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Julia

Erick Zonca zeigt in seinem englischsprachigen Debüt eine saufende Kidnapperin on the Road. Tilda Swinton in der Hauptrolle hätte dafür ihren zweiten Oscar verdient
Julia
© Kinowelt

Mit glasigen Augen und lasziv geöffneten Lippen tanzt sich Julia (Tilda Swinton) durch die Clubs von L.A. Jede Nacht. Morgens wacht sie neben fremden Männern auf. Irgendwo. Im Auto oder in einer fremden Wohnung. Dann stöckelt sie auf ihren High-Heels davon, verschläft den nächsten Tag und alle seine Verpflichtungen. Julia ist 40, Alkoholikerin und eine notorische Lügnerin. Als sie auch noch ihren Job verliert, lässt sie sich von ihrer psychisch labilen Nachbarin (Kate del Castillo) dazu hinreißen, deren achtjährigen Sohn Tom (Aidan Gould) aus der Obhut seines reichen Großvaters zu entführen. Den gemeinsam geplanten Deal führt Julia nach einem Streit im Alleingang durch. In der Hoffnung, das millionenschwere Lösegeld könne ihr Leben aus der Trostlosigkeit befreien, begibt sich die völlig überforderte Täterin mit dem 8-jährigen Jungen im Schlepptau auf einen ungewissen Weg - und verfängt sich immer mehr in den Konsequenzen ihrer eigenen Handlung.

Schonungslose Körperlichkeit

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© Kinowelt

Regisseur Erick Zonca zeigt eine Tilda Swinton, die wir so noch nicht gesehen haben. Aus der zarten, anmutigen Britin wird eine Frau mit herunterhängenden BH-Trägern, abgebrochenen Fingernägeln und nuttigem Goldschmuck. In der Nacht sieht sie noch verführerisch aus, aber beim Erwachen in der Morgensonne sieht man den Schweiß aus allen Poren kriechen und meint den widerlichen Mundgeruch selber zu schmecken. Sie spielt die Rolle der anwidernden Säuferin so überzeugend und mit so einer Körperlichkeit, dass man Ekel empfindet. Und Mitleid.

Von Saulus zu Paulus

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Erick Zonca wagt mit seiner Hommage an John Cassavetes Gangsterbraut-Klassiker "Gloria", in dem es um eine Frau in New York geht, die mit einem kleinen Jungen vor der Mafia flüchtet, einen ungewöhnlichen Genremix. Am Anfang erinnert der Film an eine Charakterstudie, die das Leben einer desillusionierten Trinkerin darstellt, später wird er zum uramerikanische Roadmovie mit actiongeladener Verfolgungsjagd unter kalifornischer Wüstensonne. Am Ende wendet sich das Blatt: Julia wird vom Feind zur Gejagten und der Film zu einem rasanten Gangsterthriller.

Der mit 138 Minuten sehr lang geratene Film, thematisiert den emotionalen Wandel von Julia. Die anfänglich schockierende Erbarmungslosigkeit, mit der sie dem Jungen begegnet, wird immer milder, bis sie schließlich Muttergefühlen weicht, die sie zum ersten Mal selbstlos handeln lassen.

Fazit

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Der Film Julia lebt von der Meisterleistung seiner Hauptdarstellerin. Die Oscar-Gewinnerin Tilda Swinton brilliert durch Authentizität und tröstet dadurch auch über langwierige Handlungsstränge hinweg. Zonca zerrt mit seinem Film zwar ganz schön an den Nerven der Zuschauer, schafft aber immer wieder so starke Momente, dass man gefesselt bleibt.

Text Gudrun Möller

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