Anzeige

Benedict Wells: "Ich möchte mich nie verraten."

Er ist die Entdeckung des Jahres: Benedict Wells hat mit seinem Romandebüt "Becks letzter Sommer" gleich einen Riesenerfolg gelandet. Wir haben mit dem 24-jährigen Autor gesprochen.

Benedict Wells: "Becks letzter Sommer"

Benedict Wells: "Becks letzter Sommer"
Benedict Wells: "Becks letzter Sommer"
© Diogenes Verlag

Der Münchener Gymnasiallehrer Robert Beck ist gefrustet: Mit seinen 37 Jahren nähert er sich bedrohlich der 40, aus seiner so verheißungsvoll begonnenen Musikkarriere ist nichts geworden und überhaupt fühlt sich sein Leben relativ öde an. Das ändert sich, als er zum ersten Mal seinem Musikschüler Rauli Kantas beim Gitarrespielen zuhört. Beck ist begeistert von dem litauischen Wunderjungen und beschließt, ihn unter Vertrag zu nehmen und ganz groß rauszubringen, erhofft er sich doch dadurch, seine eigene, jäh beendete Showbusiness-Karriere wieder ankurbeln zu können. Doch damit nicht genug: Gleichzeitig verliebt Beck sich in die zehn Jahre jüngere Lara, die ausgerechnet noch im gleichen Sommer nach Italien ziehen will. Und sein bester Freund Charlie geht ihm seinen hypochondrischen Ängsten gewaltig auf die Nerven. Als Rauli, Charlie und Beck schließlich auf eine Fahrt durch Osteuropa aufbrechen, ahnt noch keiner der drei, dass sie eigentlich nur auf dem Weg zu sich selbst sind...

Der Sinn des Lebens auf 464 Seiten

Mit "Becks letzter Sommer" hat Benedict Wells ein geniales Romandebüt hingelegt. Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Musikroman, Roadmovie und Liebesgeschichte, gemixt mit viel Humor und noch mehr Tragik. Der Leser lacht und leidet mit der Hauptfigur Robert Beck, die ihm im Laufe des Buches so sehr ans Herz wächst, dass es schwer fällt, das Buch nach 464 Seiten aus der Hand zu legen. Ein absolut lesenswerter Roman, der nicht nur den Weg Becks zu sich selbst beschreibt, sondern auch eine treffende Vorstellung davon liefert, was der Sinn des Lebens sein könnte. Genial!

Benedict Wells: Becks letzter Sommer Diogenes Gebunden 464 Seiten 19,90 Euro ISBN: 978 3 257 06676 0

Interview mit Benedict Wells

Benedict Wells ist die Literatur-Entdeckung des Jahres.
Benedict Wells ist die Literatur-Entdeckung des Jahres.
© privat

BYM.de: In deinem Buch beschreibst du sehr detailreich, wie ein frustrierter Lehrer sich mit einer aufkommenden Midlife-Crisis herumschlägt. Du selbst bist erst 24. Kennst du etwa selbst schon solche Gefühle?

Benedict Wells (lacht): Nein, das wäre ja auch scheiße, wenn ich jetzt schon solche Gedanken hätte. Ich habe aber einen Freund, der Lehrer ist, und durch den konnte ich gute Einblicke in das Seelenleben eines Lehrers in den Dreißigern gewinnen und auch darüber, wie er seinen Beruf wahrnimmt und was er über die Schüler denkt. Ich hab mir dann einfach vorgestellt, was ich machen würde, wenn ich in seiner Situation wäre.

BYM.de: In einer Szene heißt es: "Die Welt ist für die Mutigen gemacht". Bist du mutig?

Benedict Wells: Ich bin mutig - und ich bin feige. Neulich war ich in einem Club und hab ein echt interessantes Mädchen gesehen. Ich wollte die ganze Zeit mit ihr tanzen, hab mich aber nicht getraut, sie zu fragen. Und plötzlich kommt so ein anderer Kerl und sagt einfach zu ihr: "Komm, lass uns tanzen". Ich glaube, Mut zahlt sich einfach unheimlich oft aus.

