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Darm mit Charme: Es geht um die Wurst

Darm mit Charme: Es geht um die Wurst
© Jill Enders
Er versorgt uns mit Energie, hilft dem Gehirn und hält uns mit einer Armee aus Bakterien gesund: In ihrem Bestseller "Darm mit Charme" plädiert Giulia Enders für mehr Liebe zum Darm. Ein Gespräch über Risikostreuung und Popo-Perspektiven.

Ihr Erstlingswerk "Darm mit Charme" steht in den Sachbuch-Bestsellerlisten ganz oben, den Buchhandlungen gehen die Exemplare aus, mit Giovanni di Lorenzo oder Markus Lanz plaudert sie vor laufender Kamera über Pupse und Stuhlgang, als ginge es ums Wetter. Die 24-jährige Medizinstudentin Giulia Enders wirbt unverblümt für ihr Lieblingsorgan und macht so den Darm gesellschaftsfähig.

BRIGITTE: Frau Enders, wenn Sie jemanden in 30 Sekunden zum Darm-Fan machen müssten, womit würden Sie punkten?

Giulia Enders: Der Darm liefert uns die Energie zum Lebendigsein. Seine Fläche ist 100 Mal so groß wie die unserer Haut. Er trainiert zwei Drittel unseres Immunsystems und stellt mehr als 20 eigene Hormone her - dagegen sind unsere Geschlechtsorgane Minimalisten! Der Darm hat ein außergewöhnliches Nervensystem, das mit seinen Rezeptoren ertastet und schmeckt, wie es uns im Inneren geht. Er ist wie eine unbewusste Matrix, die uns die ganze Zeit beobachtet und sich um uns kümmert.

Reagiert unser Körper deswegen auf Stress oder Trauer oft mit Verstopfung oder Durchfall?

Die Nerven von Darm und Hirn sind gleich gebaut, das ist bei sonst keinem anderen Organ der Fall. Schüttet das Gehirn Stresshormone aus, docken diese im Darm an. Für ihn ist das wie eine Vergiftung, auf die er etwa mit Durchfall oder Erbrechen reagiert. Das ist kein Missgeschick, sondern macht Sinn, denn Darm und Hirn sind Kollegen. Hat das Gehirn ein Problem, das es lösen muss, kann der Darm gutmütig sein und zurückstecken - dann geht keine Energie mehr in die Verdauung. Er kann auch mal erschrocken sein, wenn bestimmte Emotionen durch den Körper gehen. Er ist sehr aufmerksam daran beteiligt, wie es uns geht.

Stimmt es, dass die Spanne einer gesunden Verdauung von drei Mal Stuhlgang am Tag bis drei Mal pro Woche reicht?

Daran kann man sich gut orientieren. Aber der wichtigste Marker einer gesunden Verdauung ist die Konsistenz. Die Bristol-Stuhlformen-Skala beschreibt das ganz gut, Typ 4 ist ideal:

1997 entwickelte Dr. Ken Heaton die Bristol-Stuhlformen-Skala. Sie zeigt sieben verschiedene Konsistenzen, in denen Kot vorkommen kann. Bei Typ 4 ist das Wasser-Feststoff-Verhältnis optimal.
1997 entwickelte Dr. Ken Heaton die Bristol-Stuhlformen-Skala. Sie zeigt sieben verschiedene Konsistenzen, in denen Kot vorkommen kann. Bei Typ 4 ist das Wasser-Feststoff-Verhältnis optimal.
© Jill Enders

Mittags gab es einen Burger. Was davon landet überhaupt noch im Klo?

Im besten Fall hat sich der Burger molekular in unserem Blut aufgelöst. Kot besteht zu drei Vierteln aus Wasser. So kann das Ganze geschmeidig abtransportiert werden. Die festen Bestandteile, die in der Toilettenschüssel enden, sind zu einem Drittel unverdauliche Fasern aus dem Salatblatt oder der Tomate. Ein weiteres Drittel machen Darmbakterien aus, die im Dickdarm das Allerbeste aus dem Burger geholt haben und dann in Rente gehen. Das letzte Drittel ist ein Mix aus Stoffen, die der Körper loswerden will - Überreste von Medikamenten etwa, Farbstoffe oder Cholesterin.

