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"Liebes Tagebuch, ..." Eine Hommage an das klassische Tagebuch und warum es mein Leben bereichert

Eine Frau sitzt am Strand und schreibt in einem Buch
© dusanpetkovic1 / Adobe Stock
„Liebes Tagebuch …“, in meiner Kindheit fing eine neue Seite in meinem Tagebuch tatsächlich immer so an. Heute hat sich der Schreibstil etwas verändert, aber der Effekt ist der gleiche: Alles rauslassen, was sich im Kopf festkrallt, um das Gedankenchaos ein bisschen zu ordnen und Ruhe in mir zu schaffen. Eine Hommage an das klassische Tagebuch und warum es meinem Leben Ordnung schenkt.

Ich bin kürzlich umgezogen. Beim Packen der Kartons fallen einem häufiger Mal nostalgische Dinge in die Hände, die irgendwo hinten in den Regalen standen oder tief im Schrank vergraben waren. Neben ein paar Erinnerungsstücken an meine Familie tauchten auch meine alten Tagebücher wieder auf – meine allerersten. Das waren noch richtige Tagebücher mit Schlössern dran – perfekt, um kleine Brüder von den intimsten Geheimnissen fernzuhalten.

Mit acht Jahren begann ich Tagebuch zu schreiben – und habe nie aufgehört

Da ich die Schlüssel nicht mehr hatte, schnappte ich mir eine Schere und schnitt die dünne Papierlasche durch. So einfach war es also an meine privaten Worte zu gelangen, das sah als junges Mädchen irgendwie sicherer aus. Ich schlug die erste Seite auf, Juni 1999 stand da, das blaue Buch mit den Elefanten drauf hatte ich also zum Geburtstag bekommen. "Liebes Tagebuch, heute ist mein Geburtstag", stand da in einer Schrift, die meiner heutigen tatsächlich ein bisschen ähnlich sieht. "Es war ein toller Tag. Viele Freunde waren da und es gab Kuchen. Ich habe mich sehr gefreut." Naja, die Anfänge waren noch zaghaft.

Heute gibt es die unterschiedlichsten Arten des Schreibens. Eines haben sie alle gemeinsam: Man soll mehr zu sich selbst finden. Bullet Journaling ist beispielsweise ein beliebter Trend, bei dem in einem Notizbuch auf mehr oder weniger künstlerische Weise Seiten ganz nach dem eigenen Geschmack gestaltet werden. Es gibt Kalenderblätter, To-do-Listen, Buchlisten, Bucketlisten, Energie-Messer und so viel mehr. Ich habe es auch ausprobiert und mir hat es auch gefallen, aber an das klassische Tagebuch kommt es für mich nicht ran. Dann gibt es Tagebücher, die mit vorgefertigten Fragen arbeiten. Was für manche eine Erleichterung ist, empfand ich immer als einschränkend. Ich wollte frei schreiben, einfach drauf los.

Und genau das macht den Reiz eines klassischen Tagebuches aus. Jede Seite ist frisch, neu und leer, bereit deine Sorgen, Ängste und Nöte aufzusaugen und deine Freude, dein Glück und dein Lachen zu konservieren. Meine Tagebücher sind längst nicht mehr diese schönen bunten Bücher von damals mit den Schlössern. Mittlerweile sind es blanko Notizhefte – zumindest in hübschen Tönen.

Mein Tagebuch hilft mir beim Entwirren des Gedankenchaos in meinem Kopf

Wenn ich mein Tagebuch in die Hand nehme, dann ist mein Kopf voller wirrer Gedanken, die alle darauf drängen, herauszusprudeln. Manchmal weiß ich gar nicht, ob genug Platz auf den Seiten ist. Was für ein Chaos aus Emotionen, Erinnerungen und Gedanken. Nach dem ersten Schreibanfall wird es schon etwas ruhiger und meine Hand zuckt nicht mehr blitzschnell über die Seiten.

