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Doku "Tall Girls": Wie lebt es sich als große Frau?

Frauen, die größer als 1,80 Meter sind, verdienen oft mehr Geld als kleine - weil sie kompetenter wirken. Trotzdem bekommen viele als Mädchen Hormone gegen das Wachstum. In ihrer Dokumentation "Tall Girls" hat Edda Baumann-von-Broen einige von ihnen begleitet.
Michelle Buswell ist 1,88 Meter groß - und damit selbst in der Modelbranche eine Exotin.
Michelle Buswell ist 1,88 Meter groß - und damit selbst in der Modelbranche eine Exotin.
© avanti media

BRIGITTE: Sie haben sieben Jahre an Ihrer Dokumentation "Tall Girls" gearbeitet - ganz schön lang!

Edda Baumann-von-Broen: Am Anfang war das nur ein Nebenprojekt. Ich habe lange hin- und herüberlegt, was für einen Film ich machen möchte. Erst wollte ich einen wissenschaftlichen Dreh, dann einen kulturellen - am Ende ist es ein persönlicher Film geworden. Ich bin selbst 1,86 Meter groß. Und ich würde mich auch gar nicht so viel damit beschäftigen, wenn es andere nicht ständig täten. Es passiert immer noch, dass ich am Flughafen stehe, eine Asiatin auf mich zukommt und mich fragt, wie groß ich sei und welche Schuhgröße ich habe. Hallo? Ich frage ja auch keinen Fremden: "Wie viel wiegen Sie denn eigentlich?"

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie auf die Idee brachte, den Film zu machen?

Als meine Tochter in den Kindergarten kam, fiel mir auf, wie viel die Leute über ihre Größe redeten. Nach einer Rangelei im Sandkasten hieß es: "Deine Tochter muss doch vernünftiger sein, die ist doch viel älter." Dabei war sie genauso alt wie die anderen. Sowas ist mir als Kind auch widerfahren. Noch immer empfinden wir Mädchen, die außerhalb der Norm sind, als anders. Da ist doch merkwürdig! Und so begann ich, zu recherchieren.

Über Hormonbehandlungen, die das Wachstum stoppen sollen.

Es war wahnsinnig schwer, Zahlen zu bekommen. In den 50er, 60er Jahren bekamen viele Mädchen hohe Östrogen-Dosen gegen ihr Wachstum - was bei einigen zu Fehlgeburten und einer Vorstufe von Krebs in der Gebärmutter geführt hat. Früher wurde über das Thema Hormonbehandlung kaum gesprochen. Inzwischen haben die Ärzte ihre Methoden ein wenig umgestellt. Lea, eine der Protagonistinnen, spritzt sich zum Beispiel Sandostatin - ein Mittel, das eigentlich Krebspatienten gegen das Tumorwachstum bekommen. Für Kinder ist es nicht offiziell zugelassen.

War es schwierig, große Mädchen und Frauen zu finden?

Bei denen, die Wachstumshormone genommen haben, ist es nie an den Familien gescheitert, sondern an den Krankenhäusern und Ärzten. Den Medizinern ist schon klar, dass das gesellschaftlich nicht mehr so anerkannt ist wie früher.

Die Regisseurin
Edda Baumann-von-Broen lebt in Berlin und gehört mit ihren 1,86 Metern auch zu den "Tall Girls".
© avanti media

Zögern Ärzte heute länger, bevor sie in das Wachstum eingreifen?

Sie sind sensibilisiert worden. Und auch die Eltern hinterfragen mehr. Mein Hausarzt sagte meinem Vater damals: "Na, die wird aber groß, da können wir doch was machen!" Mein Vater hat sich zum Glück geweigert. Man muss als Eltern frühzeitig eine Haltung dazu haben. Denn eine Hormontherapie hat Folgen: Die Mädchen kommen sehr schnell in die Pubertät, viele nehmen unheimlich zu. Deshalb ist man vorsichtiger geworden.

Bei Ihrer Tochter haben Sie die Handwurzelknochen erst gar nicht messen lassen, damit nicht in ihr Wachstum eingegriffen wird.

