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Waldbaden: Kraft tanken im Wald

Unser Verhältnis zum Wald
war lange Zeit gespalten zwischen romantischer Sehnsucht und Nutzdenken.
Nun bestätigt die Forschung, was die Naturheilkunde längst ahnte:
Bäume haben heilende Wirkung. Katja Jührend hat das Waldbaden ausprobiert

"Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit, und diese Kraft ist grün", hat die mittelalterliche Äbtissin Hildegard von Bingen geschrieben. Damit nahm die Heilkundige etwas voraus, was von der modernen Forschung bestätigt wird: Der Wald tut Körper und Seele gut.

In den Wald ging man, weil man dort etwas zu tun hatte

Ich selbst habe eine Weile gebraucht, um das zu begreifen. Ich war geprägt vom Geist der 60er-Jahre, einer Periode der Produktivität: In den Wald ging man damals, weil man dort etwas zu tun hatte, vielleicht, um Holz zu machen oder Beeren zu sammeln. Oder man wanderte von A nach B, um hinterher sagen zu können, man sei von A nach B gewandert und das sei sehr weit gewesen, weshalb man sich den Kuchen jetzt aber verdient habe. Familien erledigten dort ihren Sonntagsspaziergang, dessen Zweck sich im Wesentlichen aus der Annahme speiste, dass man sonntags ja nicht nichts tun könne. Ich fand, dass man sehr wohl nichts tun könne. Die schönsten Ausflüge waren für mich die, die andere unternahmen, während ich zu Hause lesen durfte.

Der Wald nur noch als Sportstätte

In den 70ern, im Zuge der ersten Wirtschaftskrise, entdeckten die Deutschen den Begriff Stress. Und den Begriff Freizeit. Der Wald, der für die Romantiker des 19. Jahrhunderts noch Sehnsuchtsort gewesen war, wurde jetzt zum Naherholungsraum. Genutzt werden sollte er aber nicht für romantischen Müßiggang, sondern als Sportstätte, denn Sport entspannt nachweislich. Zwischen den Bäumen entstanden Trimm-dich-Pfade, darauf hölzerne Hindernis-Quälereien, über die man in möglichst hohem Tempo und bei maximalem Verlust der menschlichen Würde springen oder balancieren sollte. Ein Männlein mit hochgerecktem Daumen war das Maskottchen der Trimm-dich-Bewegung, es forderte einen mit haifisch-artigem Grinsen auf, sich den Stress, den man im Alltag hatte, im Wald bitte schön auch noch zu machen. Als Trimmen eher etwas für Hunde wurde, begannen die Leute durchs Grün zu joggen, später kam das Walken dazu. Auch ich walkte, denn ich stellte fest, dass mich das nun mal beruhigt. Doch ich glaubte, wie viele andere, der Wald sei dabei nur eine angenehme Kulisse. Das ändert sich gerade. Nicht zuletzt durch die Bestseller des Forstwissenschaftlers Peter Wohlleben, der in seinem Buch "Das geheime Leben der Bäume" das faszinierende Kommunikationssystem der Pflanzen beschrieb, die sich unter anderem durch Duftstoffe miteinander verständigen, Terpene genannt. Solche Baum-Botenstoffe nehmen wir auf, sobald wir in die Nähe von Bäumen kommen. Sie haben, das ist belegt, eine ganze Reihe positiver Effekte auf die Gesundheit und die Psyche.

Shinrin Yoku, das Waldbaden in Japan

"Es ist ganz gleich, was Sie im Wald tun", sagt auch Dr. Christine Müller, "wenn Sie sich nur regelmäßig dort aufhalten, dann regulieren sich Ihr Puls und Ihr Blutdruck, Ihre Immunabwehr wird gestärkt, das heißt, die Killerzellen, die Infekte abwehren, vermehren sich. Außerdem wird Ihr Parasympathicus, auch Ruhenerv genannt, aktiviert, Sie entspannen sich und schlafen besser."
Die Ärztin, die im Wellnesshotel "Das Kranzbach" am Fuß der Zugspitze Gästen betreut, beobachtete viele Jahre diese Effekte, für die sie zunächst keine Erklärung hatte: Hotelbesucher, die oft im Wald gewesen waren, erholten sich - gemessen an ihren Stresssymptomen - besonders gut. Was sie gesehen hatte, fand sie in der Literatur bestätigt. Seit den 80er-Jahren wird das Phänomen erforscht, Studien belegen die positiven Wirkungen des Waldes auf den menschlichen Organismus. In Japan und Korea ist das Shinrin Yoku, das Waldbaden, zum Bestandteil der Gesundheitsvorsorge geworden.

