Der blumige Teil des Wortes Mundflora stammt aus einer Zeit, in der die Wissenschaft Bakterien zu den Pflanzen zählte. Heute weiß man: Bakterien sind eine Art für sich. Daher sprechen Wissenschaftler lieber vom "oralen Mikrobiom". In unserer Mundhöhle leben in einem Milliliter Speichel 600 bis 1000 unterschiedliche Bakteriengattungen. Wenn sie die Chance bekommen, vermehren sich die Mikroben rasant und haften als Biofilm (Plaque) auf Zähnen, Schleimhäuten und Zunge.
"Die meisten sind ungefährlich, viele sogar wichtig, um Nahrungsmittel während des Kauens schon im Mund vorzuverdauen, Entzündungen vorzubeugen oder die Immunabwehr zu unterstützen", sagt Dr. Ralf Rößler, Professor für Parodontologie und Prävention an der Praxishochschule in Köln. "Neben den Guten florieren in jeder Mundhöhle aber auch schädliche Bakterien. Der kariesfördernde Streptococcus mutans wandelt Zucker in aggressive Säuren um und greift den Zahnschmelz an."
Mundgeruch? Da ist eindeutig was faul!
Bestimmte Laktobazillen und Fusobakterien (Eitererreger) verstoffwechseln Speisereste und erhöhen das Risiko für Parodontose. Prof. Ralf Rößler: "In einer gesunden Mundflora ist die Anzahl der unterschiedlichen Bakterienstämme ausgewogen. Gewinnen die schädlichen an Boden, macht sich das oft durch Mundgeruch bemerkbar." Ein deutliches Signal ist ein sauerer pH-Wert des Speichels — mit einem Teststreifen aus der Apotheke lässt sich der Wert schnell überprüfen.
Eine Zahnfleischentszündung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, empfiehlt die Biologin Dr. Marianne von Schmettow, wissenschaftliche Leiterin bei Gaba. "Bei Implantaten etwa, die immer mehr Menschen besitzen, kann sich die Entzündung nach und nach zur sogenannten Peri-Implantitis entwickeln, einer Entzündung des Implantatbettes. Im schlimmsten Fall muss das Implantat entfernt werden. Ersatz an dieser Stelle ist mindestens langwierig, häufig aussichtslos." Am besten ist natürlich, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen und die schädlichen Keime konsequent in Schach zu halten – so verhindert man auch unschöne Aphthen.
Deswegen gibt es hier einen 10-Punkte-Plan für rundum gesunde Zähne, Zahnfleisch und Mundflora.
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Lebensmittel, die lange gekaut werden müssen, wie Äpfel, Karotten oder Kohlrabi, regen den Speichelfluss an, mildern Säureattacken und machen es ungesunden Bakterien schwerer. Probiotische Bakterien in Kefir, Naturjoghurt und Käse stärken den Zahnschmelz und können die mikrobielle Balance fördern. Chlorophyll vertreibt Fäulnis- und Kariesbakterien. Konzentriert ist der grüne Stoff in Kräutern wie Petersilie, Basilikum und Minze enthalten. Grüner Tee ist reich an entzündungshemmenden Polyphenolen, die den Biofilm auf den Zähnen unterdrücken. Schwarzer Tee enthält dazu noch zahnstärkendes Fluorid — ohne Zucker trinken, versteht sich ja von selbst.
Zu viele über den Tag verteilte Snacks lassen den pH-Wert permanent in den kritischen Bereich sinken. Zahnfreundlicher sind drei Mahlzeiten täglich — und Süßes am besten direkt danach essen. Sonst erhalten die Bakterien immer wieder neues Futter, und die Säureproduktion im Mund steigt. Nach dem Essen nicht sofort die Zähne putzen — es dauert etwa 30 Minuten, bis sich die geschwächte Zahnoberfläche erholt hat.
Eine gute Idee: Morgens nach dem Aufstehen einen Esslöffel Sesam-, Sonnenblumen- oder Mundziehöl (z.B. von Oliveda, Ringana) zehn Minuten lang im Mund hin- und herbewegen und durch die Zahnzwischenräume ziehen. Danach ausspucken und den Mund gründlich ausspülen. Das entfernt Bakterien, fördert die Durchblutung des Zahnfleisches und unterstützt die Reinigung von Zähnen und Zunge. Wem Ölziehen zu aufwendig ist, der greift vor dem Putzen schnell zum Zungenreiniger und entfernt damit schon das Gröbste — denn die Zunge ist besonders anfällig für bakterielle Ablagerungen.
Nur ein Drittel aller Deutschen putzt noch mit einer Handzahnbürste, zwei Drittel vertrauen der elektrischen Variante. "Zu Recht", sagt Prof. Ralf Rößler. "Vor allem E-Bürsten mit oszillierender Rotation tragen Beläge um durchschnittlich 75 Prozent besser ab. Und im Gegensatz zur Handzahnbürste besteht kein erhöhtes Schädigungsrisiko für Zähne und Zahnfleisch durch eine falsche Putztechnik."
Viele Modelle stoppen oder blinken, wenn der Druck zu stark ist (z. B. "Sonicare Diamond Clean" von Philips). Neu ist eine Bürste mit Positionserkennungstechnologie, die aufzeichnet, welche Bereiche im Mund wie lange geputzt werden, die Daten auswertet und aufs Handy schickt ("Genius 9000" von Oral-B). "Der Durchschnittswert beim Zähneputzen liegt bei erschreckenden 47 Sekunden. Durch diese App steigerte sich die Putzzeit auf 2:27 Minuten." Wichtig: die Bürsten spätestens nach drei Monaten auswechseln. Sind sie zu alt und damit auch ausgefranst, bergen sie ein höheres Verletzungs- und Keimrisiko.
