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"Eine Million Minuten" Ein Spaziergang durch Berlin mit Karoline Herfurth

Karoline Herfurth
Karoline Herfurth, 39, wurde in Ost-Berlin geboren. Ihren ersten TV-Auftritt hatte sie mit elf Jahren in einem ZDF-Kinderfilm, ihren ersten großen Kinofilm "Crazy" drehte sie 2000. Erstmals Regie führte sie im Liebesfilm "SMS für Dich", in dem sie auch die Hauptrolle übernahm, ebenso wie in ihren weiteren Arbeiten "Sweethearts", "Wunderschön" und "Einfach mal was Schönes". Aktuell läuft "Eine Million Minuten" im Kino, in der sie wieder die Hauptfigur ist. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Berlin.
© Marechal Aurore / ABACA / imago images
Sie macht tolle Filme, und ähnlich unterhaltsam, wie sie im Kino zu sehen, ist es, mit Karoline Herfurth durch das Berlin ihrer Kindheit zu spazieren.

Blitzgescheit. Es ist ein fast altmodisches Wort, das einem nach einem Spaziergang mit Karoline Herfurth, 39, durch das Berlin ihrer Kindheit einfällt. Blitzgescheit, also so wie schnell im Kopf, im Denken, Erfassen, Abwägen, Entscheiden. Schnell im Reden ist sie sowieso. "Oh Gott, jetzt habe ich wieder viel zu viel gelabert", sagt sie nach zwei Stunden, als wir wieder vor unserem Ausgangspunkt, dem "Hotel de Rome" in Mitte stehen. Hier um die Ecke ist sie aufgewachsen.

Damals noch in der DDR, in einem Haus gegenüber der Volksbühne. Als die Mauer fällt, ist sie fünf, da sind ihre Eltern – der Vater Altenpfleger, die Mutter, die nach der Wende Psychologin wird – schon seit drei Jahren geschieden. Von da an hatte sie zwei Zuhause, erzählt sie, eines in Prenzlauer Berg und Mitte, eines in Hohenschönhausen. Und eine riesige Patchworkfamilie mit sieben Geschwistern. "Über die Jahre wurde es immer voller und schöner bei uns", sagt sie. Ihre Geschwister, ihre Eltern, ihre eigene Familie, über die sie in der Öffentlichkeit nicht spricht, und ihre Freunde, von denen sie einige seit der ersten Klasse kennt, sie alle sind ihre Wurzeln, die sie in Berlin halten. Ein großer warmer Pool von Menschen, der ihr nahesteht und durch den sie sich reich fühlt.

"Ich kann mir nicht vorstellen, meinen Lebensort zu wechseln", sagt sie, sie sei kein reiseaffiner Mensch wie die Familie Küper, deren Lebensgeschichte ihr Mann, der Filmproduzent Christopher Doll, jetzt als seine erste Regiearbeit verfilmt hat. In "Eine Million Minuten" spielt sie eine Mutter, deren auf der Karriere ihres Mannes aufgebautes Familien- und Beziehungsmodell endgültig ins Wanken gerät, als die Tochter die Diagnose einer Störung ihrer Feinmotorik bekommt und sie daraufhin zunächst in Thailand, später in Island ein neues Leben als Familie für sich suchen.

"Es gab keine vorgefertigte Rolle für mich"

Am Vormittag hat sie dazu im Hotel noch ein paar Interviews gegeben und sich fotografieren lassen, ist geschminkt und deshalb noch auf Stöckelschuhen, als wir losgehen in Richtung Alexanderplatz. Hier im Kaufhof hat sie als Kind nach der Schule herumgehangen, sagt sie. Es gab einen Fernseher, in dem der immer gleiche Film lief und vor dem sie stundenlang saß. Einmal hat sie bei der Gelegenheit ein paar "Hello Kitty"-Stifte mitgehen lassen. "Wo hast du die her?", fragte der Vater. Er ging mit ihr zurück zum Kaufhof, sie musste die Stifte zurückgeben, bekam ein Jahr Hausverbot und ein ungewöhnliches Angebot ihres Vaters. "Wenn du klaust, brauchst du wohl mehr Geld", sagte er. "Ich erhöhe dein Taschengeld."

"Ich habe nicht viel Ärger mit meinen Eltern gehabt als Kind", sagt Karoline Herfurth. "Meine Mutter hat mir vorgelebt, dass man nicht leise sein muss, mir wurde nicht beigebracht, mich zurückzuhalten. Meine Eltern haben mich unterstützt, meinen Weg zu gehen, es gab keine vorgefertigte Rolle für mich. Und wenn ich mich bunt und wild kleidete, war das auch in Ordnung."

