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Martin Walser: "Ein liebender Mann"

Der Rowohlt-Verlag feiert sein 100. Jubiläum - wir feiern mit. Und bringen Ihnen hier Martin Walser und seinen neuen Roman "Ein liebender Mann" näher, in dem sich Walser Goethes letzter Beziehung widmet - zur 19-jährigen Ulrike von Levetzow.

Der ewig Verliebte - eine Begegnung mit Martin Walser

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Martin Walser sitzt allein in der Halle des "Hotel Elephant" in Weimar und wartet. Er sieht weniger furchteinflößend aus als angenommen, fast zart inmitten des Marmors. Aber da sind ja die Augenbrauen. "Ihr Name, ist das Finnisch?", fragt der Dichter und bestellt dann gleich einen Finlandia-Wodka. Und einen Kaffee. Er hat seine braune Aktentasche dabei und einen Bleistift. Damit lässt sich auch liegend schreiben, gegen die Schwerkraft. Maschinen, Laptops gar, sind Martin Walser ein Graus. Zu unsinnlich.

Vor ihm auf dem Tisch, da liegt sein neues Buch. Ein Roman über Goethes letzte Liebe. Goethe, dessen Namen hier in Weimar jeder Winkel atmet, da hat Schiller keine Chance und alle anderen sowieso nicht, dieser Goethe verliebte sich im Alter von 73 Jahren in der böhmischen Sommerfrische in die 19-jährige Ulrike von Levetzow. Die lieblichste der lieblichsten Gestalten. Von ihr handelt die Marienbader Elegie. Ein Skandal im Weimar des Jahres 1823.

Angst vor dem Stimmverlust

Es ist elf Uhr am Vormittag. Die Angestellten des berühmten Hotels arbeiten daran, die Spuren der Nacht zu verwischen. Sie lüften und fegen, nüchterner Pragmatismus macht sich breit. So geht das nicht! Es zieht, es ist kalt. Martin Walser zurrt seinen wollenen Schal fester um den Hals. Eine Erkältungspanik. Denn Martin Walser mit Bronchitis, also ohne Stimme, wäre ein Desaster. Nächste Woche soll er ein Hörbuch einspielen, und dann beginnt die Lesereise. "Sie sind doch nicht erkältet, oder?", fragt er. "Sonst müsste ich fliehen."

Er kann jedoch bleiben und im Laufe des Gesprächs den Schal sogar ein wenig lockern. Das Gespräch soll von der Liebe handeln. Und wer, wenn nicht Martin Walser, wäre da das passende Gegenüber? Dieser ewige Verliebte der deutschen Literatur, der in all seinen Büchern das, was zwischen Männern und Frauen sein kann, in allen Variationen beschreibt. Vom Rausch und von der Ernüchterung schreibt er, von Sehnsucht, Sex und dem Wunsch zu betrügen. Es gibt da die lau temperierte Ehe, die schockhafte Eskapade, die lächerliche Liebschaft, die Kopfgeburt, das Pornografische, das Peinliche. Es ist das, was alle irgendwann einmal erleben, der alltägliche Lebenslauf der Liebe. Nur so, wie Walser davon erzählt, wie er das Intimste, das zwei miteinander erleben können, bloßlegt, so würde man selbst wohl nie davon sprechen. Wer also, wenn nicht er, könnte wohl etwas über die Liebe sagen. Aber Martin Walser mag nicht.

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Wenn ihn etwas umtreibt, schreibt er einen Roman. Sonst gibt es nicht viel zu sagen. So ist das seit über fünfzig Jahren. Versuchen wir es dennoch: "Herr Walser, denken Sie noch über die Liebe nach?" Ha! Da blitzt etwas auf in seinen Augen, die wasserblau sind und bisher eher unergründlich wirkten. Er beugt sich vor, senkt den Kopf ein wenig. Wie der Stier, wenn er überlegt, ob die Provokation den Angriff lohnt. "Wie darf ich Ihr 'noch' verstehen?

, geboren am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee, feiert demnächst seinen 81. Geburtstag. "Alter" jedoch, das ist für ihn keine verhandelbare Kategorie. Gut, vor zwei Jahren, da hat er einen Termin bei einer Bank gemacht. Thema: die Altersvorsorge. Damit das vom Tisch ist. Aber zunehmend beobachtet er, dass Altsein etwas Vorwerfbares ist. Dass man sich rechtfertigen müsse dafür, noch zu arbeiten. Oder zu lieben.

Wahrhafte Liebe ist immer möglich

Walsers Stimme, die das R so schön rollen kann, wird laut. Wer denn wissen wolle, dass man mit einem Altersunterschied von zwanzig oder dreißig Jahren nicht wahrhaftig lieben könne. "Immer wird da gleich ein Skandal draus gemacht, ästhetisch, biologisch und überhaupt: eine Unmöglichkeit. Ohne genau hinzuschauen, wie der Fall im Einzelnen beschaffen ist!" 

