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Stille Entzündungen: So kannst du sie vermeiden

Stille Entzündungen: Frau hält sich den Rücken
© ALDECAstock / Shutterstock
Sie heißen stille Entzündungen, schwelen unbemerkt im Körper und machen uns krank. Wie wir sie durch richtige Ernährung vermeiden, erklärt die Internistin Dr. Anne Fleck.

Ein beängstigender Gedanke: dass der Körper entzündet ist und man nichts mitbekommt. Was genau sind stille Entzündungen?

DR. ANNE FLECK: Sie befallen unsere Fettzellen, ohne dass wir es merken. Ganz konkret passiert Folgendes im Körper: Wenn man kohlenhydratreiche Lebensmittel isst, schüttet die Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin aus. Es schließt die Fettzelle auf und schiebt die Nahrungskalorien in die Zelle hinein. Wer sehr häufig sehr viele Kohlenhydrate zu sich nimmt, überfordert irgendwann seine Fettzellen. Sie werden immer voller und größer, bilden als Rettung für sich selbst schließlich als SOS-Reaktion eine Entzündung aus und fangen an, Entzündungsbotenstoffe freizusetzen.

Was ist die Folge davon?

Die Wände der Blutgefäße verkleben – mit recht dramatischen Folgen: Arteriosklerose, Herzinfarkte, Schlaganfälle. Durch die Entzündung stumpfen die erkrankten Fettzellen ab, sie werden insulinresistent und schaffen es nicht mehr, den Ruf des Schlüsselhormons Insulin zu hören. So schützen sich die in Not geratenen Fettzellen selbst. Das mit dem Essen aufgenommene Fett muss sich dann einen neuen Platz suchen – so werden entzündete Fettzellen außerdem zu Dickmachern.

Stille Entzündungen sind also wie tickende Zeit­bomben. Gibt es denn gar keine Anzeichen, die mich darauf hinweisen könnten?

Doch, die gibt es. Ständige Müdigkeit, Erschöpfung, immer wiederkehrende Erkältungen oder Infektionen zum Beispiel. Auch eine eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit, eine niedrige Stresstoleranz und Reizbarkeit können Hinweise sein. Alarmzeichen sind ein Anstieg des Blutdrucks und des Nüchternblutzuckers.

Erkennt man die Betroffenen an ihrem Übergewicht?

Nicht unbedingt. 30 bis 40 Prozent der schlanken Menschen sind dünne Dicke – oder TOFIs, wie wir Ärzte sie nennen: "Thin outside, fat inside". TOFIs haben genau dasselbe Krankheitsrisiko wie Übergewichtige.

Und das sieht man ihnen nicht an?

Nein, denn äußerlich sehen sie ja schlank aus. Sie haben aber zu viel Fett- und zu wenig Muskelmasse. Man erkennt sie an schlaffen Ärmchen, kleinen Speckrollen am Bauch, schmalen Gelenken. Innerlich sind die Bauchorgane, das Herz und die Arterien verfettet. Dieses sogenannte viszerale Fett produziert Botenstoffe, die im gesamten Körper chronische Entzündungen befeuern. Studien mutmaßen, dass dünne Dicke potenziell mehr Risikofaktoren als dicke Dicke aufweisen, da sie kaum aktive Muskelmasse besitzen. Diese produziert nämlich Myokine – hormonähnliche Botenstoffe, die antientzündlich wirken. Deshalb weisen TOFIs mit einer vorbestehenden Herzkrankheit unter allen Übergewichtsrisikogruppen die höchste Sterblichkeit auf. Und sie bleiben medizinisch oft unter dem Radar.

Also lieber fett und fit als dünn und unfit?

Tatsächlich gibt es Übergewichtige, die sich viel bewegen, deutlich fitter und gesünder sind und weniger Krankheitsrisiken haben als dünne Dicke mit niedrigschwelligen Entzündungen. Allerdings lässt sich nicht alles mit Bewegung korrigieren. Wer viel Getreide, Fleisch und Wurst aus Massentierhaltung, Zucker, Fertigprodukte und Fast Food isst, aber nur wenig Gemüse, Ballaststoffe und gute, Omega-3-reiche Fette aus Leinöl und Fisch, feuert Entzündungen im Körper an.

Sind eine ungünstige Ernährung und wenig Sport der einzige Grund, warum stille Entzündungen entstehen?

Nein, auch chronischer Stress facht sie an. Er produziert freie Radikale im Körper, die die Entzündungskaskade lostreten. Stresshormone wie Kortisol setzen weitere Entzündungsreize. Rauchen ist ebenfalls ein Risikofaktor. Und die Mundhöhle ist ein Einfallstor. Es ist bewiesen, dass Entzündungen des Zahnfleisches, der Mundhöhle oder auch nicht ausgeheilte Nasennebenhöhlen- oder Mandelentzündungen systemische Entzündungen im Körper fördern. Eine gute Mundpflege mit Zähneputzen, Zahnseide und auch Ölziehen und Zungenschaben ist daher sinnvoll.

Was kann man sonst noch gegen den Schwelbrand im Körper unternehmen?

Neben Stressmanagement und Entschleunigung, regelmäßiger Bewegung und einer positiven Lebenseinstellung ist die Ernährung der entscheidende Faktor: Was esse ich? Wann esse ich? Und wie esse ich? In der Ernährungsforschung gibt es einen klaren Stand, was auf den Teller gehört: Ballaststoffe, Gemüse und gute Fette, vor allem ausreichend Omega-3-Fettsäuren.

Wenn man dagegen sehr häufig am Tag und sehr kohlenhydratreich isst, kann das ein Risikofaktor sein. Der Körper braucht Pausen, mindestens vier Stunden zwischen den Mahlzeiten, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Nachts sollten es mindestens zehn bis zwölf Stunden sein. Dann geht nämlich eine Putzkolonne durch den Darm und die Körperzellen und befreit die Zellen vom Zellschrott. Auch das "Wie" ist wichtig: gründlich kauen und langsam essen, sonst werden die antientzündlichen, schlank machenden Darmbakterien ins Ghetto geschickt, und über die Jahre wird die Schleimhautbarriere durchlässiger. Das fördert übrigens auch Nahrungsmittelintoleranzen.

Warum ist auch Getreide ein Teil des Problems?

Getreide enthält viele Omega-6-Fettsäuren, und im Übermaß wirken die entzündungsfördernd, im Gegensatz zu den antientzündlichen Omega-3-Fettsäuren. Entscheidend ist das richtige Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren, es sollte bei 1:3 liegen. Bei vielen liegt es aber eher bei 1:20 - unter anderem, weil wir zu viel Brot, Pasta und Müsli essen.

Ist Vollkornmehl besser?

Von der Blutzuckerreaktion her ist fast jedes Kohlenhydrat tendenziell ungünstig. Nur volles Korn setzt einen langsameren Reiz. Fein gemahlenes Mehl – egal, ob Weiß- oder Vollkornmehl – fördert einen Insulinausstoß, und das setzt die Entzündungskaskade in Gang, wenn es überhandnimmt. Vollkornmehl enthält lediglich mehr Ballaststoffe. Tipp: Ein gesünderes Kohlenhydrat erkennt man am hohen Anteil an Ballaststoffen. Sehr gut ist zum Beispiel ein Brot aus grob gemahlenem Mehl mit vielen Körnern, Samen und Nüssen.

BRIGITTE 04/2019

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