Ein Novembernachmittag in Berlin. Die Bloggerin Jenna Shotgun, die mit richtigem Namen Jana Seelig heißt und seit ihrem 16. Lebensjahr unter Depressionen leidet, fühlt sich - wie schon so oft - unverstanden und macht ihrem Ärger auf Twitter Luft:
Sie gerät in einen Schreibfluss, Tweet um Tweet gibt sie Einblicke in ihr Leben mit der Krankheit, die erst mit 22 diagnostiziert wurde - weil sie sich einreden ließ, sie sei "einfach nur schlecht drauf". Dabei ist das, was Jenna manchmal empfindet, viel mehr als schlechte Laune: Eine komplette Leere und eine grenzenlose, tiefe Traurigkeit, aus der sie auch keine gut gemeinten Ratschläge befreien können.
Mit ihren Worten trifft Jenna einen Nerv: Viele Twitter-Nutzer teilen ihre Tweets, fügen eigene Gedanken über Depressionen hinzu oder schreiben der Bloggerin Nachrichten. Auch die Userin Malaika beteiligt sich an der Diskussion - und bündelt die Beiträge unter dem Hashtag #NotJustSad - "nicht nur traurig":
Innerhalb weniger Stunden werden Hunderte Nutzer auf das Thema aufmerksam und diskutieren mit. Einen Tag nach Jennas erstem Tweet ist die Zahl bereits auf mehr als 3000 angestiegen. Wie ein Mosaik setzt sich daraus das Bild einer totgeschwiegenen Krankheit zusammen, die sich bei jedem anders äußert und mit der jeder andere Erfahrungen macht. Insofern trifft der Hashtag den Kern einer Depression ganz gut - sie ist mehr als bloß Traurigkeit. Antriebslosigkeit, Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit, Selbstzweifel, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen - die Liste der Begleiterscheinungen ist lang.
Nach Einschätzung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gehören depressive Störungen zu den "häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen". Allein in Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an einer Depression. Obwohl sie sich eigentlich mit Psychotherapie und gegebenenfalls auch mit Medikamenten gut behandeln ließe, bekommen viele Betroffene keine optimale Unterstützung. Sei es, weil sie selbst nicht die Kraft dazu aufbringen, weil sie ihre Krankheit aus Angst vor Ausgrenzung verdrängen oder weil ihre Erkrankung nicht diagnostiziert wird.
Zwar ist die Twitter-Diskussion kein Therapie-Ersatz. Doch zu wissen, dass man mit seinen Gefühlen nicht allein ist, macht Betroffenen Mut, zu ihrer Krankheit zu stehen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.