ein Versprechen, sondern einen Menschen in die Welt gesetzt hat. Und dieser Quell des Glücks sabotiert die vorherige Harmonie unweigerlich 1. mit seinen Schreiattacken, 2. vollgekackten Windeln, 3. Fieberanfällen, 4. seinem geringem Schlafbedürfnis, 5. seiner Sucht nach Aufmerksamkeit. Plötzlich ist es 6. mühsam und harte Arbeit eine neue Harmonie herzustellen, 7. hat man weniger Sex, 8. spricht man weniger miteinander, 9. ist "sie" nach spätesten zwei Jahren der Meinung, dass sie nicht mehr sie selbst ist, und "er" 10. der Meinung, dass sie ihm fremd geworden ist, außerdem stellt er 11. erschüttert fest, dass er sich nicht mehr für den Rest seines Lebens alle Chancen offen halten kann. Sie sehen, meine Liste zwei ist definitiv länger als Liste eins. In den kurzen Zeiten, die rückblickend dann als die guten Zeiten bezeichnet werden, ist Liste eins allerdings länger. Und weil viele später die Hoffnung aufgeben, dass Liste zwei jemals wieder kürzer wird, geraten sie von der Alles-Illusion in den Kriegszustand. Eine geschicktere Überleitung, Ihren ameisengroßen Fehde-Handschuh aus Ihrer letzten mail aufzuheben, habe ich gerade nicht gefunden. Und: Sie irren! Ich gebe zu, ich habe Sie eingangs als nett und zart beschrieben, aber wäre so ein Mann des Friedens tatsächlich nichts für mich, hätte ich ja stets das Gegenteil suchen müssen. Was aber wäre das für einer gewesen? Dröhnend und kräftig, streitlustig und erdrückend, konfliktbesessen und muskelbepackt? Nein. Nein. Nein. Ich gestehe allerdings, dass ich (manchmal) tatsächlich gern den Widerstand suche. Nicht den Konflikt. Hierin liegt der Unterschied! Denn dahinter hockt ein Herz, das ein hartnäckig harmoniesüchtiger kleiner Muskel ist. Sprechen wir lieber über Zeichen der Liebe. Braucht die Liebe überhaupt Zeichen, braucht sie Geschenke und wenn ja welche, welche auf keinen Fall? Mein neunjähriger Sohn hat heute dazu seine ganz eigene Theorie aufgestellt: "Du kannst nicht so ein Einschmeichler sein, der so Romanzen aufsetzt und dabei nicht er selber ist."
  • P.S. Ist Treue ein notwendiges Zeichen der Liebe? Wo beginnt der Betrug?
  • Liebe Frau Gerstberger, an dieser Stelle möchte ich gestehen, dass es für mich absolut ungewöhnlich, ja ein Experiment ist, so offen und ironiefrei, also ohne humoreskes Sicherheitsnetz, über Liebe zu diskutieren - und zwar nicht im Zweiergespräch um zwölf Uhr nachts, sondern, im Gegenteil - am helllichten Tag, dank und mit Ihnen, via Email, für "Brigitte"-Leserinnen und Leser. So, und jetzt muss ich wieder gliedern, sonst verliere ich den Überblick bei so viel Liebesangelegenheit. 1.) Kinder, 2.) Zeichen, 3.) Treue, 4.) BetrugZu 1.) haben Sie schon viel Wesentliches gesagt. Eine beliebte Motivation, Kinder zu kriegen, fehlt mir aber: Um der Beziehung nach dem Abflauen der ersten (und leider oft auch letzten) großen Leidenschaftsphase neuen Sinn, eine neue Aufgabe, Herausforderung, oder einfach nur "Pepp" zu geben. Um durch ein "Bindeglied" jene Nähe zum Partner wieder aufzubauen, die im Alltag verloren gegangen ist. Oder, noch schlimmer, und hier kenne ich einige Frauen, auf die das zutrifft: Verschiebung der Konzentration und Aufmerksamkeit für einen nun schon sattsam bekannten (mitunter mühsamen, weil ständig im Mittelpunkt stehen wollenden) "Lebenspartner" zum gemeinsamen Nachwuchs, wodurch über die Ablenkung eine neue Perspektive zum Partner und so eine neue Bindung entstehen soll. Und das geht meistens nicht gut! Denn ein Kind "verbindet" nicht, sondern stellt sich dazwischen, spaltet ab und nimmt für sich in Beschlag. Völlig zu Recht natürlich. - Da Vater, da Mutter, da Oma, da Auto, da Kakao, da Teller, da Boden, da tolles Krachgeräusch... Und zwar alles in der jeweils akustisch veräußerten richtigen Reihenfolge. Partnerschaft wird dann bald zum Austausch von Pflichtübungen für den neuen Superstar in der Familie, für den bedürftigen (kleinen) Dritten. Das macht vor allem jenen Männern schwer zu schaffen, die sich ins Eck gedrängt und zu wenig beachtet fühlen, die dann lieber an Karriere oder zumindest Überstunden denken, die Fernfahrer oder Jungmitarbeiterinnen-Seminarleiter (oft Blockveranstaltungen am Wochenende) werden, neue, zeitaufwändige Hobbies entdecken oder und eben ja: aber beim Thema 4.) sind wir noch nicht. Je unzufriedener die überlasteten Mütter mit dem pädagogischen Beitrag des Vaters, desto weniger Chance auf Leidenschaft, desto weniger Sex, desto weniger Lieblingsessen, desto weniger weiß er, warum er nach Hause kommen soll, desto später wird es.

