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"Bauer sucht Frau": Alleine unter Wölfen

Eigentlich suchte Schäfer Heinrich nur eine Frau. Das Problem: Neun Millionen Menschen schauten ihm dabei zu. Jetzt ist der "singende Schäfer" aus "Bauer sucht Frau" eine Art Star - und kommt damit überhaupt nicht klar. Denn er ist in einer Welt gelandet, die ihm völlig fremd ist. Besuch bei einem überforderten "Superstar".

Das Pendel schlägt nach links aus. "Siehste, die bescheißen dich. Musst vorsichtig sein mit denen vom RTL." Heinrich-Fan Anna hat sich in Rage gependelt. Sie ist eigens aus dem hessischen Korbach angereist, um dem Schäfer seine Zukunft vorauszusagen. Anna redet genauso schnell wie sie pendelt. Und weiß über alles Bescheid: Frauen, Zukunft und die bösen Machenschaften von RTL. Jede Menge dubioser Fragen werden an Heinrichs Küchentisch beantwortet, absurde Verschwörungstheorien entworfen. Heinrich weiß nicht, was er davon halten soll. Er versteht im Moment so einiges nicht, was um ihn herum passiert. Anna ist nur eine von vielen seltsamen Gestalten, die seit einigen Wochen auf seinem Hof auftauchen. Und alle wollen etwas. Ein Autogramm, ein Foto, einen Auftritt im Getränkemarkt. Auch Anna erhebt Ansprüche: "Dann singste uns aber gleich auch was Schönes, ne?"

Aus dem Nichts zum Superstar

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Heinrich Gersmeier ist 41 und einem Millionenpublikum vor dem Fernseher als "singender Schäfer" bekannt. Er ist der Quotenbringer der RTL-Doku-Soap "Bauer sucht Frau", die 2005 nach dem britischen Vorbild "The Farmer Wants A Wife" erstmals im deutschen Fernsehen zu sehen war. Mittlerweile läuft die vierte Staffel der Verkupplungsshow, die von Schlagersängerin Inka Bause moderiert wird. Nie war die Sendung so erfolgreich wie jetzt.Bis zu 8,6 Millionen Zuschauer gucken montagabends zu, wenn Heinrich und die anderen flirtresistenten Landwirte unbeholfen auf Frauen losgehen - Rekord. "Bauer sucht Frau" erreicht somit mehr Menschen als Günther Jauchs "Wer wird Millionär" oder die "Tagesschau".

Heinrich Gersmeier hatte noch nie eine Freundin. Es fällt ihm schwer, sich klar auszudrücken. Singen kann er auch nicht. Aus dem Nichts ist der Schäfer dennoch zum Star geworden - ein Phänomen, wie es das Privatfernsehen zwar schon häufiger geschaffen hat. Aber Zlatko und Daniel Küblböck waren mit dem Promi-Dasein nicht so überfordert wie der linkische Landwirt. Sie waren wie geschaffen fürs Trash-TV - der Bauer dagegen kommt aus einer anderen Welt. Angelina Jolie kennt er nicht, Internet hat er nicht. Busladungen voll Fans aus allen Teilen der Republik überfallen am Wochenende seinen Hof. Von einer Frau hat Heinrich immer geträumt. Davon, dass er einmal Fans haben wird, nicht. Er wird mit seinem "Schäferlied", das gerade auf CD erschienen ist, von Dorfdisco zu Dorfdisco gereicht. Wenn er auftritt, fliegen BHs. Laut Media Control Single Charts ist seine Schäfersingle in dieser Woche bester Neueinsteiger - neben Madonna. Am Wochenende durfte er bei Bohlens "Supertalent" singen, kommenden Freitag tritt er bei der Teenie-Massen-Pop-Veranstaltung "The Dome" auf. Sogar vom Grand Prix ist schon die Rede.

Reisebusse voller Fans belagern Heinrichs Hof

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Was steckt hinter dem Phänomen Heinrich? Antworten findet man in Völlinghausen, einem Dorf am Rande des Sauerlandes, das RTL den Zuschauern von "Bauer sucht Frau" als schöne, heile Welt verkauft. Eine Welt, in der die Ferkel zartrosa, der Himmel hellblau und die Felder golden strahlen und zwischen traditioneller Landwirtschaft und romantischer Bauernidylle genügend Platz für die zarten Entwicklungen der Liebe bleibt. Doch die Realität sieht anders aus. Von goldenen Feldern und saftigen Wiesen ist in Völlinghausen nichts mehr zu sehen. Jetzt im November ist alles grau. Der Regen prasselt auf die hölzerne Bushaltestelle, die Millionen aus dem Fernsehen kennen: Hier holte der Bauer "seine" Anja mit einem kleinen Bollerwagen und großen Erwartungen auf seinen Hof ab. Anja war eine der Frauen, die sich bei RTL beworben hatten, um Bauer Heinrich kennenzulernen. Beim Scheunenfest zu Beginn der Staffel entschied er sich für die 34-jährige pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin.

