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Ein Graffiti-Märchen erobert die Welt

Ein Graffiti-Märchen erobert die Welt
© Herakut
Sie verwandeln Häuserwände in Märchen-Welten: Jasmin Siddiqui und Falk Lehmann alias Herakut gehören zu den erfolgreichsten Graffiti-Künstlern der Welt. Jetzt ist ihr größtes Projekt fertig geworden: ein Kinderbuch, verteilt über den ganzen Globus.

Kinder und Künstler haben eines gemeinsam: Ihre Fantasie kennt keine Grenzen. Für das deutsche Künstlerduo "Herakut" stimmt das sogar in zweierlei Hinsicht. Nicht nur ihre Fantasie ist grenzenlos, sondern auch ihre Kunst: Ein Jahr lang reisten die beiden Graffiti-Künstler um die Welt und malten in 20 verschiedenen Metropolen, von San Francisco bis Kathmandu, meterhohe Bilder auf Häuserwände. Eine wahrhaft gigantische Kunstaktion, die sich weder an Ländergrenzen noch an die Maße von herkömmlichen Leinwänden hält. Doch was steckt hinter dem riesenhaften Vorhaben? Der Titel des Projektes verrät es: "The Giant Storybook " lässt sich mit "Das riesige Bilderbuch" übersetzen. Gemeinsam bilden die Wandbilder die Seiten eines grenzübergreifenden Kinderbuches.

Für das "Giant Storybook Project" waren Herakut 2013 unter anderem in Kathmandu unterwegs.
Für das "Giant Storybook Project" waren Herakut 2013 unter anderem in Kathmandu unterwegs.
© Herakut

Mit dem Projekt erfüllen sich Jasmin Siddiqui alias "Hera" und Falk Lehmann alias "Akut" einen Lebenstraum: eine zusammenhängende Bilderserie, die Betrachter auf der ganzen Welt miteinander verbindet. Seit 2004 arbeitet das Duo zusammen und gehört heute zu den erfolgreichsten Streetart-Künstlern der Welt. Wobei Herakut den Begriff „Künstler“ nicht gern hören: "Künstler sind eigenbrötlerisch und schotten sich gern von der Außenwelt ab. Aber wir machen genau das Gegenteil. Durch unsere Bilder mischen wir uns in unsere Umgebung ein. Wir wollen den Menschen das Tor zu ihrer eigenen Fantasie öffnen", erklärt Jasmin.

Auch in Melbourne in Australien sind die Helden aus dem Kinderbuch von Herakut zu finden.
Auch in Melbourne in Australien sind die Helden aus dem Kinderbuch von Herakut zu finden.
© Herakut

Markenzeichen von Herakut sind ihre Mischwesen aus Mensch und Tier, die den Betrachter in eine Märchenwelt voller bunter Farben, Fabelwesen und philosophischen Sprüchen entführen. Trotz der Verträumtheit und Melancholie sind Herakuts Werke immer auch gesellschaftskritisch und politisch. Diese Mischung begeistert die Kunstwelt, Jasmin, 32, und Falk, 36, können schon lange von ihren Werken leben. Leinwände, die sie bemalen, werden von internationalen Galerien verkauft, viele Prominente gehören zu ihren Käufern. Der amerikanische Schauspieler Jim Carrey war von Herakuts Bildern sogar so begeistert, dass er sie eine ganze Wand im Garten seiner Villa in Los Angeles bemalen ließ. Trotz ihres Erfolges arbeiten die beiden Herakut nicht in New York oder Berlin, sondern haben sich ihr Atelier in Schmalkalden in Thüringen eingerichtet, Falk Lehmanns Heimatort. In dem Städtchen mit 20.000 Einwohnern haben die beiden ihre Ruhe und können sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren, ohne vom Großstadttrubel abgelenkt zu werden.

Der kreative, aber machthungrige Junge Jay ist der Star des Wandbildes in St. Ottilien, nahe Augsburg.
Der kreative, aber machthungrige Junge Jay ist der Star des Wandbildes in St. Ottilien, nahe Augsburg.
© Herakut

Warum entschieden sich Herakut für ihre bislang aufwändigste Arbeit nun ausgerechnet für ein Kinderbuch? Kinder haben sie beide noch nicht, aber sie fragten sich trotzdem immer öfter: Was wollen wir unseren Kindern später mit auf den Weg geben? Welche Werte wollen wir mit unserer Kunst vermitteln? Eine Antwort entdeckten sie auf ihren Reisen um die Welt. "Die Menschen konzentrieren sich viel zu sehr auf das, was sie von den Bewohnern anderer Länder unterscheidet. Dabei sollten wir uns vielmehr darauf fokussieren, was wir alle gemeinsam haben", beschreibt Jasmin den Leitgedanken des Projektes. Mit den zwanzig Wandbildern um den Globus wollen Herakut zeigen, dass es Themen und Ideen gibt, die alle Menschen auf der Welt gleichsam beschäftigen und verbinden, unabhängig von Heimatland und Lebensumständen. Um diesen Gedanken zu vermitteln, musste das Duo eine Möglichkeit finden, wie ihre Bilder auf der ganzen Welt verstanden werden können. Sie entschieden sich für ihre typische Tiersymbolik. "Niemand würde die Eigenschaften eines Rehs mit denen eines Löwen oder eines Affen verwechseln. Jedes dieser Tiere hat seit jeher eine feste Bedeutung, die überall auf der Welt, angelernt oder intuitiv, verstanden wird", erklärt Jasmin.