Meditieren im Wald heißt nicht gleich Bäume umarmen

Ich möchte mir von Christine Müller zeigen lassen, was Waldbaden ist. Ich nehme mir vor, auf keinen Fall einen Baum zu umarmen, und bringe ansonsten ein Gefühl mit, auf das ich nicht vorbereitet war. Ich trauere. Eine Freundin ist gestorben. Doch das erzähle ich nicht, als wir an einem sonnigen Sommermorgen in den Wald oberhalb des "Kranzbach" aufbrechen. Unser Ziel ist eine hölzerne Plattform, wo Gäste Yoga machen können, meditieren oder einfach nur sitzen und schauen. Christine Müller fordert uns auf, die Schuhe auszuziehen. Ich zögere, gehorche dann aber. Bäume bräuchten wir nicht zu umarmen, sagt sie und grinst, wir sollen nur hören, schauen, riechen und fühlen, können uns aber ruhig unterhalten. Der Waldboden fühlt sich angenehm kühl und weich an. Nichts pikt. Wir sind im Hausforst des "Kranzbach", er wird nicht bewirtschaftet.

"Ich bemerke plötzlich, dass ich mühelos Luft kriege"

Moosbewachsene Fichten stehen hier neben mächtigen Buchen und Tannenschösslingen, dazwischen Farn, Brombeergestrüpp, Bruchholz. Ein violetter Fingerhut zittert, weil eine Biene darin steckt. Vom Waldboden geht ein erdiger Geruch aus. Ich steige über glatte Wurzeln und trete in matschiges Laub, ich schaue in die Baumwipfel, dann zur Zugspitze, die Sonne schickt tanzende Lichter auf den Boden, die Stämme werfen bizarre Schatten, dieser Wald ist magisch. Ich versuche, nicht zu grübeln, ich wate durch nasses Moos, es patscht, ich lache. Wir sind jetzt an der Plattform angelangt, deren warmes Holz die Füße trocknet. Atemübungen. Ich hasse Atemübungen. Jedes Mal, wenn ich mich darauf konzentriere, glaube ich, nicht genug Luft zu bekommen. Ich lenke mich ab, schaue in die Blätter der Buche über mir, die so schön im Wind rascheln. Auf einer Lichtung bewegt sich was. Ein Reh? Ich bemerke plötzlich, dass ich mühelos Luft kriege.

Wir haben alle einen Baum, der uns an unsere Kindheit erinnert

Christine Müller erzählt, dass viele Menschen in ihrer Jugend einen Baum kannten, den sie mochten. Es gab einen mächtigen Strauch vor meinem Kinderzimmerfenster, im Sommer schwirrten Junikäfer darin herum, ich fing sie und brachte sie meinen Eltern, die so taten, als wären sie darüber erfreut. Christine Müller hat Bildkarten dabei, auf jeder ist ein heimisches Gehölz abgebildet. Wir dürfen blind eine Karte ziehen, sollen überlegen, ob der Baum etwas mit uns zu tun hat. Ob wir Erinnerungen damit verbinden, aus denen wir Kraft schöpfen können. Ich ziehe die Eberesche. Sie ist sehr schön mit ihren gefederten Blättern und den orangefarbenen Früchten. Sie war der Lieblingsbaum meiner verstorbenen Freundin.

Waldbaden

Waldbaden können Sie im Grunde bei jedem Spaziergang im Wald oder in einem baumbestandenen Park. Gehen Sie langsam, atmen Sie ruhig, achten Sie auf Ihre natürliche Umgebung, setzen Sie sich nicht unter Stress, machen Sie Pausen.

  • Therapeutisches Waldbaden unter Anleitung wird zum Beispiel auf der Insel Usedom im Heringsdorfer Kur- und Heilwald angeboten: Bansiner Landweg 1, 17424 Heringsdorf. Durch die Wege mit geringeren, mittleren und hohen Anforderungen führen Anleitungstafeln und Piktogramme, die zur körperlichen und meditativen Aktivität aufrufen - besonders empfehlenswert bei Erschöpfungszuständen, Hauterkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates und bei psychosomatischen Erkrankungen wie z.B. Burn-out, Schlaflosigkeit, Depressivität. Nähere Informationen unter www.kur-und-heilwald.de.
  • Wir probieren das Waldbaden im bayrischen Hotel "das Kranzbach". Dort gibt es verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel Yoga und Meditation auf der Waldplattform, eine Waldbegehung zum Thema Waldbaden mit der ärztlichen Leiterin des Hotels, Dr. Christine Müller, oder eine Waldwanderung mit Naturführer Franz Schopp. Auch ein mehrtägiger Aufenthalt im hoteleigenen Baumhaus ist buchbar. "Das Kranzbach", Kranzbach 1, 82493 Kranzbach/Klais bei Garmisch-Partenkirchen , DZ inkl. erweiterter HP ab 165 Euro, www.daskranzbach.de.
  • Zum Weiterlesen Clemens G. Arvay, Der Heilungscode der Natur - Die verborgenen Kräfte von Pflanzen und Tieren entdecken, 288 S., 11 Euro, Goldmann. Vom selben Autor: Biophilia in der Stadtwie wir die Heilkraft der Natur in unsere Städte bringen, mit einem Vorwort von Gerald Hüther, 352 S., 22 Euro, Goldmann (ab 14. Mai im Handel).


Diesen Artikel und viele weitere gibt es in der aktuellen Brigitte-Woman am Kiosk!

Brigitte Woman 06/2018

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