Mittlerweile sind nicht nur die Kamerateams verschwunden. Auch Anja ist gegangen. Nur ihre zwei Kinder, Chantal und Cedric, waren in den Herbstferien fünf Wochen lang da. Dafür sind viele andere Menschen gekommen. "Heute haben Sie Glück", sagt der Taxifahrer. Kürzlich kam man hier nicht durch. Zwei Reisebusse mit Fans aus Thüringen waren gekommen, um Heinrich zu sehen. Man musste die Polizei rufen, um die Straße zu räumen. "Das ist doch nicht normal. Es ist doch nur unser Heinz!". In Völlinghausen wohnen 811 Menschen. Jeder kennt den Bauern. Viele schon von Kindesalter an. Jetzt mache man sich Sorgen, klagt nicht nur der Taxifahrer. Zu gutgläubig sei er, der Heinrich. Schon immer gewesen. "Meinen Sie, dem Sender geht es um den Menschen Heinrich?", schimpft der Fahrer. "Die da oben hören jetzt doch nur die Kassen klingeln. Traurig ist das ..."
 

Heinrichs Mutter Johanna, im Fernsehen fast so präsent wie ihr Sohn, ist überhaupt nicht traurig. Die 76-Jährige empfängt jeden Besucher mit offenen Armen. Der Kaffee sei gerade frisch aufgesetzt und noch viel Käsekuchen da. "Aus Hamburg kommense? Aber doch nicht nur wegen dem Heinrich?" In der Küche der "TV-Stars" gibt es keine Einschaltquoten und keine ausgeklügelten Marketingstrategien. Was um sie herum wirklich passiert, so scheint es, davon ahnt man hier wenig. "Er ist ein großer Junge, der in seiner eigenen Welt lebt", sagt Bürgermeister Wolfgang Fahle über den TV-Bauern. In dieser Welt guckt eine Kuh durch einen Türspalt direkt in die Küche. Heinrich und Johanna sitzen am Tisch. Die Hände der beiden von jahrelanger Stallarbeit gezeichnet. Heinrich arbeitet hart. 14 Stunden am Tag, mindestens. Urlaub hat er noch nie gemacht. Bauernromantik sieht anders aus. Heinrich wirkt erschöpft. "Und Sie kommen extra meinetwegen aus Hamburg? Na dat is ja 'n Ding." An den welken Tapeten hängen ein paar Fotos. Von Heinrichs Schafen. Und von Johanna beim Melken. Keiner weiß, wann die Uhren hier stehen geblieben sind. Es muss aber vor vielen Jahren gewesen sein.

Wer ihn angemeldet hat? Vielleicht ein Scherz der Dorfjugend

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Johanna nimmt stolz einen großen Kalender von der Wand. "Guckense mal, alles voll. Die Termine von dem Heinrich. Gestern war er in Köln wegen seiner CD." Dabei falle es ihm so schwer, seine Schafe alleine zu lassen, erzählt Johanna. Und dass er als Kind nicht einfach war. Sein Vater starb vor zehn Jahren. Seitdem wohnen Heinrich und Johanna alleine auf dem Hof. Mit 260 Schafen, ein paar Kühen, Gänsen und Hühnern. Dass sich plötzlich alle um ihn reißen, kommt dem Schäfer schon "etwas anders" vor. Aber er hinterfragt es nicht. Bis heute weiß er nicht, wer ihn eigentlich bei der RTL-Sendung angemeldet hat. Vielleicht ein Scherz der Dorfjugend. Eines Tages rief RTL an und fragte, ob er nicht bei "Bauer sucht Frau" mitmachen will. Der Landwirt überlegte nicht lange. "Ich hab ja nichts zu verlieren", dachte er. Er unterschrieb den 14-seitigen Vertrag mit der Produktionsfirma MME. Und jetzt sitzt er hier, und das Telefon klingelt. Ununterbrochen.

Mittlerweile ist die bäuerliche Sitzecke um drei Gäste reicher geworden. Ulli, Margarethe und Anna sind da. Die Schäfer-Fans kommen gerne mal ungefragt auf eine Tasse Kaffee vorbei. Die Doku-Soap und der intime Einblick der RTL-Kameras in das Leben des Schäfers haben dafür gesorgt, dass Menschen wie sie denken, sie würden Heinrich kennen. Und sie könnten einfach mal vorbeikommen und "Hallo" sagen. Sie sind nicht die einzigen. Immerhin will Anna ihm mit ihrem Pendel ja weiterhelfen. Ihr spiritueller Rat: "Mit RTL musst du handeln. Du musst vorgeben, was du willst. Sonst ziehen die dich übern Tisch. Du brauchst einen unabhängigen Anwalt." Doch der Anwalt, den Heinrich bereits angefragt hatte, wollte 250 Euro die Stunde. Zu viel für den Schäfer.

