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Umgang mit Alzheimer – wenn die Freundin plötzlich vergisst

Umgang mit Alzheimer - wenn die Freundin plötzlich vergisst: Junge Dame hält älterer Dame die Hand
© Olena Yakobchuk / Shutterstock
Maria, 45, und Irene, 51*, kennen sich seit vielen Jahren. Dann bekommt die Freundin eine Diagnose, die alles verändert: Alzheimer. Wie geht man damit um?

Ich hatte mich oft über sie gewundert. Bei meinem Geburtstagsessen vor drei Jahren zum Beispiel. Zwei Freundinnen am Tisch kamen im Gespräch zufällig darauf, dass ihre Großväter den gleichen ungewöhnlichen Namen trugen. Wir haben lange darüber gesprochen, doch nach einer Weile, es ging schon wieder um etwas anderes, fragte meine Freundin Irene ganz ernsthaft in die Runde: "Wusstet ihr eigentlich, dass die Großväter der beiden den gleichen Namen hatten?" Es wurde kurz still, bis jemand das Thema wechselte.

Diagnose Alzheimer

Oder an dem Abend, als Irene dachte, ihre Tochter sei verschwunden, und wir überall nach Maya gesucht haben. Bis sich herausstellte, dass Maya einfach beim Sport war, wie jede Woche, und darauf wartete, dass ihre Mutter sie wie sonst auch immer abholte. Wie konnte Irene so etwas bloß vergessen, habe ich mich gefragt. Doch damals wusste ich noch nichts von der Diagnose.

Irene und ich kennen uns schon lange, unsere Töchter sind zusammen eingeschult worden. Wir haben zusammen Fußball geschaut, gegrillt oder uns einfach so getroffen. Unsere Mädchen sind nun 17 und machen bald Abitur. Irene war immer so fröhlich und unbeschwert, so schnell im Kopf. Sie hat früher in Frankreich gelebt und konnte mitreißend darüber erzählen. Sie war Fremdsprachenkorrespondentin, hat aber vor einiger Zeit aufgehört zu arbeiten. Über ein Jahr war unser Kontakt abgerissen, Irene hat sich lange Zeit nicht gemeldet, und ich habe es, ein bisschen sauer, einfach hingenommen. Sie hat wohl anderes zu tun, habe ich gedacht.

Eines Nachmittags kam meine Tochter aus der Schule und sagte: "Mama, du musst es für dich behalten. Aber Maya macht sich solche Sorgen, weil ihre Mutter dement ist." Ich wollte das nicht glauben. Irene war doch erst 51, viel zu jung. Doch dann ist mir eingefallen, dass auch ihr Vater dement war und noch nicht einmal 60 geworden ist. Tagelang war ich ziemlich durcheinander. Schließlich habe ich Irenes Mutter angerufen; sie hat mir von der Diagnose erzählt: Alzheimer.

Kontakte sind für Kranke von großer Bedeutung

Wir treffen uns jetzt ungefähr alle zwei Wochen. Im Café in ihrem Dorf, damit Irene leicht hinkommen kann. Ihre Mutter, die bald 80 wird, nimmt sie immer mit. Irene fühlt sich mit ihr sicherer, glaube ich. Wir quatschen über die Kinder, die Schule und sehen für Außenstehende bestimmt aus wie ganz normale Freundinnen bei Kaffee und Kuchen. Irene hat so ein mitreißendes Lachen, das habe ich schon immer an ihr gemocht. Aber ich merke, wie sie jetzt darüber hinweglacht, wenn sie etwas nicht weiß. Zum Beispiel, als ich sie frage, wie ihre Reise war – sie war mit der Mutter gerade für ein Wochenende an der Nordsee. Sie lacht, und ich weiß: Das hat sie gar nicht mehr auf dem Schirm.

