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Eine Frau und ihre schwerste Entscheidung

Soll unser Baby leben? Es wird stark behindert sein, aber eigentlich ist es zu spät für eine Abtreibung. Eine Mutter erzählt von den quälendsten Tagen ihres Lebens - und ihrem Entschluss: Spätabtreibung.

Ich lag im heißen Badewasser und zitterte vor Kälte. Mein schöner dicker Babybauch ragte aus dem Schaum, aber ich berührte ihn nicht. Versuchte, ruhig zu werden. Endlich wieder richtig denken zu können. Eine Entscheidung zu treffen, die ich nicht im nächsten Moment wieder umwerfen würde.

Seit mir der Pränataldiagnostiker die Diagnose Spina bifida genannt hatte, fror ich ständig. Unser Kind, das mich fröhlich in meinen Bauch boxte, sollte behindert sein, einen offenen Rücken und einen Wasserkopf haben? Zwei, drei Mal am Tag tauchte ich in der Wanne ab. Mein Mann hatte einen anderen Weg gefunden, mit der Situation umzugehen: Er hatte sich ins Bett gelegt und die Decke über den Kopf gezogen. Heute kommen mir diese Wochen zwischen Diagnose und Abbruch vor etwas mehr als einem Jahr so irreal vor.

Die Kinder streichelten meinen Bauch, wir sprachen über das Baby.

Zwei Kinder hatte ich unproblematisch zur Welt gebracht. War beide Male nach acht Wochen wieder voll in meinen Beruf zurückgekehrt, unsere Kinder Leni und Tom wussten wir in der Krippe gut versorgt. Obwohl wir nach Toms Geburt vier Jahre nicht verhüteten, wurde ich nicht wieder schwanger. Dann wechselte ich die Frauenarztpraxis. Vielleicht war ein Knoten geplatzt, weil ich endlich aktiv wurde, vielleicht war es Zufall, jedenfalls wurde ich kurz nach dem Praxiswechsel schwanger.

Wir freuten uns sehr. Aber irgendwie hatte ich kaum Zeit, die Schwangerschaft zwischen Kindern und Job zu genießen. Endlich kamen die Weihnachtsferien. Zwei Wochen nur für meine Familie und die Schwangerschaft. Am letzten Ferientag frühstückten wir zusammen, die Kinder streichelten meinen Bauch, wir sprachen über das Baby.

Dann ging ich zu einem normalen Kontrolltermin bei meiner Gynäkologin. Ich war in der 30. Schwangerschaftswoche und fühlte mich wunderbar. Die Ärztin meinte während des Ultraschalls, mein Kind - sie sprach von einem Mädchen - sei ein wenig klein. Aber ich solle mir keine Sorgen machen, sie würde mich nur routinemäßig zu einem Pränataldiagnostiker überweisen.

Und ich war tatsächlich nicht beunruhigt: Ich bin sehr klein und zierlich, meine Kinder waren beide keine Riesen, als sie zur Welt kamen. Zwischen den Terminen feierten wir noch die Geburtstage von Tom und Leni mit großen Kinderpartys. Ich fühlte mich so sicher in meiner Schwangerschaft.

Zwei Wochen später fuhr ich allein mit dem Bus zu diesem Arzt. Er sprach nicht, während er meinen Bauch mit dem Ultraschallkopf abtastete. Plötzlich stoppte er, murmelte, da gäbe es ein Problem, und verließ den Raum. "Hoppla", dachte ich, "jetzt wird es holprig. Vielleicht organisiert er einen Notkaiserschnitt." Aber meine Sorgen galten in dem Moment ehrlich gesagt mehr meinen Kollegen, die meine Arbeit übernehmen müssten, als meinem ungeborenen Baby.

Dann sagte er den Satz, der mir den Boden unter den Füßen wegzog.

Endlich kam der Arzt zurück. Dann sagte er den Satz, der mir den Boden unter den Füßen wegzog: "Ihr Kind hat Spina bifida. Das bedeutet, es hat einen offenen Rücken." Er habe gerade einen Termin bei einer Humangenetikerin organisiert, die würde mich weiter beraten. Ich solle sofort zu ihr fahren, nachdem er mir Fruchtwasser für einige Tests abgenommen hatte.

Ich war schon an der Tür, da fragte er: "Werden Sie Ihr Kind voll austragen?" - "Na klar", sagte ich und dachte: "Was für eine seltsame Frage." Schließlich war ich mittlerweile schon in der 32. Schwangerschaftswoche.

Ich rief meine Schwester an und bat sie zu dem Gespräch bei der Humangenetikerin dazu, dann sprach ich ziemlich wirr mit meinem Mann. Es sähe ganz gut aus, meinte die Ärztin: "Ihr Kind wird zwar kein Bergsteiger", aber nach zwei schweren Operationen direkt nach der Geburt würde es wahrscheinlich irgendwann laufen lernen, davon gehe sie aus. Okay, eine Blasenlähmung wäre möglich. Und einen Wasserkopf hätte es. Wir könnten es natürlich auch abtreiben, sagte sie irgendwann. Aber ich wollte gar nicht weiter darüber nachdenken: "Das packen wir schon", dachte ich.

