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Shades of Grey - 5 Gründe für den Erfolg

Teil 2 des Bestseller-Schundes "Shades of Grey" erscheint heute auf Deutsch. Was wir uns seit Wochen fragen: Woher kommt der "Shades of Grey"-Erfolg? Fünf (teilweise) gute Gründe.

Wer ein Buch lesen möchte, sollte nicht "Shades of Grey" kaufen. Das hat Kollegin Angela Wittmann schon im Juli in der BRIGITTE festgestellt: "Einfach nur scheiß." Querlesen reicht. Mehr als 20 Adjektive scheint der Wortschatz der Autorin E.L. James nicht zu beinhalten. Sätze wiederholen sich wortgleich. Die Handlung des ersten Teils "Geheimes Verlangen" entwickelt sich langsamer, als die meisten einen Orgasmus kriegen. Erotisch? Schwülstig.

So. Und warum, verflixt, waren dann Anfang August schon mehr als 1,3 Millionen Bücher in Deutschland verkauft? Es muss doch Gründe geben! Wir haben die 608 Seiten des ersten Teils durchsucht – und fünf gefunden.

Der Harry-Potter-Effekt

Dieser Grund fängt immer mit "Eigentlich" an. Eigentlich wissen wir ganz genau, dass uns bei der Lektüre mancher Bücher die innere und/ oder mittlere Reife aberkannt werden sollte. "Eigentlich mag ich keine Fantasy-Bücher..." - und habe trotzdem jeden Harry-Potter-Band bei Amazon vorbestellt. "Klar, Vampire sind eigentlich was für Teenies, aber..." - "Twilight" muss man trotzdem gelesen haben.
Freundlicherweise hat unser Sozialleben ein Konstrukt gefunden, den Schund gesellschaftsfähig zu machen. Es beginnt in dem Moment, in dem "alle" darüber reden. Der Chefchef nach einem Meeting. Die (eigentlich doofe) Facebook-Bekannte aus Schulzeiten. "Und, wie findest du 'Shades of Grey'?" Da wir lieber etwas als nichts zu sagen haben, umrunden wir das Taschenbuch in der Bahnhofsbuchhandlung nicht mehr ganz so weiträumig. Die Zeiten, in denen die "Shades of Grey" aus Gründen der Pein nur als E-Book ein top verkauft waren, sind vorbei. Denn die Lektüre ist spätestens seit dem Erscheinen des ersten Bandes auf Deutsch mit einem quasi-wissenschaftlichen Interesse begründbar. Was ist dran am Groschenroman? Mit jeder neuen Käuferin fühlen sich mindestens zwei weitere Menschen gezwungen, auch etwas über Mr Grey zu sagen zu haben. 1,5 Millionen Druckauflage = Mathematik.

Er ist so ein A****loch!

Das ambivalente Verhältnis von Frauen zu Arschlöchern ist kein neues. Geschätzt lassen sich mehrere tausend Beispiele aus der Soft-Kulturgeschichte heranziehen, um diese These zu belegen. Da hätten wir zum Beispiel Mr Darcy, der mit seiner schroffen Arroganz Elizabeths Hassliebe provoziert. Mr. Big natürlich - wie kann man Carry Bradshaw einfach stehen lassen? Oder auch den Obermacho Marc Meier, der in "Doctor’s Diary" mit Gretchen Hase umspringt, als sei sie eine minderbemittelte 14-Jährige.
Frauen können so schön, so klug und umsichtig, emotional fähig und überlegen sein, wie sie möchten - von attraktiven, reichen, selbstsicheren Männern lassen sich trotzdem viele irritieren. Leider! "Shades of"- Christian Grey wurde von der Autorin in dieser Rolle so platt überzeichnet, dass er als neuer Star am Himmel der Arschlöcher scheint. Nicht reich, steinreich. Nicht schön, bildschön. Nicht eingebildet, arrogant wie die Hölle. Kalt, eifersüchtig, ein Kontrollfreak. Einerseits lesen wir dank Christian Grey - "Sir"! - wie gut weibliche Macho-Reflexe funktionieren. Andererseits rettet uns die (übrigens unglaublich) unschuldige Ana davor, uns für diese Bewunderung solcher Pennermänner selbst zu hassen. Denn bei allem Übel bleibt sie wenigstens einem Teil von sich treu und lässt sich eben doch nicht alles gefallen. Bedanken werden wir uns jetzt dafür allerdings nicht bei ihr. Lieber verzichten wir im echten Leben darauf, das nächste Mal aus Versehen ein Arschloch anzuhimmeln.