Wieso riecht mancher Kot so extrem und anderer nicht?

Es gibt Bakterien, die unangenehme Schwefelgase produzieren. Und einige Lebensmittel füttern genau diese Bakterien. Nach Fleisch oder einem deftigen Stück Zwiebelkuchen riecht es dann eher unangenehm als nach Kartoffeln mit Karottengemüse. Als ich vor einigen Jahren wegen einer Hautkrankheit meine Ernährung umgestellt habe, schienen mir die unangenehmen Gerüche seltener zu werden. Dieses Thema ist aber noch lange nicht zu Ende erforscht - es gibt noch einige offene Fragen.

Wenn mein Kot stinkt, habe ich ungesund gegessen?

Ganz so einfach ist das nicht. Manches riecht man ja doch irgendwie nicht ungern, wenn man mal allein und ehrlich zu sich ist. Aber wenn man von seinem eigens produzierten Geruch unangenehm überrascht wird, sollte man vielleicht am nächsten Tag etwas anderes essen.

Kann ich einen anderen Menschen an seinem Kotgeruch erkennen?

So etwas soll vorkommen. Das zeigt vielleicht, dass jeder seine eigene Pokémon-Mannschaft an Darmbakterien besitzt. Das ist wie ein Fingerabdruck. Manche haben seltene japanische Bakterienarten im Darm, obwohl sie noch nie in Japan waren. Wie passiert sowas? Da gibt es ganz abgefahrene Entdeckungen.

Medizinstudentin Giulia Enders (24) forscht für ihre Doktorarbeit am Institut für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene in Frankfurt am Main.
Medizinstudentin Giulia Enders (24) forscht für ihre Doktorarbeit am Institut für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene in Frankfurt am Main.
© Gerlad von Foris

Ist eine gute oder schlechte Verdauung angeboren? Wie viel Einfluss haben unsere Gene, wie viel unser Verhalten?

Man weiß, dass die Gene nicht die Hauptrolle bei der Frage spielen, welche Bakterien sich bei uns im Darm ansiedeln. Unsere Hobbys und unsere Essgewohnheiten - essen wir gern scharf, Salat und Gemüse, wie oft nehmen wir unsere Finger in den Mund? - sind da viel entscheidender. Am Ende könnte unsere Lebensweise Einfluss darauf nehmen, ob wir durch bestimmte Darmbakterien eher zu starken Haaren, guten Nerven, Neurodermitis oder Rheuma neigen.

Sind Finger im Mund gut oder schlecht?

Alles, was man in den Mund nimmt, ist eine Chance. Es könnte im Darm weiterleben - ob es nun gut oder schlecht ist. Einige Forscher sagen, nicht die Anzahl schlechter oder guter Bakterien sei wichtig, sondern ihre Vielfalt. Im Aktiengeschäft würde man sagen: super Risikostreuung! Man muss das Gute aber auch fördern, dem Darm präbiotische Ballaststoffe füttern. Spargel, grüne Bananen oder Zwiebeln werden beispielsweise besonders gern von guten Bakterien gegessen.

Meinem Gefühl nach haben viel mehr Frauen als Männer Verdauungsprobleme.

Das stimmt: Von Verstopfung sind doppelt so viele Frauen betroffen wie Männer.

Alles eine Frage der Haltung: Auf der Toilette sitzend macht unser Darm einen Knick und kann sich nicht völlig entleeren - anders als beim Hocken im Freien. Alternativ tut es aber auch ein kleiner Hocker vor dem Klo und ein vorgebeugter Oberkörper.
Alles eine Frage der Haltung: Auf der Toilette sitzend macht unser Darm einen Knick und kann sich nicht völlig entleeren - anders als beim Hocken im Freien. Alternativ tut es aber auch ein kleiner Hocker vor dem Klo und ein vorgebeugter Oberkörper.
© Jill Enders

... weil Frauen ja offiziell nur pinkeln. Ist das Problem gesellschaftlich gemacht?