Warum sollte ich meiner Tochter Hormone geben? Sie ist jetzt 13 Jahre alt und 1,80 Meter groß. Meiner Meinung nach ist eine Hormontherapie nicht mehr als ein Blick in die Kristallkugel. Man weiß nicht, ob und wie viel es bringt. Anders ist das bei der Knie-Operation, wo die Wachstumsfuge geschlossen wird. Danach bleiben die Beine zumindest um dieses Stück kürzer. Das ist wenigstens messbar, ich finde es aber trotzdem fragwürdig. Zum Glück haben inzwischen einige Frauen, die selbst Hormone genommen haben, Selbsthilfegruppen gegründet und versuchen, Eltern davon abzuhalten. Und selbst die Knie-OP kann schief gehen: Manche Betroffene können danach keinen Sport mehr treiben oder nicht mehr lange sitzen. Die grundsätzliche Frage ist doch: Warum muss man das Wachstum bei Mädchen aufhalten? Wo ist das Problem?

Die Norm gibt vor, dass Frauen klein und zierlich zu sein haben.

Junge Mädchen möchten einen Freund haben, der größer ist. Viele überragen aber mit 13, 14 die Jungs in der Klasse. Sie haben die Vorstellung, dass der Prinz auf dem weißen Pferd daherkommt und sie mitnimmt. Weiblichkeit in der Größe zu finden, dauert eine Weile. Die Normierung in der Gesellschaft, der Selbstoptimierungswahn ist größer geworden als in den 80ern. Heute ist es noch schwieriger, wenn man auffällt, ohne es zu wollen.

Gerade in der Pubertät ist das nicht leicht.

Weil andere natürlich auch mal gemein sind. Selbst Lehrer sind oft unsensibel. Da steht eine Jugendliche vor ihrer Lehrerin, die viel kleiner ist, und dann sagt sie: "Jetzt hörst du aber mal auf zu wachsen, oder?" Das ist pädagogisch nicht sinnvoll, aber es rutscht einem eben manchmal raus. Ich wünsche mir einen viel natürlicheren Umgang damit. Wir haben genügend andere Probleme auf der Welt.

Was für Zuschreibungen bekommen große Menschen denn verpasst?

Eine meiner Protagonistinnen, Arianne Cohen, hat dazu ein Buch geschrieben, "The Tall Book". Daraus geht hervor: Große Frauen heiraten seltener als kleinere Frauen, verdienen aber pro Inch (= 2,54 cm) Körpergröße im Leben eine Million Dollar mehr. Es stimmt, dass große Frauen oft Vorteile im Beruf haben. Wir wirken kompetenter, vernünftiger, weniger weiblich und können deshalb auch in Männerdomänen bestehen. Auf der anderen Seite ist die Partnerwahl ein bisschen schwieriger. Natürlich findet auch jede große Frau einen Freund. Die Auswahl ist nur kleiner - und die Männer dürfen nicht unsicher sein.

Was möchten Sie mit Ihrem Film erreichen?

Wenn große Menschen in der Familie ein Vorbild haben, jemanden, der Größe positiv besetzt, kommen sie gut damit klar. Und sobald ein Mädchen eine ebenso große Freundin findet, ist alles in Ordnung. Andernfalls kann es lange dauern, eine positive Haltung zum Großsein aufzubauen. Ich hoffe, dass viele Mütter den Film sehen werden. Wir sind verantwortlich dafür, wie unsere Töchter aufwachsen, ob wir das möchten oder nicht. Was wir tun, hat einen großen Einfluss auf die Kinder. Mütter, die ständig Diät halten, sind auch kein gutes Vorbild. Wir sind die Herrscher der Kultur innerhalb der Familie.

In unserem Forum und auf der Facebook-Seite zum Film tauschen sich große Mädchen und Frauen aus. Die Fernsehfassung von "Tall Girls" läuft am Freitag, 24. Januar, um 22.30 Uhr auf ARTE und ist anschließend weitere sieben Tage in der Mediathek zu sehen.

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