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Leidenschaft im Alter 85-Jährige wird als Künstlerin entdeckt: "Jeder Mensch hat eine Begabung in sich"

Künstlerin Kalchie vor ihren Kunstwerken
© PR
Gisela Schiel traute sich im Alter, ganz auf sich zu hören – und wurde zur Künstlerin "Kalchie". Warum es nie zu spät ist, die eigene Leidenschaft zu leben. Und was ihre Geheimzutat für Erfolg und Glück ist.

Es ist nie zu spät, um die eigene Leidenschaft zu leben – und damit plötzlich erfolgreich zu sein. Gisela Schiel war 85 Jahre alt, als sie ihren Durchbruch als Künstlerin hatte. Eigentlich war sie längst im Ruhestand, lebte zurückgezogen und zufrieden. Das Besondere an dieser alten Dame ist: Sie hat nie eine Kunsthochschule besucht, sich nie mit Künstlern oder Stilrichtungen auseinandergesetzt. Und eigentlich wollte sie gar keine Malerin werden. Aber sie folgte ihrem Inneren, traute sich im Alter, das zu tun, was ihr in ihrer Jugend verwehrt wurde: sich kreativ auszuleben.

Nun werden ihre Bilder von Menschen in China bewundert, von Galerist:innen in Europa eingeordnet und für Preise bis zu 16.000 Euro verkauft. "Wenn ich male, bin ich eine andere Person", sagt sie. Deshalb lautet ihr Künstlername Kalchie. Eine Zusammensetzung aus ihrem zweiten Vornamen Klara und ihrem Nachnamen Schiel.

Die Mutter verbot einen kreativen Beruf

Sicher können wir vieles von dieser heute 86-Jährigen lernen. Es gibt eine Geheimzutat für ihren Erfolg – und ihre Zufriedenheit. Dafür musste sie einige Umwege gehen.

Als Jugendliche wollte Gisela Schiel ans Theater und bekam sogar ein Stipendium an einer Kunsthochschule angeboten. Eine große Ehre. Doch ihre Mutter verbot diesen Weg. Sie sollte einen "richtigen" Beruf lernen. Natürlich gehorchte man den Eltern damals. Gisela Schiel wurde Friseurin. Es folgten die Geschenke – und Ablenkungen – des Lebens: Sie heiratete einen Schweizer und zog mit ihm nach Basel, sie eröffnete einen Friseursalon, wurde Mutter und war fortan hauptsächlich für ihre Töchter da. Erst Jahrzehnte später lernte sie, ganz auf sich selbst zu hören. Und fand einen Zugang zu ihrer ureigenen Kreativität.

"Ich finde das selbst ganz sonderbar, dass ich diese Kraft habe"

Nachts, wenn alle schlafen, tritt die 86-Jährige an die Leinwand. Sie malt nur nachts, in der Stille und Dunkelheit ist die Welt eine andere. Während sie an der Staffelei steht, spürt Kalchie weder Hunger noch Durst, sie nimmt nichts anderes wahr als die Farben. "Es ist erstaunlich. Wenn ich zwei Stunden Hausarbeit mache, bin ich danach fix und fertig. Aber beim Malen können Stunden vergehen ohne Müdigkeit oder Wehwehchen. Ich finde das selbst ganz sonderbar, dass ich die Kraft habe, so lange vor der Leinwand zu stehen."

Kalchie hört erst auf zu malen, wenn das Bild fertig ist. Es gibt keine Pausen, kein "Ich mache morgen weiter." Manchmal steht die alte Dame sieben Stunden an der Leinwand, manchmal malt sie zehn Stunden ununterbrochen. "Wenn das Bild fertig ist, denke ich: Wow, das habe ich gemalt?!"

Die Geheimzutat für das Glück der 86-Jährigen

Während sie im Videointerview davon erzählt, ruhig und unaufgeregt, wird klar, was womöglich die Geheimzutat für ihren Erfolg ist. Kreativität ist bei ihr mit einer Haltung verbunden, die viele Menschen verlernt haben: Ehrfurcht und Demut. Sie rühmt sich nicht für diese Leistung, als 86-Jährige einen zehnstündigen Mal-Marathon hinzulegen und ihre Bilder teuer zu verkaufen. Über Preise spricht sie erst auf Nachfrage. Ihre Einstellung zu einem gelungenen Werk ist: "Ich weiß, ich hatte Hilfe."

Hilfe woher? Auch darüber spricht sie ungern, denn Worte über solche Unerklärlichkeiten machen viel kaputt. Manche nennen es das Universum, manche die geistige Welt, andere sagen Schöpferkraft dazu oder das Göttliche. Letztlich geht es darum: Kalchie fühlt sich angebunden an eine große Kraft. Und der folgt sie.

"Ich habe meine eigenen Farben in mir"

Sie schöpft ganz aus sich heraus, braucht keine Einflüsse von außen. Das ist es, was den Galeristen Nour Nouri der Pashmin Art Galerie Hamburg so beeindruckte, als er sie 2021 entdeckte. Er war es auch, der ihre Bilder anlässlich eines europäisch-chinesischen Kulturaustauschs ins Hong Art Museum nach China brachte.

"Ich habe immer meine eigenen Farben in mir", sagt Kalchie. Sie trägt eine Farbe so lange mit sich im Inneren herum, spürt sie wachsen, bis sie nicht mehr anders kann, als sie rauszulassen. Am Anfang war das nur Blau, die Farbe der Trauer. Denn es war der frühe Tod ihres Mannes, der bewirkte, dass sie sich vollends der Malerei hingab. Das hielt sie lebendig. Da war sie gerade Anfang 50.

Mühelos in den Flow kommen

"Wenn ich male, sehe ich das Ganze noch nicht. Ich bin immer nur da, wo ich gerade im Moment male." Bis sie spürt, welche andere Farbe dazugehört. Klingt mystisch, ist es auch. Schlagworte, die mit ihren Bildern verbunden werden, lauten im Internet: Atmosphäre, Aura, Energie, Inspiration.

Und die Reaktionen? Ein Käufer habe erzählt, dass er sich vor sein Kalchie-Bild setze, wenn er nach Hause komme, einen Whiskey in der Hand, und so entspannen könne. Ein anderer habe einen Vortrag schreiben müssen, zu dem ihm nichts einfiel. Bis er sich kontemplativ vor die drei riesigen Gemälde von Kalchie gesetzt habe, die in seiner Wohnung hingen. Auf einmal kam er in den Fluss.

Der Flow überträgt sich. Wer weiß, wie weit er Kalchie noch durch die Kunstwelt tragen wird. Große Pläne zu deren Eroberung hegt die bescheidene Dame nicht. "Ich bin glücklich, wenn ich gesund bin und Malen darf."

"Befasse dich mit dir selbst und hab Freude an dem, was du tust"

Was die 86-Jährige anderen mitgeben möchte, die sich eingeschränkt fühlen durch ihr Alter oder mit dem Ruhestand hadern? "Jeder Mensch hat eine Begabung in sich, ein Hobby, sei es Stricken oder Tonfiguren formen." Sie lächelt ein wenig, das Gesicht weich und freundlich, und sagt: "Geh im Wald spazieren, befasse dich mit dir selbst und hab Freude an dem, was du tust."

Brigitte

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