Zahnbürsten reinigen nur 60 Prozent der Zahnfläche. Die Lücken säubern Zahnseide und Interdentalbürsten. "Bei Patienten mit gesundem Zahnfleisch ist Zahnseide ideal. Ein 30 Zentimeter langer Faden reicht für eine Anwendung", so Prof. Ralf Rößler. "Die um die Finger gewickelte Seide etwa sechsmal auf- und abbewegen. Besser nicht hin- und herziehen, weil Sägebewegungen das Zahnfleisch verletzen können. In größeren Zwischenräumen reinigen nur Interdentalbürsten gut."
Von haarfein bis zahnstocherbreit gibt es für jede Lücke eine Lösung. Wie alle Zahnbürsten sind sie ganz pflegeleicht. Gründlich abspülen, dann mit dem Kopf nach oben in den Becher stellen. Die Keime, die an ihren Borsten hängen, sterben beim Trocknen ab. Bei akuten Zahnfleischproblemen können Interdentalbürsten mit einem entzündungshemmenden Chlorhexidin- oder einem desinfizierenden Gel angewendet werden ("Gingival Gel", "Interdental Gel", beides von TePe). Tipp für zwischendurch: Dental-Sticks mit weichen Silikonlamellen reinigen effektiv, massieren und stärken das Zahnfleisch.
Zahncreme ist längst zum Hightechprodukt geworden. In einigen Cremes finden sich bis zu 100 Substanzen. Besonders wichtig sind Fluoride, da sie die Zähne remineralisieren und die Widerstandskraft des Zahnschmelzes erhöhen. Tipp: nach dem Putzen den Schaum nur ausspucken, nicht mit Wasser ausspülen. Fluoride brauchen Zeit, um wirken zu können. "Bei erhöhtem Kariesrisiko ist konsequente Mundpflege noch wichtiger", sagt Dr. Marianne von Schmettow. Ein konzentriertes Fluoridgel, einmal wöchentlich vor dem Schlafengehen aufgetragen, senkt das Kariesrisiko (z.B. "Elmex Gelée" von Gaba). Gegen Zahnfleischentzündungen erwies sich die Kombination von Aminfluorid und Zinnfluorid als besonders effektiv.
Dr. von Schmettow: "Etwa elf Prozent der Deutschen leiden an einer schweren Parodontitis. Das kann sich auf den gesamten Körper auswirken, da die Bakterien über den Blutkreislauf verteilt werden können. Zwischen Parodontitis und Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden und Diabetes gibt es einen nachgewiesenen Zusammenhang." Neu ist eine Paste, die hoch dosierte antibakterielle Wirkstoffe enthält ("Parodont Expert" von Meridol).
Bakterien attackieren vor allem das Zahnfleisch. Gezielt nutzen diese Siedler die Schwachstellen aus: die Saumzellen, ein zartes Gewebe, das die Verbindung zwischen Zahn und Zahnfleisch herstellt. "Die Bakterien setzen Toxine frei, die in das Saumhäutchen eindringen und es auflockern. Der Organismus antwortet mit Abwehrzellen, die in das Gewebe einströmen und die Durchlässigkeit für entzündungsfördernde Bakterien erhöhen", erklärt die Biologin.
Erste Anzeichen wie Zahnfleischbluten werden oft nicht ernst genommen. Sie zeigen aber eine Entzündung an (Gingivitis), die unbehandelt zu Parodontitis bis zu Zahnverlust führen kann. Im akuten Fall kann nur der Zahnarzt den organisierten Biofilm, also aneinandergekettete Bakterien, durch eine Parodontitis-Behandlung mechanisch auflösen und gegen verbliebene Einzelbakterien Antibiotika verschreiben. Vorbeugend wirkt eine professionelle Zahnreinigung, möglichst zweimal jährlich.
Entzündete sich das Zahnfleisch ständig, halfen bislang nur Antibiotika. Doch die töten auch die guten Bakterien im Mund ab. Jetzt gibt es eine Alternative: Autovakzin, einen Impfstoff, der für jeden Patienten individuell hergestellt wird. Alles, was das Labor dafür braucht, ist ein Bakterien-Abstrich. Das erledigt der Zahnarzt. Der Patient nimmt sein Autovakzin dann per Schluckimpfung ein. Nach ein bis zwei Monaten und acht Impfungen ist er gegen "seine" Bakterien immun. Kosten: ca. 1000 Euro.
Ein Lichtblick ist auch die photodynamische Lichttherapie. Zunächst reinigt der Zahnarzt die Zahnfleischtaschen gründlich. Anschließend färbt er die betroffenen Bereiche und die entzündungsauslösenden Mikroorganismen mithilfe einer Farbstofflösung ein und belichtet sie mit einem Niedrigenergielaser. Die ausgelöste photodynamische Reaktion führt zur Bildung eines aggressiven Sauerstoffs, der das Bakterium zerstört. Kosten: ca. 500 Euro.
Bakterienkiller gibt es auch in Gel- oder Pastenform, die der Arzt direkt in die Zahnfleischtasche gibt. Solche Lokalantibiotika können höher dosiert werden als Tabletten und belasten nicht den gesamten Organismus. Bisheriges Problem: ihre geringe Verweildauer im Zahnfleisch. Das neue Gel-Antibiotikum "Ligosan Slow Release"(Behandlung ab ca. 100 Euro) ist bei Zahnfleisch- und Kieferknocheninfektionen besonders erfolgreich, da der enthaltene Wirkstoff Doxicylin gegen gewebeabbauende Enzyme und Bakterien vorgeht.