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Anna Maria Mühe: Wer so guckt, will was vom Leben

Schauspielerin Anna Maria Mühe ist mit 20 gut im Geschäft. Ein Profi will sie nicht sein - sie braucht die Unsicherheit für ihre Rollen.

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Plötzlich taucht sie auf im Eingang des Berliner Cafégartens. Hellblauer Rock, pastellrosa T-Shirt, ein blasses Gesicht mit weichen Kinderwangen. Etwas gehetzt hält sie Ausschau, huscht dann unauffällig zwischen den anderen Tischen hindurch, reicht schließlich eine schmale Hand zum Händedruck und murmelt ein leises "Hallo". Auf den ersten Blick könnte man Anna Maria Mühe für ziemlich schüchtern halten. Und sich bestätigt fühlen, wenn sie ernsthaft und zurückhaltend auf alle Fragen antwortet, dabei kein Wort zu viel sagt und irgendwann im Gespräch plötzlich artig wie ein Schulmädchen fragt, ob sie mal eben auf die Toilette gehen kann.

Dabei gilt die 20-Jährige als „"Jungstar" und "Zukunftshoffnung" des deutschen Films, spätestens seit sie letztes Jahr neben Daniel Brühl und August Diehl im Kinodrama "Was nützt die Liebe in Gedanken?" Publikum und Kritiker begeisterte. Und die Hoffnungsträger der Glitzerbranche stellt man sich irgendwie frecher vor. Doch wer hinter ihren weichen Gesichtszügen nur kindliche Naivität vermutet, den belehren die sehr großen, sehr blauen Augen eines Besseren: Klar und direkt richten sie sich auf ihr Gegenüber, ganz offen und unbeirrt. Wer so guckt wie Anna Maria Mühe, will etwas vom Leben. Und traut sich zu, was er will.

Anna Maria Mühe will schon als Kind vor allem eins: Schauspielerin werden. Das liegt auch an den Eltern. Als Anna 1985 in Ostberlin zur Welt kommt, sind Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann in der DDR gefragte Schauspieler. Nach der Wende hat vor allem der Vater weiter viel Erfolg, spielt an den großen Theatern und fürs Kino und landet mit der ZDF-Serie "Der letzte Zeuge" einen Publikumsrenner. Die Tochter wächst auf neben Bühnen und Filmsets, der Berufswunsch ist also keine Überraschung. Wie er dann Wirklichkeit wird, allerdings schon. "Irgendwie Schicksal", sagt Anna. Mit Freunden hockt die damals 15-Jährige in einer Kneipe in Berlin-Wilmersdorf und ist genervt - weil eine Frau am Nebentisch sie ständig anstarrt. "Du bist es", sagt die Unbekannte irgendwann, "du bist die Kati." Die Regisseurin Maria von Heland hat die Hauptdarstellerin für ihren Kinofilm gefunden - ohne die Schauspieler-Eltern zu kennen. Und Anna Maria Mühe bekommt die erste Rolle ihres Lebens.

Nie hat sie vorher etwas gespielt, nicht im Schultheater und auch nicht in kleinen Film- oder Fernsehrollen wie so viele Schauspieler- Kinder. Die Eltern sind ohnehin gegen die Pläne der Tochter, es gibt Stress zu Hause. "Sie wollten mich beschützen", sagt Anna heute gutmütig. Schließlich wissen beide um die Fallstricke des Berufes, der alles fordert und nichts garantiert. Und überhaupt: erst mal die Schule fertig machen. Anna aber setzt sich durch, in einer merkwürdigen Rebellion: Die Tochter grenzt sich von den Eltern ab, indem sie in ihre Fußstapfen tritt. Vieles hat sich seitdem verändert. Die Schule hat sie ohne Abi geschmissen, hat neue Freunde, viele davon Schauspieler wie sie. Bei der Mutter ist sie ausgezogen, verdient ihr eigenes Geld, ist gefragt und läuft bei Premieren über den roten Teppich. „Große Mädchen weinen nicht“ heißt der erste Film, ein feinsinniges Teenager-Drama. Als er Ende 2002 in die Kinos kommt, weint eine doch: Annas Mutter. Weil es sie umhaut, wie die Tochter spielt: Als hätte sie nie etwas anderes gemacht - und dennoch mit der besonderen Kraft des unbeschwerten Anfangs. Nicht nur die Eltern sind danach überzeugt, auch Regisseurin Maria von Heland staunt über ihre Entdeckung: "Sie spielt alles genau, wie es sein muss. Ihr Timing ist perfekt, und sie hat alle Emotionen in sich."

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Ein großes Versprechen war dieses Debüt. Mittlerweile hat Anna Maria Mühe es eingelöst und in höchst unterschiedlichen Rollen bewiesen, das es kein Zufallstreffer war. So verdrehte sie im Kinofilm "Was nützt die Liebe in Gedanken?" als erotisches Luder Hilde den Männern reihenweise den Kopf, wandelte sich im ZDF-Drama "Delphinsommer" von der angepassten Sektenjüngerin zum aufbegehrenden Teenager und zeigte im Brandenburger "Polizeiruf 110" intensiv die Seelenqualen eines Vergewaltigungsopfers, dem keiner glaubt.

