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Tijen Onaran How to Gendern: Mit der Familie über Geschlechter-Fragen sprechen

How to Gendern: Tijen Onaran
How to Gendern: Tijen Onaran ist Expertin bei Fragen der Gleichstellung von Frauen.
© Urban Zintel
Das Thema Gendern eröffnet immer wieder Räume für hitzige Diskussionen. Während viele das Thema in eher konservativ geprägten sozialen Umfeldern meiden, rät Unternehmerin Tijen Onaran das gerade nicht zu tun. Wie wir das Gendern und Themen um Inklusivität am besten, produktivsten und vor allem am friedlichsten ansprechen, verrät Sie uns im Interview mit BRIGITTE.

Schweigt ihr manchmal, um den Frieden am Esstisch zu bewahren? Um Themen der Geschlechter-Debatte wird im familiären Umfeld gerne ein groooßer Bogen gemacht. Zu groß ist das Streitpotenzial, wenn die verschiedene Ansichten aufeinanderprallen. Tijen Onaran ist in dem Fall nicht der Meinung, dass Schweigen Gold ist: "Das Schlimmste, was gerade im ganzen Bereich Vielfalt passieren kann, ist Sprachlosigkeit." erzählt sie uns im Interview. Tijen Onaran ist Unternehmerin, Speakerin und Gründerin des größten globalen Frauennetzwerks "Global Digital Women". Mit ihrer Expertise im Bereich der Geschlechtergleichstellung und Vielfalt erklärt sie, wie man konfliktreiche Themen wie das Gendern am besten mit Menschen bespricht, die eine ganz andere Meinung als die eigene haben. 

How to Gendern: Der Fehler ist, Diskussionen vermeiden zu wollen

Oftmals liegt das Problem nicht in der Diskussion, sondern in der Art und Weise, wie wir diskutieren. Tijen Onaran liebt es, an einem Tisch mit vielen verschiedenen Meinungen zu sitzen: "Wenn alle dieselbe Meinung hätten, ist das vielleicht einfacher und wir würden schneller zum gleichen Ziel kommen, aber es wäre definitiv nicht innovativer oder besser für die Runde." Ihre Taktik ist es, erst einmal zuzuhören: "Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, mir erst mal alle Argumente anzuhören. Du musst ja erst verstehen und begreifen, woher diese Aversion oder Abwehrhaltung zum Beispiel gegenüber dem Gendern oder der Frauen-Quote kommt." 

Individuelle Erfahrungen prägen die eigene Haltung

Der erste Schritt zu einer erfolgreichen Diskussion ist es also, dem Gesprächspartner erst einmal zuzuhören – das vergessen wir manchmal! Tijen hat dabei die Erfahrung gemacht, dass sich die Abwehrhaltung aus individuellen Erfahrungen der jeweiligen Person ableiten lässt. Wenn jemand z.B. eine Frauen-Quote im unternehmerischen Kontext nicht für nötig hält, könnte es daran liegen, dass er oder sie auch ohne diese Regelung beruflich erfolgreich ist. Oder man kennt eine Frau, die es auch ohne eine solche Quote geschafft hat. Wenn man den ursprünglichen Grund für die Meinung des Gegenübers kennt, wird das Gespräch erst mal weg vom kritischen Thema und hin zu den jeweiligen Umständen gelenkt. "Die Frau, die auch ohne Frauen-Quote beruflich durchgestartet ist, ist vielleicht in einem relativ privilegierten Elternhaus groß geworden und hatte seit Geburt an sehr viele Chancen." 

Wichtig ist also die Frage der Perspektive: Kann sich der Gesprächspartner und man selbst auch in eine andere Situation als die bekannte hineinversetzten? Es gibt eben viele Frauen, die ein stärkeres Empowerment benötigen als andere – denn es geht nicht um die Ausnahmen.