In der ersten Zeit habe ich ständig in der Bibliothek und im Internet nach allen möglichen Informationen gesucht. Ich habe mich eingelesen in die verschiedenen Phasen von Demenz, die Symptome und in Berichte von Betroffenen wie Rudi Assauer. Ich bin auch zu einer Beratungsstelle gegangen, aber die Psychologinnen dort waren mehr auf ältere Patienten und pflegende Angehörige eingestellt, nicht auf Freundinnen. Sie sagten nur, ich solle mich viel mit Irene verabreden, weil Kontakte für die Kranken so wichtig seien.

Irene will nicht wahrhaben, was mit ihr geschieht, und möchte auch nicht darüber reden. Das merkt man genau. Es macht mich sehr hilflos. Aber was soll ich ihr auch sagen? Dass sie die Krankheit einfach akzeptieren muss? Für wen wäre so etwas schon einfach? Vielleicht ist es ihr lieber, dass sie bei unseren Treffen einfach nur eine Freundin sein kann und nicht eine Kranke. Also drücke ich sie immer nur fest, wenn wir uns wiedersehen.

Rückzug ist keine Option

Sie scheint oft ärgerlich über sich selbst zu sein, dass sie sich nicht richtig am Gespräch beteiligen kann. In der ersten Zeit hat sie mich dreimal gefragt, wie der Kuchen war, jetzt fragt sie mich bestimmt fünfmal. Aber mir scheint, dass es auch von ihrer Tagesform abhängt, wie oft sie fragen muss. Wenn man Irene anschaut, passt das alles nicht zusammen: Sie sieht gut aus, sie lacht immer noch so toll. Zu Hause allerdings, meint ihre Mutter, soll sie immer wieder schlimme Wutanfälle haben, zum Beispiel, als ihr nicht mehr eingefallen ist, wie sie den Fernseher ausmachen kann.

Maya hat große Angst, dass sie in 30 Jahren auch dement wird. Sie ist böse auf ihre Mutter wegen dieser Krankheit, hat mir meine Tochter erzählt. Irenes Mann arbeitet viel, er kümmert sich nicht besonders, glaube ich. Irene hängt an ihrer Mutter, die häufig bei ihr ist. Wenn die Mutter mal zu Hause bleibt, ruft Irene sie dauernd an und fragt, wo sie denn sei.

Ich habe niemandem erzählt, wie es um Irene steht, das käme mir wie ein Verrat vor. Nur einem Freund, der findet, ich solle mich nicht zu sehr einmischen. Aber ich möchte mich einmischen. Ich möchte Irene helfen. Ich wäre doch an ihrer Stelle auch froh, wenn jemand für mich da wäre. Viele ihrer Freunde haben sich zurückgezogen. Das empört mich richtig. Rückzug ist für mich überhaupt keine Option, da wäre ich ja eine Freundin nur für schönes Wetter. Neulich bin ich abends an einem Pflegeheim vorbeispaziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie vielleicht in fünf Jahren dort lebt. Oder dass sie mich bald nicht mehr erkennt. Davor habe ich Angst.

* Namen von der Redaktion geändert

Über Demenz

In Deutschland leben 1,7 Millionen Demenzkranke, bis 2050 werden es voraussichtlich drei Millionen sein. Zwei Drittel von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Dabei kommt es zu Veränderungen im Gehirn, die Nervenzellen können ihre Funktion nicht mehr erfüllen und gehen zugrunde. Der größte Risikofaktor dafür ist das Alter: Von allen über 90-jährigen Menschen ist ein Drittel erkrankt. Unter zwei Prozent aller Demenzkranken sind jünger als 65.

Die Krankheit verkürzt das Leben, ihre Dauer ist aber sehr unterschiedlich. Genetische Ursachen spielen bei Demenz im jüngeren Alter eine größere Rolle als bei später einsetzender Erkrankung. Wer mehr über Demenz erfahren und Betroffene unterstützen möchte, kann "Demenz-Partner" werden. Die Initiative (www.demenz-partner.de) der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft bietet vielerorts 90-minütige Kurse für jedermann an.

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