Da kommen einige Faktoren zusammen. Das Thema Darm kann zwar Frauen wie Männern unangenehm sein, aber bei Frauen ist das noch mal anders verknüpft. Nehmen wir das Beispiel Pupsen. Das lässt sich mit einem "Mein Körper meint es gut mit mir, das musste raus" rechtfertigen. Männer können das auch so artikulieren. Frauen fällt diese Popo-Perspektive schwerer. Seit ich diese Scham verloren habe, kann ich auch auf Zugtoiletten gehen. Ich sage mir: "Der innere Schließmuskel will nur das Beste für mich." Bei Verstopfungen weiß man, dass sie nicht ausschließlich hormonell zu erklären sind. Die Unterschiede im Darm von Männern und Frauen sind noch nicht genau erforscht. Viele Forscher haben keine Lust auf Frauen als Probandinnen, denn der Menstruationszyklus und die hormonellen Schwankungen machen die Ergebnisse unschön. So manche Studie wurde daher nur an jungen Männern durchgeführt.

Gibt es eine natürliche Uhrzeit fürs Geschäft?

Da hat der innere Schließmuskel das Befehlsrecht. Morgens ist für Viele ein guter Zeitpunkt: Man hatte die ganze Nacht Ruhe und nach dem Aufwachen hat man noch keine 50 E-Mails gelesen. Jetzt hören viele Leute noch darauf, was ihr Bauch ihnen zu sagen hat, weil die Außenwelt sie noch nicht so angeknabbert hat.

Ich habe mal gehört, dass es für den Darm gesünder ist, auf der linken Seite zu schlafen.

Meine Oma sagt immer, auf der rechten Seite sei es am besten, wegen des Herzens. Aber der Darm hat eine so starke Eigenbewegung, dass er selbst entscheidet, was wo liegen darf. Viel wichtiger ist, was und wann man isst. Im Selbstexperiment merkt man das sehr schnell: Ein fettiges Essen kurz vorm Schlafengehen sorgt für schlechten Schlaf. Nachts passiert einfach sehr wenig im Darm, der geht nämlich auch schlafen. Daher: Wenn man spät isst, besser nur leicht verdauliche Sachen zu sich nehmen.

Können Probleme mit dem Darm auch zu Mundgeruch führen?

Für den typischen Mundgeruch sind anaerobe Bakterien verantwortlich, also solche, die im Kontakt mit Sauerstoff sterben würden. Die überleben im Mund, obwohl man ihn beim Reden ständig auf macht, denn sie leben unter einer Schutzschicht in der Schleimhaut von Zunge, Zähnen und auch in den Klüften der Mandeln. Man schluckt diese Bakterien herunter, das kann die Darmgesundheit beeinflussen. Schlechte Zahnhygiene wirkt sich auf jeden Fall negativ auf die Darmflora aus. Der Mund ist nun mal die Eingangshalle zum Darm.

Laktose, Fruktose, Gluten: Warum haben Lebensmittelunverträglichkeiten so stark zugenommen?

Unsere Ernährung hat sich im Vergleich mit dem, was unsere Eltern und Großeltern gegessen haben, drastisch verändert. Haben sie noch 16 bis 24 Gramm Fruchtzucker pro Tag zu sich genommen, kommen wir locker auf das Doppelte, Amerikaner sogar auf 80 Gramm täglich. Da kann man es einem Organ, das über Millionen von Jahren relativ gleich gebaut wurde, nicht verübeln, wenn es irritiert ist. Allerdings muss man sich auch nicht gleich so verhalten, als sei beispielsweise Milch giftig, wenn man merkt, dass sie einem nicht gut bekommt. Man darf seine Grenzen ruhig austesten. Unser Darm ist ein robustes Kerlchen, der hält Einiges aus.

Wie alles begann: Der Vortrag, aus dem ein Buch wurde

"Darm mit Charme" nannte Giulia Enders ihren Vortrag, mit dem sie 2012 den 1. Platz bei drei Science Slams belegte - Veranstaltungen, wo junge Wissenschaftler vor Publikum ein Projekt vorstellen. Den Youtube-Clip ihres Auftritts sah auch eine Literaturagentin. Sie schlug Giulia Enders vor, aus dem Vortrag ein Buch zu machen. Was die Medizinstudentin dann auch tat: Sie nahm ein Urlaubssemester und schrieb ihr erstes Sachbuch innerhalb von zehn Monaten.

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