Überhaupt, der Einzelfall. Das Allgemeine ist nicht Martin Walsers Gebiet, "das gehört an den Stammtisch". Für ihn gibt es nur das jeweilige Buch. Drei Romane hat er veröffentlicht, die jeweils eine Liebe mit zwanzig oder dreißig Jahren Abstand zwischen den Paaren zum Thema haben, der Goethe-Roman ist nun der vierte. Wesentlich keuscher als alle anderen ist dieses Buch, das fällt auf. Besonders nach den krassen Worten seines letzten Romans "Angstblüte", die für ihn freilich immer noch zu seinem großen, in der Nachkriegsrepublik begonnenen Projekt der Sprachbefreiung gehören. Goethes Liebe endet im Verzicht. Aber kann man das überhaupt, der Liebe entsagen?

"Ich glaube das nicht. Wie soll denn das gehen, Entsagung? Du kannst dich doch nicht auslöschen. Der Schmerz bleibt, unter Umständen ein Leben lang. Jeder hat doch so einen Schmerz aus irgendeiner Lebenssituation, mit dem er nicht fertig wird. Der nicht teilbar ist. Das macht die Einsamkeit aus." Und dann: "Ich glaube, dass die Menschen durch nichts so einsam werden wie durch die Liebe. Es gibt natürlich tausend Angebote der Ablenkung, der Betäubung. Aber in unserem Innersten sind wir damit doch allein. Und das macht uns letztlich auch reich."

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Wer mit Martin Walser spricht, muss aushalten, dass seine Antworten alles andere als geradlinig sind. Er mag den Exkurs, den unvollendeten Satz, den offenen Gedanken. Man kann ihn alles fragen, bekommt aber keine Antworten, die einem das Selberdenken abnehmen. Martin Walser hasst die Behauptung. "Liebe entsteht immer im Nu. Aber die Ehe ist die Synthese des Unmöglichen. Das will zuerst gedacht sein." Sagt Goethe. Aber Walser ist da mit ihm ganz einer Meinung.

Seit 58 Jahren ist der Schriftsteller verheiratet, mit Katharina Neuner-Jehle, genannt Käthe, der Mutter seiner vier Töchter Franziska, Johanna, Alissa und Theresia. Viel weiß man nicht von ihr, eine zierliche Frau mit schönen vollen Haaren, die seine Manuskripte tippt. Kennen gelernt haben sie sich 1945, seitdem sind sie zusammen. Und weil so etwas so selten geworden ist, fragt man natürlich nach. Wie geht das, habe ich Einfluss darauf? Walser schaut milde. Ein "Ja, das können Sie nun wirklich noch nicht wissen"-Blick. "Liebe", sagt er, "ist wie ein Wettergeschehen."

Das Leben ändert sich andauernd

Unwillkürlich sieht man seine Heimat, den Bodensee, vor sich, über dem blaulilafarben ein Gewitter dräut, kurz, heftig und reinigend. "Einfluss, das ist mir ein zu mächtiges Wort. Ich war nie souverän. Aber: Zwei Menschen, die ununterbrochen beieinander sind, können nicht aufhören, aufeinander neugierig zu sein. Das muss man gar nicht von sich verlangen, das stellt sich von selbst ein. Weil sich das Leben andauernd ändert. Die Geschichte von zweien fängt auf eine ganz einmalige Weise an. Aber dabei bleibt es ja nicht stehen."

Dann kommen die Gewitter. "Die vielen Schlachten, die man schlagen muss. Füreinander, nicht gegeneinander. Aber es muss immer Liebe da sein. Eine Ehe ohne Liebe - das ist wie ein Auto ohne Motor. Da bleibt nur die Karosserie." Auch, weil er meint, dass eine Freundschaft Wahrheit nur schlecht aushält, die Ehe dagegen schon. Frauen seien begabter für die Wahrheit als Männer. Vielleicht auch für die Liebe, die Walser selbst so oft mit den Begriffen "Verletzung" und "Schmerz" beschreibt.

Aber nein, so ist es ja nicht, sagt er und zitiert seine Heldin Susi Gern aus "Der Lebenslauf der Liebe": "Es gibt nur Unglücksglück." - Und das stimmt: Wer sagt, er sei nur glücklich, der schaut nicht genau hin. Und wer das Gegenteil behauptet, auch nicht. Es gibt nur beides. "Unglücksglück erscheint mir als die wirklichste Form des Lebens."

Leseprobe aus "Ein liebender Mann"

Martin Walser widmet sich Goethes letzter Liebschaft. Wie sich das liest? Probieren Sie's aus. 

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Mehr Informationen über Martin Walsers neuen Roman finden Sie bei Rowohlt.

Silja Ukena Fotos: Manuel Krug

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