Anzeige

"Tatort": Das Mordprogramm jetzt auch im Radio

Augen zu und Ohren gespitzt: Jetzt kann man den "Tatort" auch hören - in neuen Folgen, die nur fürs Radio produziert werden. BRIGITTE.de stellt den Radio-Tatort vor.

Der "Tatort" im TV

Baki Davrak spricht die Hauptrolle in "Der Emir"
Baki Davrak spricht die Hauptrolle in "Der Emir"
© WDR/Anneck

Wenn die Woche am Sonntagabend ihr Leben aushaucht, ist sie in ihrem Dahinscheiden nicht allein. Mindestens einen Toten, oft mehr, gibt es am Ende eines jeden Wochenendes in Deutschland im "Tatort" zu beklagen. Immer pünktlich ab 20.15 Uhr, immer im Ersten, und immer wird die Klärung der Todesumstände genau 90 Minuten in Anspruch nehmen. Der rituelle Sonntagabend-Mord und seine Aufklärung im "Tatort" sind eine der festen Größen einer deutschen Wochenstruktur, unabhängig von Alter, Einkommensklasse und sonstigen Interessen der Zuschauer.

Der Schriftsteller Maxim Biller hat in dem sehr guten "Tatort"-Sonderheft der Schweizer Kulturzeitschrift "du" über die gelungensten Folgen der Krimi-Reihe geschrieben: "Das ist viel besser und moderner als Büchners 'Woyzeck' und fast so gut wie 'Liebe ist kälter als der Tod' von Fassbinder. Denn auch hier geht es um die letzten Dinge, um die besonders gut versteckten Winkel der depressiven deutschen Seele, aber auf eine leichte, ungewöhnliche Fernseh-Art, die jeder verstehen kann und möchte, der Philosoph genauso wie die junge Frau aus dem Callcenter." (Das Special war in der September-Ausgabe von "du", ist ein Muss für jeden "Tatort"-Fan und kann beim Verlag nachbestellt werden unter Tel. 05 51/ 48 71 77 oder ).

Der "ARD Radio Tatort"

Was im Fernsehen seit 1970 die Zuschauer in Scharen vor den Bildschirm holt, soll es vom 16. Januar an auch im Radio geben. Unter dem Titel "ARD Radio Tatort" schicken die Wortprogramme der ARD eigene Ermittler-Teams auf Mörderjagd. Ein Mammutprojekt ist das, eine eigens fürs Radio produzierte Hörspielreihe nach dem Vorbild der beispiellos beliebten "Tatort"-Fernseh-Krimis. Genau wie dort hat jede Sende-Region ihr eigenes Polizei-Team, das turnusmäßig auf Sendung gehen wird. Und auch im "Radio-Tatort" soll Charakteristisches einer Region eine große Rolle spielen - so wie die Münchner TV-Kommissare eben mal auf dem Oktoberfest ermitteln oder fast jeder Lena-Odenthal-"Tatort" seinen Showdown in der Industriehafen-Kulisse von Ludwigshafen hat.

Das Ganze ist im Grunde eine berückend altmodische Idee: Ein Konzept, das im Massenmedium Fernsehen Erfolg hat, wird - für einen verschwindend kleinen Teil des Publikums - aufs Radio übertragen. Und eben nicht umgekehrt. Dass eine beliebte Hörspielreihe irgendwann auch fürs Fernsehen adaptiert wurde, schien in den 50er, 60er und 70er Jahren oft die logische Konsequenz. So trieb der "Pumuckl" zuallererst 1962 in einem begeistert aufgenommenen Radio-Hörspiel sein Unwesen, ehe er ein paar Jahre später - weiterhin mit der Stimme von Hans Clarin - den Meister Eder auch im Fernsehen zur Weißglut trieb. Auch die Abenteuer von Francis Durbridges "Paul Temple", Ende der 40er Jahre der allererste so genannte Straßenfeger im Radio, wurden um 1970 rum fürs Fernsehen verfilmt. Und die erste deutsche Soap aller Zeiten, die "Hesselbachs" des Hessischen Rundfunks, war elf Jahre lang im Radio gelaufen, ehe sie 1960 ins Fernsehen wanderte und den Fans da noch bis 1967 Ersatzfamilie war.

