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Wetterfühligkeit Gibts das wirklich?

Wetterfühligkeit: Himmel
© FOTOGRIN / Shutterstock
Kann ein Sturm Gelenkschmerzen oder Migräne aufziehen lassen? Sind Temperaturabstürze und Gewitter Schuld an unseren Tiefs? Meteoropathie nennt sich das Phänomen, wenn man das Wetter fühlt. Doch was ist dran? Ein Faktencheck.

Deutsche sind besonders wettersensibel

Zumindest gibt halb Deutschland an, das Wetter habe Einfluss auf die Gesundheit. Insbesondere Frauen zeigen sich sensibel. Ganz oben auf der Symptom-Hitliste: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Gelenkschmerzen. "Sämtliche Literatur zum Thema kommt aus dem deutschsprachigen Raum", weiß der Münchner Professor für Biometeorologie Peter Höppe. In anderen Ländern existiere das Wort Wetterfühligkeit hingegen noch nicht einmal. "Engländer reden zwar auch gerne übers Wetter, aber nicht in Bezug auf ihre Befindlichkeit – dafür suchen sie andere Ursachen." Dennoch ist die Biotropie, so nennt man die Wirkung von Wetterreizen auf unser Befinden, keine Einbildung. "Auch wenn die kausalen Zusammenhänge noch nicht überall geklärt sind, haben dies zahlreiche Studien belegt", sagt Professor Andreas Matzarakis vom Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg. Krank macht aber nicht das Wetter selbst. Es greift nur bereits vorhandene Schwachstellen an. "Wer gestresst ist, Hormonveränderungen mitmacht, gesundheitlich belastet ist oder am Vortag zwei Schweinehaxen gegessen hat, ist nicht topfit." Ein Wetterumschwung wirke hier wie ein zusätzlicher Faktor – und könne das Fass zum Überlaufen bringen.

Föhn drückt die Stimmung

Um die Antwort vorwegzunehmen: Jein. "Der Föhn ist eine besonders wirksame Wetterlage", sagt Experte Peter Höppe. Manche reagieren auf den warmen Fallwind aus den Alpen und den damit verbundenen rasanten Temperaturanstieg mit unruhigem Schlaf, Migräne und Niedergeschlagenheit. Eine Münchner Studie fand sogar heraus, dass Selbstmordversuche und Einweisungen in die Psychiatrie an Föhntagen um 20 Prozent steigen. Das könnte auch erklären, warum die warmen Santa-Ana-Winde in Kalifornien Teufelshauch genannt werden. Die Zahl der Rettungseinsätze, bei denen Alkohol oder Drogen eine Rolle spielen, sinkt hingegen. Vielleicht weil der Föhn selbst berauscht? "Einige empfinden ihn wie ein Glas Champagner. Er lässt sie aufleben." Und wer gar nichts merkt? Ist eventuell nicht wetterfühlig oder gerade erst in die Voralpenregion gezogen. "Föhnfühlig im negativen Sinne wird man nämlich erst nach sieben Jahren in München", so Peter Höppe. Kleiner Tipp vom Experten: Das stabile Klima in Ostdeutschland wäre eine Wohnortalternative für alle, die durch den Wind sind.

Wenn Omas Knie zwickt, gibt's Schnee

"Es gibt Leute, die verlässlich spüren können, wenn am nächsten Tag Schnee kommt. Das heißt Vorfühligkeit", sagt Biometeorologe Peter Höppe. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Arthritis oder aber mit Narben und amputierten Gliedmaßen hätten vor Wetterwechseln nicht selten mehr Beschwerden oder Phantomschmerzen. Sie sind wetterempfindlich. Das bedeutet: Ihre chronische Grundkrankheit verstärkt sich durch Temperatur, Feuchtigkeit, Strahlungsverhältnisse oder Luftdruck. Hellsehen können die Betroffenen deswegen aber nicht. "Man kann nichts spüren, was nicht schon da ist." Zwei Verdächtige hat die Wissenschaft als Auslöser für die Vorfühligkeit im Visier: elektromagnetische Impulsstrahlung von weit entfernten Gewitterfronten und niederfrequente Luftdruckschwankungen, die etwa bei Stürmen oder Erdbeben ausgelöst werden. Warum vor allem ältere Semester scheinbar prophetische Fähigkeiten haben, ist hingegen leicht erklärt: "Steigt die Zahl der Vorerkrankungen, bietet der Körper mehr Angriffspunkte", weiß Experte Andreas Matzarakis.