Immer hat sie überzeugt. Weil sie immer ganz eins mit ihrer Rolle ist und doch ganz unverwechselbar: mit einem Gesicht, in dem sie Freude und Trauer, Empörung und Verzweiflung, Wut und Lebenslust in großer Reinheit zeigt. Mit ihrem Lächeln zwischen Kind und Frau, mal kokett, mal anmutig, mal traumverloren. Und mit einem Körper, der immer mitspielt, auch im Fernsehen, dem Medium der Großaufnahmen. Dabei zeigt sie die großen Gefühle oft mit kleinen Bewegungen - aber auch mit Explosionen der Lebensfreude wie in "Delphinsommer": Wer gesehen hat, wie sie in diesem Sekten- Drama als Nathalie im elterlichen Wohnzimmer heimlich zur verbotenen Musik tanzt und sich damit befreit von allem, was vorher Leben und Liebe unterdrückt hat, vergisst die Kraft dieses erotischen Ausbruchs und Aufbruchs nicht so schnell. Tanzen begeistert sie; Ballett und Breakdance, HipHop und Jazztanz hat sie gelernt. Und träumt davon, mal einen Tanzfilm zu drehen.

Wie kriegt man es hin, so jung schon so gut zu sein? "Ich mache das sehr aus dem Bauch heraus", sagt sie. Ihren Rollen nähert sie sich von innen, versucht - begleitet von einer privaten Schauspiellehrerin - sich in jeden Gedanken, jede Handlung genau hineinzufühlen. Das ist die Voraussetzung. Doch warum sie dann vor der Kamera eine bestimmte Bewegung so macht und nicht anders, das kann sie meistens nicht erklären. "Das kommt, oder es kommt halt nicht."

Von der Mutter hat sie die Augen, vom Vater die eigenwillige Mundpartie. Und von beiden die Begabung. Klar, dass Anna Vergleiche fürchtet und Angst hat, ewig als "Tochter von . . . " verbucht zu werden. Interviews gemeinsam mit dem Vater lehnt sie ab. Sie will sich abgrenzen, gerade weil die Bewunderung so groß ist. Ihre Eltern sind für sie "die großartigsten Menschen der Welt". Verbunden sind die beiden allerdings nur noch im Stolz auf die Tochter: Sie trennten sich früh, Anna war damals vier. Und ihre vier Halbgeschwister (darunter Andreas Mühe, der sie für BRIGITTE fotografiert hat) stammen aus drei anderen Verbindungen der Eltern. Anna schätzt die Vorteile des Patchwork-Verbandes: "Bei uns gibt es keinen Geschwisterstress, weil wir nie einen gemeinsamen Alltag gelebt haben. Wenn wir uns sehen, ist es einfach innig und schön."

Über die schmerzhaften Erfahrungen eines Scheidungskindes spricht sie nicht - die benutzt sie lieber für ihre Arbeit: in "Große Mädchen weinen nicht" zum Beispiel, ihrem Einstieg ins Filmgeschäft. Da schlagen sich die Teenager nicht nur mit eigenen Problemen herum, sondern auch mit denen der Alten, die in kaputten Ehen erstarren oder durch ihre Seitensprünge alles zerschlagen. "Ich bin mit der Figur der Kati wahnsinnig gewachsen und habe einen riesigen Sprung gemacht. Das war genau derselbe Gefühlsprozess."

Auch von der verführerischen Hilde in "Was nützt die Liebe in Gedanken?" hat sie Wichtiges gelernt. "Das Flirten", lacht sie. "Das ist mir geblieben." Einen festen Freund gibt es trotzdem nicht. Jemanden zu finden, der akzeptiert, dass die Freundin immer wieder wochenlang zum Drehen unterwegs ist und dabei noch ab und zu mit dem Filmpartner rumknutscht - das sei gar nicht so einfach. Schade, findet sie. "Aber so isses." Der Beruf geht vor, erst mal.

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Fühlt sie sich nach vier erfolgreichen Jahren als Profi? "Nein, auf keinen Fall. Und die Unsicherheit ist gut für mein Spiel." Sie will lernen, immer weiter und auch jetzt noch, wo ihr die Regisseure immer mehr zutrauen und der Erwartungsdruck steigt. Mindestens einmal in der Woche geht sie zum Schauspielunterricht, bereitet sich vor auf Castings und Rollen. Technik ist nötig, das weiß sie mittlerweile, um im Wechselspiel zwischen Realität und Fiktion die Seele nicht aufzureiben. Aber sie glaubt auch, dass zu viel Technik ersticken kann - und will deshalb nicht auf eine Schauspielschule. "Ich hätte Angst, dort meine Naivität zu verlieren, mich in etwas hineinstopfen zu lassen, was ich nicht bin."

Die Gefahr, die Blitzlichter der Fotografen für das wahre Leben zu halten und abzuheben, besteht bei ihr nicht. Dazu weiß sie zu gut, was wirklich wichtig ist - vor allem seit ihre Mutter vor einigen Jahren an Krebs erkrankte und immer wieder mit Rückfällen zu kämpfen hatte. "Das sind Hammerschläge", sagt die Tochter und dass sie sich seitdem schwer tut, die ganz normalen Krisen - ihre eigenen und die ihrer Freunde - so ernst zu nehmen, wie es mit 20 Jahren vielleicht normal wäre. Das Wissen darum, wie schnell alles vorbei sein kann, ist Last und Kraftquelle zugleich: "Ich koste das Leben dadurch mehr aus und genieße es viel intensiver." Mit der Mutter beim Italiener um die Ecke zu sitzen, mit den Freunden an der Spree zu feiern, in Horrorfilme zu gehen oder sich bei Spiele-Abenden auszutoben - "sone Sachen", sagt sie, machen sie glücklich. Und wenn nächstes Jahr die Fußball-WM läuft, hätte sie am liebsten drehfrei. Denn beim Lieblingsitaliener vor dem Fernseher mitzugrölen, das wäre das Größte.

Text: Julia Baumgart Fotos: Andreas Mühe<br/><br/>BRIGITTE 20/05

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