Und nun eben der andere Weg: Neun "Radio Tatort"-Teams gibt es vorerst (im Fernsehen sind es, Wien eingeschlossen, 15), für dieses Jahr sind 12 Sendungen geplant. Den Anfang macht der WDR am 16. Januar mit der Folge "Der Emir". Die Episoden des WDR spielen in Düsseldorf und Umgebung. Und in einem Punkt sind die Radioleute ihren TV-Kollegen klar voraus: Die Reihe startet offensiv mit dem afghanischstämmigen Kommissar Nadir Taraki, gesprochen von Baki Davrak. Im Fernsehen dagegen tritt erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres der erste Kommissar mit Migrationshintergrund seinen Dienst an - nach 38 Jahren "Tatort"-Geschichte. Im Auftrag des NDR zeigt dann Mehmet Kurtulus, dass ein deutscher Name nicht die zwingende Voraussetzung für eine Polizei-Dienstmarke ist.

Bislang haben es Polizisten nichtdeutscher Abstammung im "Tatort" höchstens bis zum Assistenten gebracht. Dem grummeligen Borowski in Kiel stand während seiner ersten Fälle der iranischstämmige Alim Zainalow, gespielt von Mehdi Moinzadeh, zur Seite, und in Hannover ermittelte Charlotte Lindholm ein paarmal mit Unterstützung einer armenischstämmigen Kollegin namens Belinda Uzman, gespielt von der großartigen (Deutschen) Catrin Striebeck. Beide haben die Reihe inzwischen verlassen. Nur Schimmi konnte immer auf seinen holländischen Kollegen Hänschen bauen, dessen Darsteller Chiem van Houweninge übrigens Autor und Regisseur vieler Schimanski-"Tatorte" war.

Der Düsseldorfer Radio-Kommissar Nadir Taraki steigt nicht gerade als Lichtgestalt ein. Nachdem bei seinem Einsatz als Undercover-Agent gegen einen libanesischen Menschenhändler, eben den "Emir", irgendwas schiefgelaufen ist, wurde er abgezogen und an den Schreibtisch verbannt. Den Großteil seiner Zeit verbringt er in Backgammon-Cafés. Doch weil Taraki eine lange zurückliegende Geschichte mit dem "Emir" verbindet, ist er der Einzige, der bei einer neuen Aktion gegen ihn als Lockvogel auftreten kann.

"Der Emir" entsteht: Baki Davrak und Tayfun Bademsoy im Tonstudio
"Der Emir" entsteht: Baki Davrak und Tayfun Bademsoy im Tonstudio
© WDR/Anneck

"Der Emir" ist, man muss das sagen, ein Start mit Schwächen. Die hoffentlich als Kinderkrankheiten verbucht werden können. Manches an der Geschichte ist so klischeehaft oder so bis zur Überdeutlichkeit ausgewalzt, als wollte man am Anfang keinen Zuhörer überfordern. Die Besetzung allerdings ist ermutigend: Baki Davrak war gerade im Kino in einer der Hauptrollen in Fatih Akins "Auf der anderen Seite" zu sehen, der in Kürze für Deutschland ins "Oscar"-Rennen geht. Tarakis Vorgesetzter Wilfried Suttner hat die Stimme des hervorragenden Rudolf Kowalski, im ZDF dauerpräsent als "Bella Blocks" Liebster und mit seiner eigenen Krimi-Reihe "Stolberg". Und auch eine alte "Tatort"-Bekannte ist dabei: Tatjana Clasing als Tarakis Kollegin Leonore Nadolny, die viele Jahre lang im Saarbrücken-"Tatort" die Lebensgefährtin von Kommissar Palü war.

Zwei richtig tolle Frauen haben zwei andere Sendeanstalten verpflichtet: Für den SWR wird die selber in Stuttgart geborene Karoline Eichhorn ermitteln, sie hätte auch jedem TV-"Tatort"-Team als Kommissarin zur Ehre gereicht. Die herbe und charismatische Darstellerin ("Der Felsen"), theater- und hörspielerfahren, war auch immer mal wieder in "Tatort"-Episoden im Fernsehen zu sehen, unter anderem in Münster und Bremen. Ihre schwäbische Kommissarin mit Namen Nina Brändle geht zum ersten Mal im März auf Sendung.

Und der NDR schickt die in Hamburg lebende Sandra Borgmann ins Rennen, die mit einer Rolle in dem mit Preisen überschütteten "Oi! Warning!" bekannt wurde, dem Debüt der Regisseur-Brüder Dominik und Benjamin Reding. Wieder unter der Regie von Dominik Reding war sie in der ambitionierten Hiphop-TV-Episode "Fette Krieger" die bisher einzige Frau, die Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) küssen durfte - und ist damit in die "Tatort"-Geschichte eingegangen. Als Kommissarin Bettina Breuer wird Borgmann im Radio ab April hoffentlich ihr eigenes Kapitel in dieser Geschichte schreiben.

Info

Wer einen Radio-"Tatort" verpasst, kann die Fälle im Internet nachhören.

Text: Stefanie Hentschel Fotos: ARD

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel