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Magersucht überlebt 5 Tipps, die mir rückblickend am meisten geholfen haben

Magersucht: Tipps, die mein 32-jähriges Ich gerne meinem kranken 12-jährigen Ich gegeben hätte.
Magersucht: Tipps, die mein 32-jähriges Ich gerne meinem kranken 12-jährigen Ich gegeben hätte.
© Tory Levi / Shutterstock
Mit 12 Jahren kam ich wegen meiner Magersucht in die Klinik. 20 Jahre später bin ich gesund und teile fünf Tipps, die mir rückblickend am meisten geholfen haben.

Ich war erst 12 Jahre alt, als ich an Magersucht (Anorexia nervosa) erkrankte. Damals bekam ich gesagt, dass, wenn ich in dem Tempo weiter so abnehmen würde, ich in zweieinhalb Monaten tot wäre. Das Wachrütteln hat mich in die stationäre Therapie verfrachtet – meine Rettung. Die Essstörung habe ich überlebt und dauerhaft besiegt. 

20 Jahre später kann ich rückblickend sagen, welche Tipps und Strategien mir persönlich am meisten geholfen haben, meine inneren Dämonen zu besiegen. Die Therapie liefert erste Anhaltspunkte und das Werkzeug, doch aus dem Schlamassel muss man sich dann leider selbst herausmanövrieren. Das war bei mir ein langer Prozess, der sich aber zu hundert Prozent gelohnt hat.

Was mir dabei am meisten half und ich meinem jüngeren Ich rückblickend am liebsten direkt mit auf den Weg gegeben hätte, möchte ich nun mit euch teilen – in der Hoffnung, dass es vielleicht dem einen oder der anderen Betroffenen auf irgendeine Weise weiterhilft.

Magersucht: meine 5 Tipps und Strategien

1. Ein neutrales Verhältnis zum Körper aufbauen

Die "Body Positivity"-Bewegung ebbt nicht ab. "Liebe deinen Körper" schreit es einem förmlich von bunten Poster-Sprüchen entgegen. Doch Cellulite oder den eigenen Bauch zu lieben, ist ein ziemlich hohes Ziel. Was viel wichtiger und realer ist: den Körper aus dem Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit zu holen und ein neutrales Verhältnis zu ihm anzustreben. Dein Aussehen ist nicht das, was du bist, sondern du bist du.

Dieses Grundverständnis aufzubauen und zu verinnerlichen, hat mir über die Jahre sehr geholfen, meinen Fokus nicht zu extrem auf mein Äußeres zu lenken. Fokus verlagern heißt das Zauberwort! Natürlich mache ich mich gerne zurecht, ziehe mich hübsch an und pflege mich. Aber meine kranken Gedanken dürfen sich nicht zu sehr mit jedem Zentimeter Haut meines Körpers beschäftigen.

2. Waagen aus dem Leben verbannen

Mein Mantra "Fokus verlagern" zieht sich wie ein roter Faden durch meine fünf Tipps und Strategien. Ich war wie besessen von der Zahl auf der Waage, habe sie täglich mehrfach gecheckt. Mein Gewicht hat mich als Person und mein Gefühlsleben definiert. Natürlich ist das falsch. Also musste das Ding aus meinem Leben verschwinden. Das gelang mir direkt nach dem stationären Therapieaufenthalt nicht.

Erst ein paar Jahre später habe ich begriffen, dass ich mich von der Menge meines Gewichts lösen muss. Nicht die Zahl auf der Waage sollte das absolute Feindbild sein, sondern das Gerät selbst. Die Waage musste weg. Sie wurde aus meinem Elternhaus verbannt und durfte in keiner WG stehen, in die ich nach dem Auszug einzog. Bis heute hat mir dieser Schritt essenziell geholfen, mich nicht über mein Gewicht zu definieren, denn: Ich habe keinen blassen Schimmer mehr, wie viel ich wiege und das fühlt sich befreiend an. 

3. Genuss wiedererlernen

Mit Zahlen habe ich sonst nicht so viel am Hut. Rechnen? Puh! Aber wie von der Zahl auf der Waage war ich auch besessen von den Kalorien der einzelnen Nahrungsmittel. Ich habe Lebensmittel nicht nach ihrem Geschmack bewertet, sondern nach ihrer Kalorienanzahl. Je weniger irgendwo enthalten waren, desto besser hat mir das Produkt geschmeckt.

Doch was macht das Leben erst lebenswert? Die zwei G's Genuss und Gönnung! Die Kalorienanzahl durfte nicht mehr studiert werden. Der Geschmack musste wieder die Oberhand gewinnen. Ich weiß noch ganz genau, wie es sich angefühlt hat, zum ersten Mal – noch während des Therapieaufenthalts – wieder einen Eisbecher zu essen. Ziel war es, das ohne schlechtes Gewissen zu tun. Ein schwerer Schritt, doch ich habe ihn gemeistert. Dennoch hat es viele Jahre und viele Steps gedauert, bis sich das Eis wieder regelmäßig auf meinem Speiseplan befand.

Ein nächster Schritt war nicht nur kalorienreiche Lebensmittel mögen zu lernen, sondern sich auszuprobieren und gut essen zu gehen. Zu lernen, was für eine verrückte Erfahrung gehobene Gastronomie sein kann, war sehr bereichernd für mich. Ich kann nicht kochen und werde es auch immer hassen, aber mich durch die israelische Bestellküche zu futtern oder einen neuen Italiener auszuprobieren, gehört nun zu meinen liebsten Hobbys. Ein großer Erfolg und Ergebnis jahrelanger Durchhaltetaktik.

4. Mein Aussehen und Essverhalten: ein Tabuthema

Auch hier findet sich die Fokus-verlagern-Taktik wieder. "Kind, du bist aber dünn geworden": Dieser Satz, den viele Mütter und Omas unbedarft ihren Enkeln und Kindern um die Ohren hauen, hat mein krankes Ich damals umso mehr angestachelt, weiter abzunehmen. Sprüche, die das Gewicht einer Person oder ihr Essverhalten betreffen, sind schnell gesagt. Was sie aber manchmal nachhaltig anrichten, ist vielen im ersten Moment nicht bewusst.

Auch Sätze wie: "Der Mantel macht dich schlank" oder "Wow, du hast aber heute dein Essen hinuntergeschlungen", können Betroffene triggern. Daher war eine der ersten Maßnahmen in meinem familiären und freundschaftlichen Umfeld: Tabuthemen zu benennen. Dazu gehört jegliche Aussage bezogen auf mein Äußeres und auf mein Essverhalten. Das nimmt den Druck und minimiert die Gefahr, noch einmal getriggert zu werden.

5. Verbündete suchen

Meine Tante litt wie ich an einer Essstörung. Sie war die erste Person, die ich kennenlernte, die endlich all das, was kein Außenstehender nachvollziehen konnte, verstand – eine Offenbarung. Von da an war sie meine Verbündete. Ich konnte mit ihr über Gedanken und Probleme sprechen, über die ich mit sonst keinem sprechen konnte. Sie konnte mir Ratschläge geben, die mir so kein anderer geben konnte, weil sie wusste, was ich durchmache und wie meine kranken Gedanken aussehen. Das Unaussprechliche wurde zu etwas Sagbaren.

Ich würde allen Betroffenen empfehlen, sich eine Person zu suchen, die das, was ihr durchlebt, auch durchlebt hat. Das kann im privaten Umfeld der Fall sein, während eines stationären Therapieaufenthalts, in einer Selbsthilfegruppe oder in Online-Foren. Wichtig ist: Die Person darf nicht eure kranken Dämonen befeuern, sondern soll euch ein ausschließlich positives Gefühl vermitteln. 

Erkennen Sie bei sich Anzeichen einer Essstörung? Das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hilft Ihnen anonym weiter, zu erreichen ist es unter: 0221/892 031. Weitere professionelle und spezialisierte Beratungsstellen finden Sie außerdem in der Ortssucheder BZgA.

Verwendete Quelle:eigener Erfahrungsbericht

Brigitte

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