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Schwestern auf der Film-Leinwand: Sie gehört zu mir

Die Beziehung zur eigenen Schwester ist eine der intensivsten im Leben einer Frau. Wie schön das ist und wie weh das tut, untersuchen gleich vier neue Filme - und alle sind sehenswert.

Je kälter der Wind weht in dieser unverständlichen, globalisierten Welt und grausige Schlagworte hereinträgt - "Wirtschaftskrise!", "Terrorismus!", "Klimawandel!", "Deutsche Bahn!" -, je mehr wir da draußen also stolpern und schlingern, umso enger rücken wir wieder mit denen zusammen, die uns Halt geben, wenn alles andere zusammenbricht: unseren Familien.

Es ist also keine Überraschung, dass das Kino in seiner Eigenschaft als Suppentopf der Weltstimmung gerade jetzt gleich vier Filme hochkocht, in denen sich engste Verwandte zu neuer Gemeinschaft zusammenraufen müssen. Besonders daran ist aber, dass sich alle Geschichten auf die gleiche Familienkonstellation konzentrieren: die Beziehung zwischen Schwestern.

Kein anderes Verwandtschaftsverhältnis ist so sehr gleichermaßen von Spannung und tiefer emotionaler Bindung geprägt. Schwestern können engste Freundinnen und erbitterte Rivalinnen, sich sehr nah oder völlig fremd sein - ihre Verbindung hält ein Leben lang, ob sie wollen oder nicht. "Die Beziehung zur eigenen Schwester ist die intensivste im Leben einer Frau", sagt die Soziologin Corinna Onnen-Isemann, Professorin an der Uni Vechta und Mitautorin des Buches "Schwesterherz - Schwesterschmerz". Natürlich verändere sich das Verhältnis im Laufe der Zeit. "Aber am Ende, wenn Ehen geschieden werden, die Kinder aus dem Haus gehen oder ein Elternteil stirbt, wenn also etwas passiert, was die Struktur beeinflusst, dann rücken Schwestern wieder zusammen."

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Tatsächlich sind es auch in den vier aktuellen Kinofilmen widrige äußere Umstände, die die jeweiligen Schwestern dazu zwingen, wieder mehr am Leben ihrer weiblichen Blutsverwandten teilzunehmen: In "Rachels Hochzeit" (ab 2. April im Kino) darf Kym (Anne Hathaway) für ein paar Tage die Reha-Klinik verlassen, in der sie gegen ihre zerstörerische Drogensucht kämpft, um der Hochzeit ihrer älteren Schwester Rachel beizuwohnen. In "Sunshine Cleaning" (startet am 16. April) ist es ihre miserable finanzielle Situation, die Rose (Amy Adams) und Norah (Emily Blunt) zur Zusammenarbeit zwingt und ein kleines Familienunternehmen gründen lässt, bei dem sie Tatorte reinigen - also Blut und andere Körpersäfte von Wänden und Teppichen schrubben. In der Hollywood-Groteske "Happy Tears" (lief im Februar als Wettbewerbsbeitrag auf der Berlinale) ist es die Sorge um die Zukunft ihres dementen Vaters, die Jayne (Parker Posey) und Laura (Demi Moore) widerwillig zurück in ihr Elternhaus treibt. Und in dem deutschen Melodram "Ob ihr wollt oder nicht" (ab 30. April) ist es der bevorstehende Tod der krebskranken Laura (Katharina Schubert), die ihre Chemotherapie abgebrochen hat und noch einmal ihre drei älteren Schwestern um sich versammelt, obwohl die sich eigentlich schon lange nichts mehr zu sagen haben.

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Alle vier Geschichten haben eine auffällige Gemeinsamkeit: Egal, ob sich die Filmschwestern vorher nur selten gesehen haben oder nicht - sie fallen sofort wieder in die alten Rollenverteilungen und Rituale ihrer Kindheit, sobald sie aufeinandertreffen. Eine Szene des Viermädelhauses in "Ob ihr wollt oder nicht": Dort verbringen die ungleichen Schwestern einen Nachmittag auf dem Dachboden ihrer Eltern, wo sie in alten Karnevalskisten und Erinnerungen kramen. Dabei bilden die lebenslustige Designerin Toni (Julia-Maria Köhler) und die coole Geschäftsfrau Susa (Christiane Paul) sofort eine Phalanx gegen die hausbackene Coco (Anna Böger), das Muttertier, das sich früher von den Schwestern hat ebenso gängeln lassen wie nun von ihrem garstigen Ehemann. Und so wird Coco auch an diesem Nachmittag weder Cowboyhut noch Indianerschmuck tragen, sondern die trutschige Siedlerinnen-Haube, die Laura in einer der Kisten wiederentdeckt.

