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Stresskrankheit Hörsturz?

Gestresste Frau
© Tero Vesalainen / Shutterstock
Stress und Hektik gelten oft als Auslöser für einen Hörsturz. Matthias Platzeck ist das jüngste Beispiel - der zurückgetretene SPD-Parteivorsitzende ist einer von jährlich rund 15000 Menschen, die einen Hörsturz erleiden. Die Ursachen sind jedoch umstritten.

Brigitte.de sprach mit Dr. Birgit Mazurek (35), über Auslöser und Heilungschancen beim Hörsturz. Dr. Mazurek ist leitende Ärztin am Tinnitus-Zentrum der Berliner Universitätsklinik Charité.

Brigitte.de: Der Hörsturz wird meist als Stresskrankheit gesehen - stimmt das?

Dr. Birgit Mazurek: Ein Hörsturz ist eine Durchblutungsstörung des Innenohrs. Er kann mit Stress einhergehen. Das ist aber nicht die einzige Ursache. Oft handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Auslöser. Dazu gehören neben Stress oft auch Erkrankungen der Halswirbelsäule, Gerinnungsstörungen des Blutes oder vorgeschädigte Hörsinneszellen.

Brigitte.de: Die Ursachen sind angeblich bis heute nicht vollständig geklärt. Welche Rolle spielen Viren?

Dr. Birgit Mazurek: Man geht von einer Durchblutungsstörung aus, das haben auch Tierexperimente nachgewiesen. Viren, wie Herpes oder Borrelien, sind nur ganz selten die Auslöser. Eine Entzündung durch Viren geht einher mit einer Schwellung der Innenohrgefäße, die dann ebenso zu Durchblutungsstörungen führt.

Brigitte.de: Was ist der Unterschied zwischen einem Hörsturz und einem Tinnitus?

Dr. Birgit Mazurek: Bei einem Hörsturz wird das Hörvermögen gemindert, Hörsinneszellen beginnen abzusterben. Auch ein Tinnitus ist eine Störung der Zellen, die Störung drückt sich jedoch anders aus: Durch Hörgeräusche, statt, wie beim Hörsturz, durch vermindertes Hörvermögen. Die Geräusche beim Tinnitus entstehen, weil die Zelle vermehrt Botenstoffe an den Nerv leitet. Die Botenstoffe sorgen im Normalfall dafür, dass wir hören können.

Brigitte.de: Wer ist besonders gefährdet?

Dr. Birgit Mazurek: Es trifft Männer wie Frauen, quer durch alle Berufsgruppen. Allerdings sind es häufig Menschen, die beruflich extrem angespannt sind. Besonders gefährdet ist die Altersgruppe zwischen Ende 30 und Anfang 40 - sie etablieren sich oft gerade im Job, die Leistungskurve geht aber bereits nach unten - und Menschen zwischen Ende 50 und Anfang 60, die oft schon bestehende Störungen haben, wie Abnutzungen der Halswirbelsäule oder Altersschwerhörigkeit.

Brigitte.de: Was kann ich selbst tun?

Dr. Birgit Mazurek: Wichtig ist, dass Betroffene so schnell wie möglich zum Arzt gehen, also sobald sie die Symptome - akute Hörminderung, Druckgefühl, Schwindel - feststellen. Es handelt sich nicht um einen Notfall, aber um einen Eilfall. Irgendwann ist der "point-of-no-return" überschritten, das heißt, die Zelle ist abgestorben und kann nicht mehr wiederbelebt werden. Keiner weiß genau, wie lange es dauert, bis eine Zelle abstirbt. Im Labor sind es etwa 36 Stunden. Jeder Mensch ist unterschiedlich, man sollte daher so schnell wie möglich zum Arzt gehen.

Brigitte.de: Welche Therapien gibt es?

Dr. Birgit Mazurek: Es gibt zwei Möglichkeiten, um die gestörte Durchblutung zu fördern. Durch Medikamente oder durch Infusionen. Beide Möglichkeiten sind von den Kassen anerkannt. Medikamente sind in der Regel nicht ganz so wirksam wie Infusionen. Letztere werden daher oft bei schwereren Fällen empfohlen, allerdings sind die Nebenwirkungen wie Juckreiz oder allergische Reaktionen dafür oft stärker als bei Medikamenten. Die Infusionen werden acht bis zehn Tage lang täglich gesetzt. Bei schweren Fällen wird auch Kortison zugegeben, weil Kortison die Abschwellung von Gefäßen verbessert.

Bei uns werden Patienten auch immer orthopädisch untersucht. Die Blutgefäße ziehen sich durch die Wirbelsäule zum Ohr. Viele Patienten sind verspannt, Blockaden in der Halswirbelsäule mindern die Blutzufuhr zum Ohr. Solche Blockaden müssen behoben werden, eine Infusion alleine bringt in so einem Fall wenig.

Es gibt auch eine Art Blutwäsche (Apherese), die einmalig angewendet werden kann. Die Kosten für die Apharese liegen im vierstelligen Bereich und werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Diese Therapie ist auch nur dann sinnvoll, wenn ein Patient zu hohes Cholesterin hat.

Brigitte.de: Kann ein Hörsturz vollständig geheilt werden?

Dr. Birgit Mazurek: Bei manchen Patienten ist eine völlige Heilung möglich, bei anderen bleibt das Hörvermögen schlechter. Zahlen kann ich Ihnen nicht nennen, die Mehrheit profitiert jedoch von einer Behandlung. Das Problem ist: Wir können unsere Therapiechancen nicht messen. Wir können zwar einen Hörsturz mit einem Hörtest diagnostizieren, wir wissen aber nicht, in welchem Stadium sich die Zellen befinden. Diese Information wäre wichtig, um beurteilen zu können, ob eine Infusionstherapie sinnvoll ist. Da die Zellen hinter dem Trommelfell sitzen, kommen wir aber nicht an sie ran. Trotzdem würde ich immer eine Therapie empfehlen, Spontanheilung - also Heilung ohne Therapie - gibt es nur selten.

Weitere Informationen

Deutsche Tinnitus-Liga e.V. (DTL) Am Lohsiepen 18 42369 Wuppertal Tel.: 0202-24 65 2-0 Fax: 0202-24 65 2-20

Die Tinnitus-Liga bietet kostenlos telefonische Erstberatungen an: Rufnummer (0202) 2 46 52 74. Jeweils Montag, Mittwoch und Donnerstag, 10-12 Uhr und Dienstag, 16-18 Uhr. Kostenlose Infobroschüren der Tinnitus-Liga kann man hier anfordern.

Buchtipp

Eberhard Biesinger, Karoline V. Greimel. "Hörsturz und Tinnitus schnell verstehen und sofort richtig handeln. Antworten auf die wichtigsten Fragen." Trias-Verlag. 2003. 12,95 Euro.

Interview: Monika Herbst

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