Klimaanlagen sind gut fürs Betriebsklima

Im Gegenteil: Schlecht eingestellte Klimaanlagen sind ein Problem und können zum Sick-Building-Syndrom führen. "Das wirkt sich fast wie Wetterfühligkeit aus – überproportional viele Menschen haben dann Beschwerden wie Kopfschmerzen", sagt Peter Höppe. Zu große Luftwechsel zum Beispiel sorgen für Zugerscheinungen. Aber selbst modernste Anlagen lassen bei Hitze nicht unbedingt die Stimmung steigen. "Denn eine Temperatur, bei der sich alle wohlfühlen, gibt es nicht. Frauen bevorzugen es wärmer, weil sie weniger Wärme produzieren als Männe"“, erklärt Biometeorologe Andreas Matzarakis. Hilft also nur der Zwiebel-Look im Großraumbüro – oder ein Fake Thermostat am Arbeitsplatz: "Beschäftigten, die in einer Studie am Dummy drehen konnten, ging es gleich besser – das Gefühl, die Temperatur selbst regeln zu können, hat einen hohen psychologischen Effekt", so Peter Höppe.

Der Regen härtet ab

"Gegen das Wetter ist kein Kraut gewachsen, wohl aber gegen die Reaktion darauf", sagt Professor Andreas Matzarakis. Statt uns bei Kälte und Regen aufs Sofa zu verkrümeln, sollten wir bewusst rausgehen. Das härtet Wetterfühlige genauso ab wie Sport, Saunagänge, Kneipp-Bäder oder Wechselduschen. Der Effekt: Der Körper kann sich besser an extreme Wetterumschwünge anpassen. Diese Regulationsfähigkeit ist vielen teilweise abhandengekommen. Denn während wir einst in der Wildnis tobten, verbringen wir heute 85 Prozent unserer Zeit in Innenräumen. Die gute Nachricht: Das Wetter kann uns auch positiv beeinflussen. "Bei Sonnenschein, Windstille und Temperaturen zwischen 18 und 25 Grad gibt es keine Herausforderung für unsere Thermoregulation, Wehwehchen wer-den milder, und statt des Schlafhormons Melatonin wird der Stimmungsaufheller Serotonin ausgeschüttet." Es lebe das Hochdruckgebiet.

Biowetter-Vorhersagen machen uns empfindlich

Wir kennen das: Hat der Partner Magen-Darm, ist uns plötzlich auch ganz übel. Klarer Fall von Einbildung. Kritiker sagen der sogenannten Biowettervorhersage eine ähnlich negative Wirkung nach. Wer morgens lese, dass die Witterung heute zu Gallenkoliken führen kann, fühlt sich gleich weniger wohl. Nocebo-Effekt nennt sich das. Von der Hand zu weisen sei das nicht. Dennoch hält Peter Höppe den Service vom Deutschen Wetterdienst für sinnvoll. "Wenn ich weiß, etwa indem ich Tagebuch führe, auf welche Wetterlage ich empfindlich reagiere, kann ich mein Verhalten anpassen oder, wenn nötig, in Absprache mit dem Arzt durch Medikamente die Beschwerden abfangen." Hier scheiden sich also die Wetter-Geister.

Wechselt die Witterung, kommen die Wehen

Auf Schnee folgt Geburt? Manche Hebammen schwören darauf. Doch die Forschungsergebnisse zum Babyboom bei Wetterwechseln sind uneinheitlich. "Die Datenlage ist recht mau, und es gibt keine Studien, die einen signifikanten Zusammenhang gefunden hätten – völlig ausschließen möchte ich es aber nicht", sagt Professor Peter Höppe. Einige Arbeiten würden darauf hindeuten, dass eventuell starke Temperatur- und Luftdruckveränderungen zu einer minimal höheren Geburtenrate führen. Dass sich das Gerücht seit Ewigkeiten hält, sei kein Beweis. "Es wird ja auch geglaubt, dass die Mondphasen Einfluss auf das Wachstum von Pflanzen und das Wetter haben – obwohl das eindeutig nicht zusammenhängt." Aber es kann ja nicht schaden, die Krankenhaustasche griffbereit zu haben.

Prof. Dr. Andreas Matzarakis leitet das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg

Prof. Dr. Dr. Peter Höppe ist Experte für Naturgefahren, Klimawandel, Biometeorologie und Vorsitzender der Münchener Universitätsgesellschaft

Barbara

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