Ich lese noch mal, was ich geschrieben habe. Was war in der Situation noch mal passiert? Warum habe ich da so gehandelt? Das Tagebuch schafft nicht nur Ordnung in meinem Kopf, es sorgt auch dafür, dass ich mich und mein Handeln hinterfrage und reflektiere. Vielleicht hatte mein Gegenüber ja doch recht? Durch das Schreiben kann ich mich selbst wieder erden, kann runterkommen und meinen Gedankenfetzen eine Struktur und damit auch mehr Inhalt geben. Belastendes werde ich los und die eine oder andere Idee nehme ich wieder mit.

Als Journalistin schreibe ich den ganzen Tag, doch in der Regel geht es da eher nicht um mein Innerstes. Sich Dinge von der Seele zu schreiben, hat etwas Meditatives, wenn nicht sogar etwas Therapeutisches. Es geht nicht darum, mich oder mein Handeln zu bewerten, sondern darum, die Gedanken einfach fließen zu lassen. Ich merke mit jedem Wort, wie sich der Stress abbaut. Wenn ich den Stift weglege und das Buch zuklappe, kann ich mich entspannt zurücklehnen und atme einmal tief durch.

Perspektivwechsel gefällig? Ich frage mich häufig, warum andere Mensch handeln, wie sie handeln

Und weil ich nun mal den ganzen Tag schreibe, kann es auch mal zu einer Schreibblockade kommen. Es gibt Momente, da will selbst der einfachste Satz nicht wirklich gut klingen und die Übergänge sind absoluter Mist und der Einstieg muss auf jeden Fall noch einmal neu. Auch da kann ein Tagebuch helfen. Das Drauflosschreiben hilft, Blockaden zu lösen. Und dabei muss es gar nicht um etwas gehen, was tatsächlich passiert ist. Manchmal schreibe ich auch einfach runter, was ich Wirres geträumt habe, oder etwas völlig Fantastisches aus der letzten Ecke meines Gehirns. Aber es hilft. Einmal wieder im Schreibflow, wird auch der Artikel besser.

Das Schönste ist meiner Meinung nach aber, dass man mit einem Tagebuch die eigenen Fortschritte und Veränderungen nachvollziehen kann. War man bei einem Thema vielleicht erst etwas engstirnig, werden die Worte auf den nächsten Seiten schon nachsichtiger und klingen am Ende doch mehr nach Verständnis als Gegenwehr. Doch nicht nur Veränderungen kann man nachvollziehen, auch Erinnerungen werden konserviert. Lese ich beispielsweise in alten Tagebüchern, dann klopft das Gefühl von damals noch einmal an. Worte sind fast wie Gerüche, an die altbekannte Erlebnisse geknüpft sind – man fühlt sich sofort zurückversetzt und kann die Gefühle von damals noch einmal nachfühlen.

Nicht nur sich selbst, die eigene Meinung und das Handeln reflektiert man durch das Schreiben eines Tagebuches, auch ein Perspektivwechsel ist deutlich einfacher. Je älter ich werde, desto mehr spüre ich die Unterschiede zwischen meiner Generation und der meiner Eltern. Wir gehen mit alltäglichen Situationen teilweise komplett anders um. Mir hilft es manchmal, meinen Ärger zu verdrängen, wenn ich mich frage: Wieso hat sich mein Vater in dieser Situation jetzt genau so verhalten? Dinge von allen Seiten betrachten; das ist im Alltag häufig schwer, da die Zeit einfach fehlt. Mit einem Tagebuch ist das jedoch kein Problem.

Ein kleines (bei mir momentan fliederfarbenes) Buch hat eine so große Wirkung. Damals mit gerade einmal acht Jahren war mir das natürlich noch nicht bewusst. Ich kann nur jedem:jeder einmal empfehlen, es auszuprobieren. Irgendwann kann man gar nicht mehr anders, als Buch und Stift zu zücken, wenn die Gedanken mal wieder Achterbahn fahren.

Brigitte

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