Ärmliche Verhältnisse trotz Plattenvertrag und Bodyguards

Zwei Teenies stehen plötzlich in der kleinen Küche und wollen ein Foto mit Heinrich. Sein Schäferlied haben sie auch schon als Klingelton auf dem Handy. Brav setzt der Heißbegehrte seinen Schäferhut auf und nimmt die Jugendlichen in den Arm. Er nimmt seine neue Aufgabe als "Star" sehr ernst. Er will unbedingt alles richtig machen. Er will niemanden enttäuschen. Nicht seine Fans. Und auch nicht RTL. Wenn es um den Sender geht, wirkt Heinrich eingeschüchtert. Über "Bauer sucht Frau" dürfe er nicht reden. Heinrich Gersmeier ist ein Mann, der Absprachen in seinem Leben bisher mit einem Handschlag besiegelt hat. Jetzt wirkt er überfordert. "Mama und ich haben unser ganzes Leben so hart gearbeitet. Ich hoffe, dass ein bisschen was für uns übrig bleibt. RTL verdient doch bestimmt ganz gut an mir, oder?" Er braucht das Geld.
 

"Die Verhältnisse, in denen Heinrich und seine Mutter leben, sind grenzwertig", beklagt Jutta. Eine Nachbarin. Mit ihrem Sohn steht sie an der Schafsweide und schaut zu, wie der Schäfer vier kleinen Lämmern die Flasche gibt. Von den 3000 Euro, die Gersmeier für eine Woche Dreharbeiten von "Bauer sucht Frau" bekommen haben soll, sei nichts mehr übrig. "Mit dem Geld musste ich die Leiharbeiter bezahlen, die mir während der Dreharbeiten auf dem Hof geholfen haben. Ohne die hätte ich ja nicht drehen können", sagt der 41-Jährige, der sich vertraglich dazu verpflichtet haben soll, für die TV-Aufnahmen mindestens zehn Stunden täglich zur Verfügung zu stehen. So stand es zumindest in der "Bild"-Zeitung, die Auszüge aus den Verträgen veröffentlichte. RTL will dies gegenüber stern.de nicht kommentieren. Auch nicht die folgende Aussage Heinrichs bezüglich geplanter Fan-Artikel: Während die 76-jährige Mutter noch "jeden Pfennig zweimal umdreht", gehen angeblich schon Heinrich-Merchandise-Artikel in Produktion. "RTL sagt, es gibt bald Heinrich-Tassen, -Shirts, -Bettwäsche und sogar -Bikinis zu kaufen. Ist das 'n Ding?"

Zwei Welten prallen aufeinander: Einerseits ist Heinrich bei EMI, einer der größten Plattenfirmen Deutschlands unter Vertrag, hat einen Produzenten (9-Live-Moderator Thomas Schürmann), Bodyguards, ein eigenes Musikvideo, Autogrammkarten, jede Menge Anfragen für Auftritte und demnächst womöglich eigene Fanartikel. Am kommenden Wochenende tritt er bei "The Dome", der Teenie-Veranstaltung schlechthin auf. Aber hier in Völlinghausen steht er jetzt mit seiner gesundheitlich angeschlagenen 76-jährigen Mutter auf der Schafsweide und rackert sich bei Eiseskälte ab.

Was von dem Erlös für den Landwirt übrig bleibt, weiß er noch nicht. Auch nicht, was er demnächst für seine Auftritte bekommt. "Das läuft dann alles nur noch über den Sender. Alle Auftritte," sagt Heinrich.

Verschwitzte Dekolletés, kreischende Massen, überforderter Heinrich

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Im Dorf hält man nicht besonders viel von dem Hype. "Die Publicity geht uns eher auf die Nerven", erzählt man im Hotel. Selbst hier in der westfälischen Provinz begreift man die TV-Mechanismen: "Ganz ehrlich, unser Heinrich ist doch kein Star, er ist ein Marketingprodukt!". Dass es mit der Frau für Heinrich nicht geklappt hat, ist längst nicht mehr das Thema. Worüber sich viele jetzt ärgern ist die Vermarktung des Schäfers. "Die malochen den ganzen Tag", erzählt ein Bekannter. "Wenn die Mutter mal nicht mehr da ist, dann ist das 'ne ganz arme Sau." Sie alle haben ihn schon einmal singen gehört. Auf dem Schützenfest. Oder bei einer Dorffeier. Früher noch mit seinem Vater, der das "Schäferlied" schrieb, das es jetzt auf CD gibt. Auch Bürgermeister Fahle ist besorgt um den "großen Jungen": "Was, wenn der ganze Trubel vorbei ist?" Hier im Landkreis Soest, so scheint es, beschäftigt man sich nur noch mit dem prominenten Sorgenkind. Im Bus unterhalten sich alle über die letzte "Bauer sucht Frau"-Folge. Die Jüngeren machen sich lustig, den Älteren tut Heinrich leid.

Auf dem Hof klingelt das Telefon weiterhin ununterbrochen. Wegen der Popularität des Bauern wurde extra ein neues Gerät angeschafft. Eines, das man auch ausstellen kann. "Sonst dreht man hier ja durch", sagt Johanna, die mit dem neuen Telefon nicht zurechtkommt. "Das hat ja gar keine Drehscheibe mehr." Auch der Fernseher wurde heute neu geliefert. Der alte hat immer so geknackt. "Das waren bestimmt die von RTL, die uns hier noch heimlich weiterfilmen", mutmaßt die Mutter.

Dass er mal in einer Disco auftreten würde und alle ihm zujubeln, das hätte er nicht gedacht, sagt Heinrich. Wie sich das anfühlt? "Komisch, aber auch irgendwie schön." Heinrich fühlt sich von dem ganzen Trubel geschmeichelt. "Ja guck, sind immer Bekannte oder Fans da. Kann es selber gar nicht glauben, was hier passiert." Er holt einen Karton mit Telefonnummern heraus, die ihm Frauen zugesteckt haben. Und Fotos von Fans, die sich mit ihm bei seinen Auftritten in Dorfdiscos fotografieren lassen haben. Tief dekolletierte Mädchen und verschwitzte, grölende Männer drücken sich für einen Schnappschuss mit der Bauernattraktion auf das Foto. Heinrich lächelt nicht. Nie.

Bauer sucht Frieden

Man fragt sich, wie lange dieser Mann diesen Ausflug in eine andere Welt aushalten wird. Er fühle sich geschmeichelt, aber die Fans, die Anrufe, die Termine, die Verhandlungen mit RTL... das sei auch ganz schön viel. Und am wichtigsten seien ihm doch seine Schafe.

Einfach mal die Tür hinter sich zuschlagen will Heinrich nicht: "Ich bin nett zu allen. Außerdem will ich ja, dass die meine CD kaufen." Der Schäfer ist der perfekte PR-Gag. Sein Lied passt in jede Dorfdisco, in die Après-Ski-Hütte und auf den Ballermann. Und Heinrich macht alles mit. Fast alles. Als die spirituelle Anna zum wiederholten Male ihr "Dann singste uns noch was Schönes, ne?" in die Küche krächzt, wirds dem Bauern ausnahmsweise mal zu bunt. "Ich lass mich nicht von jedem aufziehen", sagt er und verschwindet im Stall.

Sender sucht Sau

Heinrich ist kein dummer Bauer. Er glaubt nur nicht an das Böse im Menschen. Das Profitdenken eines Senders ist ihm fremd. Er hofft, dass er jetzt das bekommt, was er verdient und was das Leben ihm und seiner Mutter bislang vorenthalten hat. Er hofft, dass er angemessen bezahlt wird. Dafür, dass er jetzt als Sau durchs Mediendorf getrieben wird. Die Kameras sind weg. Am Montag, 8. Dezember, läuft die letzte Folge von "Bauer sucht Frau". Und es wird nicht lange dauern, dann sind auch die Reisegruppen, die fotografierenden Teenies und Anna mit ihrem Pendel nicht mehr da. Das ist das Schicksal der Zlatkos, Küblböcks und Heinrichs. Vielleicht wird RTL ihn dann noch einmal für das Dschungelcamp anfragen. Hoffentlich wird er dann wegen seiner Schafe absagen.

Die Wolken hängen immer noch schwer und grau über Heinrichs Hof. Ohne RTL-Weichzeichner scheint alles hoffnungslos und trist. Die Schafswolle hat sich voll Regen gesogen. RTL hat seine Schäfchen ins Trockene gebracht. Heinrich hofft noch, dass jetzt auch bei ihm alles gut und er glücklich wird. Doch was das genau für ihn bedeutet, kann er nicht sagen. "Glück ... Ich weiß nicht ... So, wie es vor 'Bauer sucht Frau' war vielleicht. Da war ich ja eigentlich glücklich."

Artikel von: <strong><a class="link--external" href="http://www.stern.de" target="_blank" rel="noopener">www.stern.de</a></strong> Text: Katharina Miklis Fotos: RTL

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