"Mit Zahlen und Studien wirst du niemanden überzeugen"

Obwohl es für viele gesellschaftspolitische Themen fundierte Zahlen und Studien gibt, helfen diese im Gespräch mit einem Angehörigen oder Freund nicht weiter. "Mit Zahlen und Studien wirst du niemanden überzeugen. Auch wenn es aus Marketing-Sicht überhaupt keinen Sinn macht, nicht zu gendern, weil du eine Zielgruppe nicht ansprichst, hilft das meines Erachtens in solchen Diskursen nicht. Weil bei vielen gesellschaftspolitischen Themen geht's gar nicht mehr um Fakten, Zahlen und Daten. Es geht um einen Glauben. Es geht darum, was du für eine Haltung hast und mit welchen Werten du sozialisiert wurdest. Und da kann man mit noch so vielen Studien um die Ecke kommen. Wenn man wirklich glaubt, dass Gendern und die Quote nichts bringt, wird es sehr sehr sehr schwierig sein, diese Person vom Gegenteil zu überzeugen."

Die Meinungen sind festgefahren – was nun?

Das Ziel der Diskussion ist nicht immer, den anderen zu überzeugen. Sondern zu erreichen, dass er dich versteht. Besser ist es, wenn eine Ko-Existenz angestrebt wird, findet Tijen: "Ich plädiere immer dafür, dass die Person deine Haltung versteht und akzeptiert. Ich erwarte nicht, dass alle anfangen zu gendern. Aber ich erwarte, dass wenn ich es tue, ich dafür nicht angegangen werde. Und wenn ich durch mein Gendern eine Perspektive präge und sage "lass dich doch drauf ein", dann habe ich schon viel gewonnen." Tijens Grundhaltung ist erst mal: "Nur weil ich es tue, erwarte ich nicht, dass du es auch machst. Aber umgekehrt, wenn ich es tue, erwarte ich auch, dass du es akzeptierst." Intensive Diskussionen müssen wir also öfter positiv bewerten: Wenn diskutiert wird, dann findet auch Veränderung statt.

Denn: "Das Schlimmste, was gerade im ganzen Bereich Vielfalt passieren kann, ist Sprachlosigkeit. Also wenn Leute nicht mehr darüber reden. Wenn sie es totschweigen und für sich ausmachen. Denn wenn sich eine endgültige Haltung entwickelt, bei der man nicht mehr durchkommt, erreichst du die Menschen gar nicht mehr."

Die Technik – die Lösung?

Eine Problematik, die uns in jeder Diskussion begleitet, ist Emotionalität. Das Hinweisen und Verbessern auf "Fehler" im Sprachgebrauch passt uns nämlich überhaupt nicht. "Es ist eigentlich lustig, denn es ist bewiesen, dass wenn Menschen dich auf etwas hinweisen, das du falsch machst, bist du weniger gewollt das zu akzeptieren. Wenn es aber eine Software macht und das im geschützten Raum passiert, dann lässt du dich auch auf deine Fehler ein und denkst progressiv darüber nach."

Eine solche Software gibt es bereits: Ein Start-up, in welches Tijen Onaran investiert hat, beschäftigt sich mit inklusiver Sprache auf inhaltlicher Ebene. Sie weist also nicht nur auf das Gendern hin, sondern auch auf die Wortwahl: "Es geht nicht nur um die Endung. Inklusive Sprache heißt auch, dass bestimmte Adjektive und Attribute verwendet werden. Zum Beispiel das Wort "ambitioniert" spricht tendenziell eher Männer bei einer Stellenausschreibung an. Genau wie "High Performance" – Frauen sehen sich dann nicht in dem Umfeld. Wenn wir den Diskurs also ent-emotionalisieren und auf eine sachliche Ebene bringen – wie mit einem digitalen Tool, das Vorschläge macht – wird es dazu führen, dass Menschen stärker darüber nachdenken. Und das im geschützten Raum und nicht auf dem Präsentier-Teller. Zeigefinger-Politik und Scham ist der falsche Weg. Inklusive Sprache kann man erlernen, wie man auch eine Fremdsprache erlernt."

Die nächsten Schritte in der Gender-Debatte sind also digitale Tools, die uns helfen, eine größere Sensibilität zu entwickeln: "Ich glaube, dass die Zukunft im Bereich Diversität im digitalen Bereich ist", ist Tijen Onarans Einschätzung.

Brigitte

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