Ich weiß, das war jetzt ein bisschen gar sehr schwarz gemalt. Ich habe jedenfalls enormen Respekt vor all jenen Partnerschaften, die das Großwerden der Kinder gemeinsam durchziehen und schadlos überstehen und nachher so viel Zuneigung zueinander haben wie vorher. Es gibt kaum schwierigere Aufgaben. Aber auch wenige, die ähnlich sinnstiftend und erfüllend sein können.2.) Zeichen der Liebe. Ich war nie der große Geschenkemacher, Verwöhner, Überrascher, Blumenstreuer, Rosenbringer, Ringanstecker. Ist Liebe da, kann jedes Wort und jede noch so kleine unscheinbare Geste zum Zeichen werden, da bedarf es keiner großen Aktionen. Wen man liebt, für dessen Wohlgefühl trägt man Sorge, ganz automatisch, für den hat man sein Ohr offen, dem will man eine Stütze sein, will ihm Rückhalt geben, der ist auch mit seinen Schwächen bei einem gut aufgehoben, der kann sich bei einem ausruhen, wenn er müde ist, ausweinen, wenn er traurig ist, austoben, wenn er aufgestaute Energien hat und nicht weiß, wohin damit. Da bedarf es keiner imposanten Zeichensetzung, a la: "Ich beweise dir, wie sehr ich dich liebe, weil du es offenbar noch nicht bemerkt oder zumindest noch nicht ausreichend gewürdigt hast. Darum nimm diese Goldkette, und trage sie bis ans Lebensende, als Zeichen für meine ewige Liebe...." 3.) Treue. Tja, schwierig. Wenn es einem von Anfang an gelingt, dem anderen nichts vorzumachen, ihm sein wahres Gesicht zu zeigen, dann muss man nur (noch) einem einzigen Menschen wirklich treu bleiben: sich selbst. Das ist ohnehin schwer genug. Man liebt jedenfalls nicht, weil man treu ist, sondern man ist treu, weil man liebt. Liebt man, so liebt man - da bedarf es keiner Garantieerklärung. Liebt man nicht (mehr), so liebt man nicht mehr. Da nützt "Treue" nichts, da wird sie zur Verpflichtung. Und irgendwann mündet sie über in den... 4.) Betrug. Ja, wo beginnt er eigentlich? Nein, nicht beim Gedanken daran (wer wäre da kein Betrüger?), sondern bei der inneren Bereitschaft dafür. Ist die einmal vorhanden, zieht die äußere Bereitschaft bei der erstbesten Gelegenheit bereitwillig nach. Betrug ist, wenn man etwas tut, das der andere nicht nur nicht wissen darf, sondern das ihn, und jetzt gibt es zwei Ansichten: a.) das ihn verletzt, beleidigt, schädigt, herabwürdigt, ohne dass er es weiß. Oder b.) das ihn verletzen, beleidigen, schädigen, herabwürdigen würde, wüsste er es. Kein Betrug ist es, wenn zwei eine Abmachung getroffen haben, dass jeder tun und lassen kann, was und mit wem er will, sofern er es den anderen nicht spüren lässt. - Aber, Frau Gerstberger, kennen Sie auch nur eine einzige Beziehung, wo das funktioniert hat?

  • Lieber Herr Glattauer, bevor unsere Mails immer länger werden, möchte ich mich aus Platzgründen nun mit dieser von Ihnen verabschieden. Aber auch um der Liebe noch ein paar 12-Uhr-Nachts-Geheimnisse zu lassen. Und deshalb auch nichts zum Betrug sagen, ein Wort, das ohnehin keinen schönen Klang hat. Und nur so viel zum Jeder-darf-alles-und-alle-in-unserer-Beziehung-Gedanken: Das will meist nur der eine, der andere glaubt lediglich, er akzeptiere es aus freiem Willen...