BYM.de: Aber du bist doch mutig. Immerhin hast du nach dem Abi kein Studium oder eine Ausbildung angefangen, sondern bist einfach nach Berlin gegangen, um deinen Traum vom Schreiben zu leben. Wie haben deine Eltern und Freunde damals reagiert?

Benedict Wells: Meine Eltern haben es noch am Ehesten verstanden, weil sie mich einfach so gut kennen. Die wussten, dass ich das durchziehe. Aber von meinen Freunden hat es fast niemand ernst genommen, zumal ich am Anfang auch wirklich richtig schlecht geschrieben habe. Das muss man sich mal vorstellen: Da ist einer, der nicht studieren, sondern nur schreiben will und dann kommt er nach einem Jahr mit der ersten Leseprobe an, und die ist einfach nur grottenschlecht (lacht).

BYM.de: Ach komm! Und wieso ausgerechnet Berlin?

Benedict Wells: Mich hat die Stadt einfach angemacht. Ich komm ja aus München. Das ist zum Teil schon sehr bieder und langweilig - und vor allem: unglaublich teuer. Ich hatte damals kein Geld und da sagt Berlin natürlich: "Okay! Ich nehm dich!". Außerdem hab ich das Flair der Stadt einfach geliebt.

"Man kann nur eine bedingte Zahl von Ablehnungen verkraften"

Benedict Wells: "Ich möchte mich nie verraten."
© privat

BYM.de: In Berlin angekommen, hast du angefangen, an deinem Buch zu schreiben. Wie ging es dann weiter?

Benedict Wells: Eine Zeitlang hab ich nur Absagen von Verlagen bekommen und daraufhin auch nicht mehr viel rausgeschickt. Man kann nur eine bedingte Zahl von Ablehnungen verkraften. Die schlimmsten Absagen waren die, die von oben herab kamen, nach dem Motto: "Mach doch erstmal was anderes! Du bist noch so jung!". Das fand ich immer sehr demütigend. Einige Leute haben zum Beispiel, ohne auch nur eine Zeile gelesen zu haben, Sätze gesagt wie: "Du kannst dich nicht in einen 37-Jährigen hineinversetzen". Im Nachhinein wünsche ich mir, dass ich mein Alter verschwiegen hätte.

BYM.de: Das heißt, dass du noch so jung bist, war eher von Nachteil für dich?

Benedict Wells: Ja, total. Die Leute haben nie gesagt: "Das ist schlecht", sondern eher: "Du bist doch noch so jung". Junge Schriftsteller wollte man einfach nicht mehr, genau wie man, bis Harry Potter kam, keine Kinderbücher mehr wollte. Es gibt immer Zyklen - und ich war leider in einem totalen Antizyklus für junge Schriftsteller.

BYM.de: Wie kam dann die Zusammenarbeit mit Diogenes zustande?

Benedict Wells: Ich habe auf einer Halloween-Party einen Agenten kennen gelernt und wusste, dass das eine gute Chance ist. Der wollte wirklich meine Sachen lesen. Trotzdem hab ich nie im Leben damit gerechnet, dass er es gut findet, denn die Story liest sich einfach im ersten Moment total verrückt. Dann hat er mich angerufen, und ich hab mir sein enttäuschtes Gesicht vorgestellt und gedacht: "Oh Gott, jetzt ruft er auch noch persönlich an, um mir abzusagen". Und plötzlich sagt er: "Lass uns treffen. Ich finde es gut!". Ich war völlig perplex.

Benedict Wells über Flugangst und Geheimtipps

Benedict Wells: "Ich möchte mich nie verraten."
© privat

BYM.de: Ein Großteil deines Buches handelt von einer Reise durch Osteuropa. Hast du diese Reise selbst gemacht?

Benedict Wells: Ja, als ich sechzehn war. Freunde von mir wohnen in der Türkei. Ich hab allerdings Flugangst, genau wie Charlie in dem Buch. Deshalb musste ich die Reise mit dem Auto machen. Der Urlaub war ganz schrecklich. Zu der Zeit war ein schweres Erdbeben in der Türkei, und ich hab mich die ganze Zeit gefragt, wozu diese Reise eigentlich gut sein soll. Aber dann hat es sich ja wunderbar gefügt.

BYM.de: Ist denn deine Flugangst so schlimm?