Bunt und wild ist es auch in dem Kinderzirkus, in den sie zusammen mit ihrer besten Freundin geht. Hier wird sie mit elf für einen Kinderfilm entdeckt. Acht Drehtage im Sommer, ihr erstes Filmhonorar habe sie hauptsächlich für Windbeutel ausgegeben, sagt sie. Ein paar Jahre später wird sie auf dem Schulhof angesprochen, diesmal für den erfolgreichen Kinofilm "Crazy". Danach dreht sie neben der Schule fast durchgehend einen Film nach dem anderen, ist das tragische Mirabellenmädchen in "Das Parfum" und begeistert alle mit ihrem blassen und schönen Gesicht unter den roten Haaren. In "Im Winter ein Jahr" spielt sie mit ihrer Verletzlichkeit so erfolgreich gegen Sepp Bierbichler an, dass sie dafür diverse Filmpreise erhält. Danach ist sie erschöpft. "Ich musste ja lernen, wie ich mich auch schütze als Mensch in so einer Geschichte und so einer Figur", erzählt sie einmal in einem Interview.

Als Kind hat sich Karoline Herfurth frei gefühlt

Wir stehen vor dem "Chamäleon", einer Bühne für zeitgenössischen Zirkus in den Hackeschen Höfen, wo sie früher häufig war. Direkt daneben gab es einige Punk-Treffs, sagt sie. "Aber Punk oder Null-Bock, das war ich nie, wenn, dann war ich eher Hippie mit Schlaghosen. Aber ich war nie ein Mensch, der viel tanzen ging oder in Clubs, ich habe ja auch damals schon viel gedreht."

Die Straßenzüge, durch die sie als Kind und Jugendliche lief, die Hinterhäuser zwischen Prenzlauer Berg und Mitte, waren früher das Biotop der Kunstszene. Sie zeigt mit der Hand auf ein stuckverziertes Haus. "Meine Stiefmutter kam eines Tages und sagte, da brennt es, da wird ein Haus frei, und so sind wir zur Villa Kunterbunt gekommen. Wir waren keine Hausbesetzer, aber eine große Gemeinschaft, die dieses Haus restauriert hat, von sechs bis 15 habe ich hier gewohnt." Als Kind habe sie sich hier sehr frei gefühlt, sagt sie. Nebenan gab es einen Kinderladen und hinter den Häusern eine Sperrmüllkippe, auf der sie sich Sachen raussuchte. Sie kletterte mit ihren Freunden auf den Dächern der besetzten Häuser herum. Auf dem Balkon vor ihrem Zimmer spielte sie dem Mond Puppentheater vor. Die Luft im Winter roch nach Kohle und "hier", sagt sie, "da war die Münzbäckerei, da musste ich samstagmorgens 14 Schrippen kaufen für die ganze Familie."

Nichts von all dem existiert noch. "Ich erkenne meine Kindheit hier kaum mehr", sagt sie. Kein grauer DDR-Kratzputz oder bemalte Wände, nur glatte Fassaden, Flagship-Stores. Aber in ihrem alten Haus, da ist sie mal wieder gewesen, im unteren Stock gibt es jetzt einen Kostümladen, in dem die Garderobe für "Fack ju Göhte" geschneidert wurde.

Noch viel spannender als das Schauspiel findet Herfurth die Regie

Der Radius, durch den wir uns bewegen, ist klein und doch ein Abriss ihres Lebens und ihrer Filmarbeit. Die Marienkirche, wo sie mit ihrem Vater während der Montagsdemos in einer Menschenkette stand, das Kinder-Freibad Monbijou, das Gorki Theater, in dem sie zweimal gespielt hat, bevor zu viele neue Filmprojekte kamen und sie spürte, dass die Kamera eher ihr Medium war. Die Plätze an der Friedrichsbrücke, wo sie das Finale ihres ersten eigenen Kurzfilms "Mittelkleiner Mensch" und Jahre später Szenen ihrer ersten großen Regiearbeit "SMS für Dich" gedreht hat. Ihr größtes Potenzial ist es, Filme zu schaffen, findet sie, "das ist noch spannender für mich als die Schauspielerei". Sie will eine gute Führungskraft sein, wühlt sich in jedes Detail ein. "Ich will ein Thema wirklich ergründen, da bezeichne ich mich als streberhaft", sagt sie.

"Eine Million Minuten"
Die Tochter wünscht sich "Eine Million Minuten" nur für schöne Sachen. Also bricht die Familie auf – und entkommt doch nicht all ihren Problemen
© Warner Bros Pictures / PR

Am Ende unseres Spaziergangs stehen wir vor einem Institut der Humboldt-Universität. Hier hat sie Soziologie und Politikwissenschaft studiert nach dem Ende der Schauspielschule und letztendlich aufgeben müssen, weil die Filmarbeit keinen Raum dafür ließ. Sie drückt die Tür auf, es riecht nach Reinigungsmitteln, Studierende laufen vorbei. "Wenn ich allein die Namen der Abteilungen lese, dann würde ich mich am liebsten gleich morgen wieder einschreiben." Aber wie soll all das in ein einziges Leben passen? "Ich weiß es noch nicht, aber ich weiß, dass ich da eines Tages wieder einsteigen werde." Das Leben, hat sie einmal gesagt, sei eine spannende Reise zu sich selbst.

Tipp: Hier geht es zur Folge "Eine Million Minuten – Die Folge zum Kinofilm" im Podcast ELTERNgespräch, gehostet von unserer Kollegin Christine Rickhoff:

Brigitte

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