Anne Tyler - Eine gemeinsame Sache
Familie funktioniere so, sagt eine der Protagonistinnen des Romans: "Man erweist sich gegenseitig kleine Gefälligkeiten – verbirgt die eine oder andere unangenehme Wahrheit, sieht über diese oder jene Selbsttäuschung hinweg. Kleine Freundlichkeiten." – "Und kleine Grausamkeiten", erwidert der Ehemann der Sprechenden daraufhin. Damit charakterisiert Anne Tyler ihre eigenen Romane, die immer in ihrer Heimat Baltimore/USA spielen. Es geht nicht um haarsträubende Umbrüche, gruselige Geheimnisse oder große Dramen. Es geht um das Leben in einer Familie. Und auch wenn es sich hier um eine amerikanische handelt, deren Urzelle Robin und Mercy sind, die wir vom ersten Familienurlaub 1959 bis zu ihrer goldenen Hochzeit erleben (zu dem Zeitpunkt ist Mercy schon lang ausgezogen, aber die Kinder sprechen nicht darüber), hat man das Gefühl, Anne Tyler schreibt über uns. Über die kleinen Dinge im Leben, über Hoffnungen und Enttäuschungen, das Auseinanderdriften der Generationen, ja, sogar die Pandemie kommt an Ende des Romans vor, ohne, dass es gewollt wirkt. Denn gewollt ist Tylers elegante und dabei ungekünstelte Prosa nie. Nur ein einziges Lesevergnügen.
Ü: Michaela Grabinger, 269 S., 26 Euro, Kein & Aber
Anselm Neft - Späte Kinder
Nach dem Tod der Mutter treffen sich Thomas und Sophia im leeren Elternhaus. Bekanntes Szenario, doch Sophia muss sich bei diesem Besuch auch ihrer eigenen Endlichkeit stellen – sie leidet an Krebs und wird nicht mehr lange leben. Thomas dagegen hat seit Kurzem eine junge Freundin und denkt an die Zukunft. Anselm Neft zeichnet das detaillierte Porträt einer Familie der alten Bundesrepublik.
288 S., 22 Euro, Rowohlt
Judtih W. Taschler - Über Carl reden wir morgen
Judith W. Taschler erzählt von der Familie Brugger im österreichischen Mühlviertel von 1828 bis 1922. Besagter Carl aus dem Titel – ein längst tot geglaubter Kriegsheimkehrer – ist bereits aus der dritten Generation dieser zähen Müllerfamilie, in der vor allem die Frauen den Laden am Laufen halten. Fesselnder Familienroman vor ländlicher Kulisse.
464 S., 24 Euro, Zsolnay
Julia Schoch - Das Vorkommnis
"Wir haben übrigens denselben Vater": Diese Äußerung einer Fremden sät in der Ich-Erzählerin einen nagenden Zweifel. Plötzlich misstraut sie allem, der Idee von Familie, Erfolg, ihren Erinnerungen. Die Akademikerin entfremdet sich von ihrem Mann, zweifelt am Muttersein. Und welche Rolle spielt bei alldem ihr Aufwachsen in der DDR? Julia Schoch spürt einer wachsenden Verunsicherung nach, die alle betrifft.
192 S., 20 Euro, dtv
Jane Gardam - Mädchen auf den Felsen
Dies ist Jane Gardams literarisches Debüt von 1978, und es hat nichts von seiner Frische verloren. Eine gläubige Familie lässt nach der Geburt des zweiten Kindes die kleine Tochter mit dem handfesten Hausmädchen sommerliche Ausflüge machen – und es kreuzen sich alte Lebenswege neu, mit Konsequenzen für alle Beteiligten.
Ü: Isabel Bogdan, 225 S., 22 Euro, Hanser Berlin