Der X-Faktor

Ja, es dauert tatsächlich bis zum dritten Grund, bis wir auf das zu sprechen kommen, über das gemeinhin zuerst geredet wird, wenn es um "Shades of Grey" geht: Sex. Als "Mommy Porn" wurde die Trilogie bezeichnet. Wir glauben nicht, dass die - durchaus platte - Erotik der Bücher nur Mütter interessiert. Die allermeisten Frauen mögen Sex. Und wenn sie einen vertretbaren Grund finden, trotz Abitur in einem schwül-schwurbeligen Groschenroman zu blättern (siehe Grund 1), tun sie es vielleicht mit mehr Genuss, als sie öffentlich zugeben. Der Sex in "Shades of Grey" ist nicht gerade sexy beschrieben - aber heiß. In manchen Passagen möchte man den Mann aus dem Buch ins eigene Bett zerren, alleine, weil er weiß, wie man eine Frau befriedigt. Welche Frau kommt schon tatsächlich JEDES Mal? Geschweige denn sechs Mal? Heiße Küsse im Aufzug, verbundene Augen, Interakt auf dem Schreibtisch... Ja, natürlich, Klischees, Klischees, Klischees. Aber warum sollen die nicht erregen? So viel phantasievoller als männliche sind weibliche Sexträume oft nicht. Zumindest nicht alle. Die eine Freundin findet es heiß, wenn sie von einem durchtrainierten Oberarzt untersucht wird. Die andere steht auf Sex im Hinterhof. Die nächste möchte unbedingt mal gefesselt werden. Ja und? Man muss ja nicht immer einen Preis für größtmögliche Kreativität gewinnen wollen. Deswegen funktionieren die "Shades of Grey". Weil Sex auch ohne Phantasie Spaß machen kann.

Das erste Mal

Machen wir an dieser Stelle gleich weiter. So ganz durchschnittlich ist der Sex von Ana und Christian eben auch nicht. "Another first", wie es in der Originalversion des Buches so oft heißt, also ein erstes Mal, dürfte für etliche Leserinnen die Schilderung der "Shade of Grey"-Sorte Sex gewesen sein. Angeblich BDSM, tatsächlich etwas Halbgares in diese Richtung. Sex ist immer eine Grenzüberschreitung, allein schon zwischen Körpern. Je mehr Grenzen ohne Scham überschritten werden, desto intimer und fesselnder kann es im Bett oder sonstwo werden. Bei "Shades of Grey" gucken wir hinter notdürftig vor die Augen gehaltenen Händen nicht nur in ein Schlafzimmer, sondern auch in eine Folterkammer. Das kann Angst oder Lust machen, auf jeden Fall überschreitet es schon beim Lesen Grenzen. Es gibt reihenweise solcher Softcore-Bücher auf billigem Papier. Eine Mischung aus Zufall und Marketing hat uns nun aber den Massenverkäufer "Shades of Grey" auf unseren Nachttisch gelegt. Normalerweise konsumieren wir solche Pornos nicht, deshalb irritiert uns dieser Sex, er ist fremd. Wollen wir das auch? In echt oder nur geträumt? So oder so fangen wir an, über den Sex nachzudenken, den wir uns wünschen - egal, wie oft und offen wir das schon getan haben. Das alleine reicht aus, um das Buch trotz minimaler literarischer Qualität nicht nach fünfzig Seiten auf den Altpapierstapel zu legen. Und macht im besten Fall sogar mehr aus dem nächsten Orgasmus.

Am Ende wird alles...

Gut? Intellektuell unterfordernd aber klar hat E.L. James die Welt in "Geheimes Verlangen" in "Gut" und "Böse" aufgeteilt. Soweit können wir mit nur einer halben Gehirnzelle folgen. Die "50 Shades of Grey" zwischen schwarz und weiß kommen im so genannten Buch gar nicht vor. Natürlich weiß auch Frau James, dass das Gute gefälligst über das Böse zu siegen hat. Das tut es auch ganz ordentlich im ersten Teil, immer wieder schafft es die liebe Ana, den bösen Christian auf die Seite des Lichts zu ziehen. Nur, blöder und altbewährter Trick, der einem schon bei der bescheuertsten Serie ein Wochenende vor dem Fernseher eingebrockt hat: Wie geht es denn nun aus??? Der Cliffhanger in Teil eins ist derart stumpf hingedrechselt, dass sich unsere Vernunft weigern möchte, das Schicksal von Ana und Christian weiterzuverfolgen. Aber auch eine schlechte Geschichte braucht ein Ende. Der zweite Teil der Trilogie soll noch schwächer sein als der erste. Wir fürchten, wir werden ihn lesen. Hiermit entschuldigen wir uns bei allen Büchern, die sicher lesenswerter wären.

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