Benedict Wells: Ja, ich werde nie wieder fliegen.

BYM.de: Nie wieder?

Benedict Wells: Nee. Ich war jetzt gerade in den USA, und da bin ich mit dem Schiff hingefahren. Und nächstes Jahr will ich nach China und da werde ich mit der Transsibirischen Eisenbahn fahren. Das finde ich sowieso viel aufregender, als zu fliegen.

BYM.de: "Becks letzter Sommer" handelt von der Liebe - und von wahrer Freundschaft. Wilhelm von Humboldt hat einmal gesagt: "Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben". Würdest du dem zustimmen?

Benedict Wells: Ja, auf jeden Fall. Das kann man auch auf das Schreiben übertragen: Wenn die Figuren in einem Buch blass bleiben, dann ist auch die Geschichte nichts wert. Ich finde es toll, wenn die Leser die Menschen in meinem Buch mögen. Das ist dasselbe beim Fotografieren: Bilder von Landschaften sind meistens langweilig. Interessant wird es erst, wenn man seine Freunde fotografiert. Die Fotos schaut man sich gerne immer wieder an.

BYM.de: Welche Geheimtipps hast du für das Schreiben?

Benedict Wells: Für mich ist es ganz wichtig, etwas einmal von A bis Z runterzuschreiben. Korrigieren und die Feinarbeiten in Angriff nehmen musst du nachträglich sowieso, aber du hast dann wenigstens schon die komplette Story und weißt, wie es ausgeht und wo du hin willst. Wenn man anderen Leuten die ersten zehn Seiten zeigt, aber selbst noch gar nicht fertig ist, bleibt man immer am Anfang hängen und verbessert nur noch, anstatt weiterzuschreiben. Außerdem höre ich immer Musik: fröhliche, wenn ich an etwas Heiterem sitze und melancholische, wenn ich etwas Trauriges schreiben muss. Ich glaube, es ist unerheblich, ob man gerade Lust hat, etwas zu schreiben oder überhaupt keinen Bock. Das Ergebnis ist immer gleich, manchmal schreibe ich die besten Sachen, wenn ich vorher gar keine Lust hatte.

"Ich bin wie eine Bestie, die rausgelassen wurde"

Benedict Wells: "Ich möchte mich nie verraten."
© privat

BYM.de: Hast du eigentlich ein Vorbild?

Benedict Wells: Als ich angefangen hab zu schreiben, hab ich mich an einer Mischung aus John Irving und Nick Hornby orientiert: die sarkastische Lässigkeit von Hornby und der Ideenreichtum und die Erzähllust von Irving. Du wirst immer von anderen Schriftstellern beeinflusst, aber findest auch schnell deine eigene Note. Manchmal passiert es sogar, dass ich etwas lese und dann anfange, selbst so zu schreiben. Dann muss ich schnell wieder meine eigene Sprache finden.

BYM.de: Wie sind denn deine weiteren Pläne?

Benedict Wells: Ich hab schon ein zweites Buch geschrieben, das wahrscheinlich nächstes Jahr erscheint. Und in die USA bin ich jetzt gefahren, weil ich schon eine Idee für das dritte Buch hab. Das soll in Amerika spielen, und deshalb wollte ich da unbedingt hin.

BYM.de: Ist es für dich ein Leistungsdruck, gleich das nächste Buch nachlegen zu müssen?

Benedict Wells: Nein, das ist für mich purer Luxus. Solange die Leute was von mir lesen wollen, ist das doch toll! Ich bin sehr gerne in dieser Situation und verspüre überhaupt keinen Druck. Momentan bin ich wie eine Bestie, die gerade rausgelassen wurde und mit großer Lust jetzt diese Sachen schreibt. Es kann sein, dass mir in zehn, zwanzig Jahren der Sprit ausgeht, aber gerade hab ich einfach eine ungeheure Lust zu schreiben.

BYM.de: Gibt es etwas neben dem Schreiben, das du unbedingt in deinem Leben verwirklichen willst?

Benedict Wells: Ich möchte wie jeder Mensch eine Liebe finden, die auf Gegenseitigkeit beruht. Ich möchte irgendwann mal ein guter Vater sein. Und ich möchte mich nie verraten.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel