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Kino-Tipp: "Die Welle"

Nach "Napola" widmet sich Regisseur Rainer Gansel in seinem neuen Film erneut dem Faschismus: In "Die Welle" erzählt er, wie aus ganz normalen Schülern, radikale Fanatiker, aus Rebellen Duckmäuser, aus Außenseitern Gewalttäter werden -

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Nicht schon wieder die Sache mit den Nazis, mit Hitler und dem ganzen Pipapo. Langweilig! Es ist Projektwoche. Lehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel) soll seinen Schüler das Thema "Autokratie" näher bringen - ausgerechnet. Als per T-Shirt bekennender Ramones-Fan und ehemaliger Hausbesetzer nicht gerade sein Steckenpferd. Auch seine Schüler zeigen sich wenig begeistert. "Nazi-Deutschland war scheiße. Langsam habe ich es auch kapiert", so die vorherrschende Meinung.

Von dem Desinteresse seiner Schüler angespornt, wagt Wenger ein Experiment: Er führt den totalen Gehorsam im Klassenzimmer ein, lässt sich zum Führer ernennen. Statt mit "Du" und "Rainer", müssen ihn seine Schüler mit "Sie" und "Herr Wenger" anreden. Wer etwas sagen will, muss aufstehen, wer nicht mitmacht, wird rausgeschmissen. Und alle machen mit. Motiviert durch die Losung "Macht durch Gemeinschaft" beschließt die Klasse sogar Uniformen zu tragen. Ein weißes Hemd soll jeden eindeutig als Mitglied der Gemeinschaft erkennbar machen. Als tags drauf Vorzeigeschülerin Karo als Einzige im roten T-Shirt erscheint, ist das für sie der Anfang der Ausgrenzung. Sie ist eine der wenigen, die die ganze Sache in Frage stellt, so ins Abseits gerät. Und dann wird aus der "Sache" etwas ganz Konkretes, sei bekommte einen Namen: Die Welle. Ein treffender Name. Denn das Experiment fängt an außer Ufer zu laufen, überrollt tsunamigleich die ganze Schule und hinterlässt am Ende ein Bild der Verwüstung.

Beklemmendes Phänomen

Regisseur Dennis Gansel ("Napola") widmet sich in "Die Welle" einem beklemmenden Phänomen, dem extremen Autoritätsgehorsam. Eben jenem, mit dessen Hilfe Hitler einst Deutschland ins Verderben führte. Doch warum sind Menschen bereit, sich einer Autorität zu beugen? Sozialpsychologe Stanley Milgram ging 1962 der Frage im Rahmen seines berühmten Milgram-Experiment auf den Grund. Das Ergebnis: Über 60 Prozent der Versuchspersonen waren bereit, entgegen ihren eigenen Bedenken einem Versuchsleiter bedingungslos zu gehorchen und eine andere Versuchsperson mit Stromstößen zu malträtieren.

Noch dramatischer endete das Stanford-Prison-Experiment im Sommer 1971. Die für zwei Wochen geplante Untersuchung musste bereits nach sechs Tagen beendet werden. Zuvor waren Studenten freiwillig in die Rolle von Gefangenen und Wärter geschlüpft. Doch die "Strafvollzugsbeamten" waren innerhalb weniger Tagen zu Sadisten geworden. Der Versuch diente Regisseur Oliver Hirschbiegel 2001 als Vorlage für "Das Experiment".

Reale Bezüge

Auch "Die Welle" hat reale Bezüge. Als Vorlage diente der gleichnamige Roman von Morton Rhue, der wiederum auf den Aufzeichnungen von Ron Jones basiert. Der Geschichtslehrer Jones führte 1967 an der Cubberley High School im kalifornischen Palo Alto ein Experiment unter dem Name "The Third Wave" durch. Er forderte von ihnen absoluten Gehorsam - und sie gehorchten. Doch irgendwann verlor Jones die Kontrolle. Als Andersdenkende ausgegrenzt wurden und Mitglieder sich gegenseitig bespitzelten, brach er das Experiment am fünften Tag ab.

Es ist ein reizvoller Stoff, dem sich Gansel in "Die Welle" widmet. Rhues 1981 veröffentlichter Roman gehört zwar bereits seit 20 Jahren zur Standardlektüre deutscher Schüler, doch Gansel schafft es den Stoff aktuell aufzubereiten. Die Schule, ihre Schüler, ihre Lehrer, ihre Außenseiter, Freundschaften und Beziehungsgeflechte - alles wirkt authentisch, wenngleich streckenweise wenig belehrend. Sätze wie "Wogegen sollen wir denn heute noch rebellieren? Es hat doch eh alles keinen Wert mehr." hören sich aufgesetzt, fast gestelzt an. Auch die Charaktere kommen bisweilen etwas stereotyp daher. Der Supersportler, die Streberin, der Ausländer, der Außenseiter - Rollenmodelle aus dem Lehrbuch. Von dem etwas zu deutlich durchschimmernden Vorsatz belehren zu wollen einmal abgesehen, ist die "Welle" eine durchaus gelungene Verfilmung.

TEXT: Britta Hesener BILDER: Constantin Film

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