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Berlinale 2009: Ein filmreifes Wochenende

Was erlebt man als Gast auf der Berlinale? BRIGITTE.de-Redakteurin Katharina Wantoch hat aus ihren persönlichen Eindrücken ein kleines Drehbuch gemacht. Mit dabei u.a. Kurt Wallander, Gael Garcia Bernal, David Kross und ein Berliner Busfahrer. Leider nicht dabei: Fatih Akin.

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1. Szene: Samstagmorgen, 7.55 Uhr, Bahnhof Hamburg-Dammtor, eine Frau steht am Bahnsteig, müde und blass. Die Frau bin ich, die Visagistin (das bin ich auch) hat schlecht gearbeitet, meine Augenringe sind weithin sichtbar. Macht nichts, dieser Film will ja schließlich die ungeschminkte Wahrheit zeigen.

2. Szene: An den Fenstern des ICE ziehen graue, einsame Landschaften vorbei, Christian-Petzold-Terrain. Der zentrale Schauplatz meines Films, die 59. Berlinale, wird hoffentlich glamouröser ausfallen - trotz Finanzkrise. Die Stimme der Zugbegleiterin ertönt. Besser hätte man die Frau für diesen kurzen Auftritt nicht casten können. Ihre Ansage auf Englisch klingt durch und durch deutsch.

3. Szene: Ankunft in Berlin, ein Hotel in der Potsdamer Straße. Mein Zimmer ist noch nicht bezugsbereit. Schon jetzt, zu Beginn meines Films, wird deutlich, dass es sich um eine internationale Produktion handelt: Den Schlüssel für mein Hotelzimmer darf ich mir später im türkischen Grillimbiss "Istanbul" auf der anderen Straßenseite abholen.

4. Szene: Kino Potsdamer Platz, es läuft "Sturm" von Hans-Christian Schmid. Während die Anklägerin auf der Leinwand gegen einen Kriegsverbrecher kämpft, muss ich mich anderer Stürme erwehren. Von links werde ich angehustet, von rechts angeniest. Das stand zwar so nicht im Drehbuch, bildet aber die Realität ab: Deutschland 09, ein Land der Schnupfer und Huster.

5. Szene: Kurz vor Beginn der nächsten Pressevorführung. Zwei Berlinale-Gäste zetteln einen Zickenkrieg an - ohne dass ich nachhelfen muss. Gast A zu B: "Entschuldigung, könnten Sie bitte noch eins weiterrutschen, ich brauche die Plätze hier für zwei Freunde." Nichts passiert. Erst nach wiederholter Bitte räumt Gast B widerwillig und schimpfend ihren Platz. Darauf A: "Ich wollte Sie nicht beleidigen." Darauf B im gereiztesten aller möglichen Tonfälle: "Ich bin nicht beleidigt."

6. Szene: Wieder in der Potsdamer Straße. Ich hole meinen Schlüssel aus dem "Istanbul"-Grill. Der erhoffte Gastauftritt von Fatih Akin an diesem Ort bleibt leider aus.

7. Szene: Das Hotel besteht aus langen, verlassenen Fluren, der Junge aus "Shining" hätte hier mit seinem Dreirad viel Auslauf und Freude. Irgendwo ganz hinten liegt mein Zimmer. Schön, ruhig, groß, ich bin begeistert und kurz davor, einen Dankes-Döner zu kaufen.

8. Szene: Der "Sturm" lässt mich nicht los und weht mich am späten Abend zu seiner Premierenparty ins Spindler & Klatt, eine Fabrikhalle am Spreeufer. Laute Musik, viele Menschen, ein paar Häppchen, Getränke aus schwarzen und weißen Dosen. Die Schauspieler sind auch da. Kerry Fox, die Anwältin, Anamaria Marinca, ihre einzige Zeugin im Prozess, und Rolf Lassgard, Kerrys Liebhaber. Letzterer ist bei uns als ZDF-Wallander bekannt. Als ich ihn an der Bar erblicke, möchte ich ihm am liebsten sagen, dass er für mich der geborene Wallander ist und sich auch hier gerade sehr Wallanderkonform verhält. Lehnt am Tresen, hat einen Prosecco in der Hand, kurze Zeit später einen Rotwein, dann einen Weißwein, dann wieder Prosecco. Leider gesteht mir mein Drehbuch keine spontane Plauderei mit ihm zu. Die einzige, die das freut, ist meine Leber.

9. Szene: 2 Uhr nachts. Ich liege im Bett. Allein. Warum habe ich mir eigentlich für diese Nacht keinen Mann ins Drehbuch geschrieben? Wahrscheinlich, weil ich wusste, dass Gael Garcia Bernal erst in ein paar Stunden in Berlin ankommen wird.

10. Szene: Sonntagmorgen kurz vor 8 Uhr, im Frühstücksraum. Ich schiebe mir schnell ein Croissant rein ... Will das eigentlich jemand wissen? Ich glaube nicht, das schneide ich raus.

11. Szene: Ich lasse mich zum Berlinale-Schauplatz fahren, muss mit meinen Kräften haushalten. Der Busfahrer guckt mich fassungslos an, als ich ihn erst frage, ob er am Potsdamer Platz hält und dann auch noch die Dreistigkeit besitze, mich nach der richtigen Fahrkarte zu erkundigen. Wüsste ich nicht schon, dass ich in Berlin bin, spätestens jetzt wäre alles klar.

12. Szene: Auf der Leinwand "Gigante", der Wettbewerbsbeitrag aus Uruguay, im Kinosaal ein noch gigantischeres Hust- und Schniefkonzert als gestern. Hoffentlich wird mir das nicht als übertriebener Special-Effect ausgelegt.

13. Szene: Pressekonferenz-Saal am Nachmittag. Ein strahlender Gael Garcia Bernal sitzt auf dem Podium. Vor kurzem ist er Vater geworden, seitdem sieht er noch besser aus. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein neuer Film "Mammoth" nur Mittelmaß ist.

14. Szene (eingeschoben): Im letzten Moment hat David Kross (der junge Hauptdarsteller aus "Der Vorleser") doch noch zugesagt, in meinem Film mitzumachen. Für den sympathischen Shooting-Star schaffe ich gern Platz in meinem Drehbuch. Weil David keine Zeit hat, noch extra eine Rolle einzustudieren, gehe ich mit ihm seiner Hauptbeschäftigung der letzten Tage nach: Interviews führen. Nach "Frost/Nixon" nun also "Kross/Wantoch".

15. Szene: Ich sitze in einem asiatischen Restaurant und muss mir selbst einen Plagiats-Vorwurf machen. Das ganze Drehbuch erinnert doch gerade sehr an "Lost in Translation". Zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass kein Bill Murray an meiner Seite ist - und den alten Mann, der jetzt gerade in Badelatschen hereinkommt, möchte ich auch nicht zu meinem Murray machen. Also lieber die Aufmerksamkeit auf den Glückskeks richten, der in seiner pappigen Schale folgende Botschaft für mich bereithält: "Dies ist ein verheißungsvoller Monat." Wenn das kein Happy-End ist.

Text: Katharina Wantoch Foto:

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