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"Auch in hohem Alter fußen die Beziehungen zwischen Schwestern auf Strukturen, die sie als Kind erlebt haben", bestätigt Corinna Onnen-Isemann. Dabei benutzen sie immer die gleichen Tricks, um einander in Schach zu halten. Und fallen gleichzeitig selbst darauf herein. Schwestern wissen eben genau, wo sie ansetzen müssen, um die andere mit einer Bemerkung zu trösten oder zu vernichten. So freuen sich Rachel und Kym in "Rachels Hochzeit" zunächst aufrichtig über ihr Wiedersehen und begutachten einander nach der langen Zeit: "Du siehst total toll aus!", sagt Rachel bewundernd. "Nein gar nicht wahr, ich bin total fett!", antwortet Kym und schiebt nach: "Aber du! Ich geh jede Wette ein, dass du wieder kotzt."

Konkurrenzsituationen entstehen zwischen Schwestern viel eher als zum Beispiel zwischen Brüdern und Schwestern. Mädchen, die mit Brüdern aufwachsen, führen Eifersucht und Neidgefühle eher auf Benachteiligungen bei den Geschlechterrollen zurück und trösten sich mit dem Gedanken, dass Frauen es in vielen Dingen einfach schwerer haben. Zwei Mädchen spiegeln sich dagegen viel direkter im Lebenslauf der anderen. Wenn ein Lehrer dann sagt: "Deine Schwester war in Mathe viel besser als du" oder die Eltern klagen "Deine Schwester ruft aber viel öfter an", trifft der Vorwurf unmittelbar, direkt ins Schwesterherz.

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So innig das Verhältnis sein kann, so bissig kann es werden, wenn eine beispielsweise Karriere macht, während die andere sich für das klassische Familienmodell entscheidet (wie eben in "Ob ihr wollt oder nicht", wo die Schwestern einander heimlich um ihre Lebensentwürfe beneiden). Dennoch brechen Schwestern fast nie den Kontakt zueinander ab. Der soziale Druck ist viel größer als bei Brüdern oder Geschwistern unterschiedlichen Geschlechts. Von Frauen wird erwartet, dass sie sich gemeinsam um familiäre Belange kümmern - wie in "Happy Tears" um die Eltern, die alt werden.

Bei Schwestern mit großem Altersabstand neigen die Älteren außerdem dazu, die Jüngeren zu beschützen oder sogar die Mutterrolle einzunehmen. In "Sunshine Cleaning" fühlt sich Rose seit dem Selbstmord der Mutter für Norah verantwortlich und zwingt sie in den haarsträubenden Putzjob - natürlich nur zu deren Besten ("Du willst doch nicht für den Rest deines Lebens bei Dad wohnen, oder?"). Auch das seien Rollenverteilungen, die bis ins Alter bestehen bleiben, sagt Corinna Onnen-Isemann. "Selbst 80-Jährige sagen über die 70-jährige Schwester noch 'Die Kleine hat mich schon immer genervt' oder 'Sie braucht doch meine Hilfe, ich kann hier nicht wegziehen'. Das Verantwortungsgefühl bleibt."

Auch Rachel hat den Beschützerinstinkt der erheblich älteren Schwester, spürt aber regelmäßig auch den Ärger darüber, die eigenen Bedürfnisse immer zurückzustellen. Als Kym eine missglückte Hochzeitsrede hält und dabei weniger ihrer Schwester gratuliert, sondern vielmehr im Selbstmitleid ihres eigenen verkorksten Lebens badet, flippt Rachel schließlich aus: Nicht einen einzigen Tag im Mittelpunkt des Geschehens könne die Schwester ihr gönnen.

So verschieden die vier Geschichten auch sind, am Ende überwiegt die Erkenntnis, dass sich die Schwestern viel mehr bedeuten, als sie vorher dachten. Und dass sie so dem kalten Wind da draußen ein kleines Stück Wärme entgegensetzen können. Es lohnt sich also, keinen der Filme zu verpassen. Mit der wachsenden Zahl an Einzelkindern wird das Genre des Schwesternfilmes ja vielleicht irgendwann ein rares Gut sein.

Text: Andrea Benda Mitarbeit: Julia Müller Ein Artikel aus der BRIGITTE 08/09

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