  • Ich möchte lieber noch eine kleine Geschichte über Zeichen der Liebe erzählen. Vor zwei Jahren reiste ich zu dem Nomadenvolk der Tuwa im äußersten Westen der Mongolei, in das Altai-Gebirge. Als ich am ersten Morgen zum Fluss ging, kam einer der Männer auf mich zu. Er befühlte meinen Oberarm und roch kurz an mir. Die Tuwa nehmen den Menschen zunächst durch die Nase wahr, heißt es. Ab diesem Moment war ich die Freundin von Papisan, dem Obertonsänger. Der mich auch weiterhin gern hatte, als ich nach einigen Tagen nur noch nach Deo, Sonnencreme und Hammelfett roch. Manchmal auch nach Wodka. Ungewaschen, weil ich mich nicht im Fluss waschen durfte. Denn der ist heilig. Papisan stieg jeden Morgen, bevor die Sonne aufging, auf den Berg hinter meiner Jurte. Und wenn er wieder abstieg, kam er zur Jurte und überreicht etwas. Eine Feder, einen Bergkristall. Und einmal, als wir Wildzwiebeln, Johannisbeeren und Kräuter sammeln gingen, blieb er plötzlich stehen und ritzte etwas in den Schiefer, aus dem der halbe Altai besteht. Zwei Schwäne auf einem See, die ihre Hälse zu einem Herz verknoten, im Hintergrund eine Jurte, aus der Rauch aufsteigt. Dann deutet er auf sich und auf mich. Dieser Moment war mir damals peinlich. Ziemlich sogar. Ich mag ja nicht das Offensichtliche, eher das Beiläufige. Zum Abschied nach zwei Wochen legte er seine Hand auf mein Herz (na ja, vielleicht auch, weil es direkt über dem Busen liegt) und sagte mir Dinge, die ich nicht verstanden habe, weil ich seine Sprache nicht spreche. Das Herz ist für die Tuwa der Ort, wo die Angst und der Mut eng beieinander hocken. Und dann schlang er mir einen roten Faden mit einem kleinen Knochen, dem Kniegelenk eines Wolfes, um den Hals. Mit den Nomaden zu gehen heißt, etwas zu empfangen, ohne danach zu suchen, sagt man.
  • Und Herr Glattauer, auch, wenn wir nun ausdauernd über die Liebe geschrieben habe, in ihrem Wesen ist sie doch so: einfach, klar, schnörkellos, ohne Scham und ohne Umwege, zu Halbheiten nicht fähig, nicht wahr? Der Altai hat nun eine Felszeichnung, die von mir und einem kleinen Obertonsänger erzählt, und vielleicht steht in tausend Jahren jemand davor und denkt sich seine ganz eigene Geschichte dazu. Und vielleicht liest jemand in ein paar hundert Jahren in einer riesigen Digital-Bibliothek unseren konservierten E-mail-Dialog. Was mag er denken? Über unseren Blick auf die Liebe, über Männer und Frauen in unserer Zeit? Herr Glattauer, ich werde Ihre mails, die mir vieles erzählt haben, von dem ich vorher gar nicht wusste, dass ich es wissen will, bestimmt ein wenig vermissen.Ihre Beatrix Gerstberger
  • Liebe Frau Gerstberger, ein schönes Erlebnis im Altai-Gebirge! Sollte ich wieder ein Buch über Liebesangelegenheiten schreiben (was sehr wahrscheinlich ist), dann haben Sie mir hiermit bereits eine Cover-Idee geliefert: die beiden Schwäne mit ihren zum Herzen verknoteten Hälsen. Naja, kommt wahrscheinlich zu kitschig rüber, aber dafür bin ich leider sehr anfällig. Ich bin übrigens auch ein leidenschaftlicher Liebeszeichensammler. Hier, hinter meinem Schreibtisch, sind einige Läden voll solcher Erinnerungen, die ich von der Pubertät bis ins Pensionsalter hinüberretten werde. Besonders wertvoll: ein gebastelter Adventkalender, Jahrgang 1980, bestehend aus durchnummerierten Walnussschalen (jeweils zwei Hälften, zugeschnürt zu vollständigen Nüssen), in denen sich je ein kleines zerknülltes Zettelchen befindet, auf dem eine Liebesbotschaft von Babsi an mich geschrieben steht. Damals durfte ich jeden Tag eine Nuss öffnen und hatte mich diese 24 Tage so intensiv geliebt gefühlt wie selten danach, was mich selbst natürlich in irre Verliebtheit in Babsi gestürzt hat, für die ich ein Liebesgedicht nach dem anderen geschrieben habe. Fatalerweise war unsere "Beziehung" wenige Wochen später zu Ende. - Wir hatten es zwar blendend verstanden, Zeichen zu setzen, aber wir konnten sie im Zusammensein nicht umsetzen.
  • So. Nun bleibt mir, Ihnen am Ende "einfach, klar, schnörkellos, ohne Scham und ohne Umwege" danke für das anregende, spannende, manchmal sogar aufwühlende, jedenfalls ungewöhnlich offene Gespräch zu sagen! Und wir beide, Frau Gerstberger, können uns ja gelegentlich "off the records" weiter unterhalten. Ein gutes, sich niemals erschöpfendes Thema haben wir ja schon. Alles Liebe aus Wien und schöne Grüße in den Norden!
  • Daniel Glattauer
Text: Beatrix Gerstberger Fotos: Patrick Ohligschläger, Deuticke/corn.at Ein Artikel aus der BRIGITTE 13/09

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