Über den Slogan der kommunistischen Partei in Nepal legten Herakut einem kleinen Äffchen die Botschaft in den Mund: "Bitte errichte etwas Sicheres für mich. Denn ich bin deine Zukunft."
Über den Slogan der kommunistischen Partei in Nepal legten Herakut einem kleinen Äffchen die Botschaft in den Mund: "Bitte errichte etwas Sicheres für mich. Denn ich bin deine Zukunft."
© Herakut

Als sich Herakut aufmachten, um die ersten Bilder zu sprayen, hatten sie aber weder ein Konzept, noch eine klare Handlung für das Kinderbuch im Kopf. Lediglich die zwei Hauptfiguren des Kinderbuches legten Herakut fest, das Geschwisterpaar Lily und Jay. Die Geschichte und die Charaktere der beiden Protagonisten sollten sich auf der Reise entwickeln, ebenso die einzelnen Bilder. "Uns war es wichtig, dass sich die Graffitis positiv in die Umgebung einfügen. Wir wollten, dass jedes Bild für sich verstanden werden kann und das Lebensgefühl der Stadt wiederspiegelt, in der es sich befindet", beschreibt Jasmin Siddiqui. In Frankfurt am Main trage das Bild zum Beispiel den Titel: "There is something better than perfection" - Es gibt etwas Besseres als Perfektion. Der Slogan des Graffitis soll einen Moment der Besinnung in die Finanzmetropole bringen und zeigen, dass es etwas Wichtigeres gibt als den vorherrschenden Überehrgeiz.

Vier bis fünf Tage dauert es, bis ein Graffiti wie das in Toronto in Kanada fertig ist.
Vier bis fünf Tage dauert es, bis ein Graffiti wie das in Toronto in Kanada fertig ist.
© Herakut

Mit dem Graffiti in Frankfurt am Main stellten Herakut das Abenteuer von Lily und Jay fertig. Entstanden ist die Geschichte von zwei gegensätzlichen Geschwistern, die erst zueinander finden müssen, um gemeinsam das Böse bekämpfen zu können. Lily ist wild, unvoreingenommen und hat keinerlei Vorurteile. Ihr Bruder Jay hat viel kreatives Potential - doch er lässt sich auch zur Macht verleiten. Die beiden Kinder wachsen in einer Welt auf, die der unseren nicht unähnlich ist. Doch alles ist symbolisch verpackt. So bekommen es Lily und Jay zum Beispiel mit dem Riesen zu tun. "Der Riese ist stark und mächtig. Er könnte mit seiner Kraft viel Gutes tun - aber er macht es oftmals nicht. Darum verwenden wir den Riesen gern als Symbol für die politischen Supermächte unserer Zeit", erklärt Jasmin. Die Affen, die Herakut oft in ihren Graffitis einsetzen, stehen für religiöse Naivität und leichte Beeinflussbarkeit.

Die Stadt Rochester in den USA wird nun von Herakuts grimmigen Riesen bewacht.
Die Stadt Rochester in den USA wird nun von Herakuts grimmigen Riesen bewacht.
© Herakut

Das Märchen tatsächlich umzusetzen, kostete Herakut viel Energie, Zeit und Geld. Aufgrund ihres straffen Zeitplans hatten sie vor Ort nur wenige Tage Zeit, um ihre Wandbilder zu malen - und das, obwohl ihr größtes Werk zwanzig Meter hoch und dreißig Meter breit ist. Dazu kamen, je nach Kontinent und Jahreszeit, Dauerregen oder starke Hitze, die das Malen schwer machten. Finanziert haben Jasmin und Falk das Projekt selbst, hauptsächlich durch den Verkauf von Skizzen des "Giant Storybook-Projects". Am Ende geht die Geschichte von Jay und Lily gut aus. Der größte Teil der Arbeit ist nun geschafft, die Bilder rund um die Welt sind fertig. Ob in Toronto, Florida, Manila, Johannesburg, San Francisco Berlin, Kathmandu oder Melbourne - überall prägen die riesigen Malereien von Herakut nun für viele Jahre lang das Stadtbild.

Für das "Giant Storybook Project" malten Herakut auch manchmal bei glühender Hitze oder im Dauerregen.
Für das "Giant Storybook Project" malten Herakut auch manchmal bei glühender Hitze oder im Dauerregen.
© Herakut

Gehört auch ein bisschen Größenwahnsinn dazu, die eigene Kunst in riesigen Ausmaßen über die ganze Welt zu verteilen? Vielleicht kein Größenwahnsinn, aber das Urbedürfnis des Menschen, gebraucht zu werden. "Falk und ich können der Welt nichts anderes bieten, als unsere Kunst. Wir sind weder besonders stark, noch schnell, können nur schlecht rechen und kein bisschen singen. Aber trotzdem möchten wir eine Aufgabe erfüllen, etwas Gutes tun und vielleicht auch ein bisschen gebraucht werden. Unsere Kunst ist unser Geschenk an die Welt", erklärt Jasmin Siddiqui. Im Augenblick sind Herakut dabei, die Texte für das Buch zu schreiben und mit verschiedenen Verlagen zu verhandeln. Die Zeichen stehen gut, dass das "Giant Storybook-Project" im Frühjahr 2014 als Kinderbuch erscheint. Welches Projekt Herakut danach planen, wollen sie noch nicht verraten. Doch man darf davon ausgehen, dass sie auch damit wieder jeden Rahmen sprengen werden.

Weitere Bilder und Infos über Herakut finden Sie auf thegiantstorybookproject.tumblr.com

Text: Teresa Pfützner

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