Wortchaos in meinem Kopf. Mit meinem Mann und meiner Schwester versuchte ich später, die Aussagen der Ärzte zu rekonstruieren, wir telefonierten, recherchierten im Internet und trafen Beraterinnen einer Spina-bifida-Selbsthilfegruppe. Die Symptome waren niederschmetternd. Und plötzlich stand dann doch das Thema Abtreibung im Raum. Die Möglichkeit, seinem Kind und sich selbst all das zu ersparen, was wir da herausfanden. Da begann mein Zittern.

Wir besuchten zwei mögliche Geburtskliniken, sprachen dort mit Neurochirurgen über Operationsmöglichkeiten nach der Geburt. Auch sie gingen von einer eher positiven Prognose für unser Kind aus. Wir holten uns eine zweite Meinung ein. Diesmal sahen drei Ärzte gemeinsam direkt auf das Ultraschallbild. Ihr Urteil: Dieses Kind sei schwerst körperlich und nicht einschätzbar geistig beeinträchtigt. Blase und Darm wären gelähmt. Ein Kind mit so einer Diagnose brauche lebenslange Betreuung.

Lebenslange Betreuung? Wer sollte das machen? Wir sind eine so mobile Familie, ständig unterwegs. Und wir glauben daran, dass Kinder schnell selbständig werden sollten. Außerdem arbeiten mein Mann und ich beide gern, lieben unsere Berufe. Einer von uns hätte sein Leben aufgeben müssen, um das Leben unseres dritten Kindes zu organisieren. Und was würde das für die Geschwister, für Leni und Tom, bedeuten?

Mein Mann ist Reha-Techniker, passt Menschen Rollstühle an. Er weiß, wie unangenehm die ständige Reibung, das nicht zu verhindernde Wundscheuern ist. Das war ein wichtiger Punkt für unsere Entscheidung: Ein Kind, das sein Leben praktisch liegend im Rollstuhl verbringen muss, bekommen wir nicht. Doch keiner der Ärzte wollte sich darauf festlegen, dass unser Kind nie selbständig werden würde.

Was sollten wir tun? Mein Mann verzog sich ins Bett, ich lag zitternd in der Badewanne. Der Kontakt zum Baby war weg. Ich konnte es nur noch als Problem wahrnehmen. Irgendwann war klar, die Ärzte dürfen sich nicht festlegen. Mit meiner Mutter und meiner Schwester konnten wir reden, sie wollten beide Wege mit uns gehen. Auch mit ein paar engen Freunden sprachen wir. Alle konnten unsere Sorgen, unsere Zukunftsängste verstehen.

Aber entscheiden mussten wir allein. Und wir entschieden uns endgültig für einen Abbruch. Unseren Kindern sagten wir schon zu diesem Zeitpunkt, dass unser Baby im Bauch sehr krank sei und wahrscheinlich sterben würde. Doch meinen Schwiegereltern musste ich die Wahrheit sagen, mein Mann konnte es nicht. Sie wollten das Thema nicht weiter besprechen. Bis heute steht es irgendwie zwischen uns.

Um elf Uhr klingelte das Telefon: "Wir machen es. Kommen Sie."

Dann kam für mich das Schrecklichste nach diesen zehrenden Wochen der Unentschlossenheit: Ich musste regelrecht für den Tod unseres Kindes kämpfen. Mein Mann fühlte sich der Situation nicht gewachsen, er lag weiter im Bett. Aber meine Schwester begleitete mich in das Krankenhaus, das wir als Geburtsklinik ausgewählt hatten, wir wurden hin und her geschickt, von Arzt zu Arzt, niemand wollte mit uns über einen so späten Abbruch diskutieren.

Deshalb fuhren wir wieder in die Klinik, in der wir die zweite Meinung eingeholt hatten. Diesmal war mein Mann dabei. Und dort war einer der Ärzte zum Abbruch mit Fetozid (Tötung) bereit. Voraussetzung: Die Ethik-Kommission der Klinik stimmte zu. Wir sprachen mit Hebammen und Ärzten, legten die Gründe für unsere Entscheidung dar. So vieles hatte die neue Gynäkologin übersehen, sogar, dass unser Baby kein Mädchen war, wie wir nun erfuhren. Ein Sohn.

Besonders viel Zeit nahm sich ein Kinderarzt. Er unterstützte uns, beschönigte nichts. Gab zu, er sehe die Probleme für eine Familie mit zwei Kindern, die ein drittes, behindertes integrieren müsste. Nach den Gesprächen fuhren wir nach Hause. Warteten eine endlose Nacht, einen sich dahinschleppenden Morgen. Um elf Uhr klingelte das Telefon: "Wir machen es. Kommen Sie." Ich packte für zwei Tage, wir benachrichtigten meine Schwiegereltern, die sich um Tom und Leni kümmern sollten, und fuhren los. Plötzlich war ich ruhig, sicher, das Richtige für uns und unser Kind zu tun.

Es folgten viele kleine Etappen, die mir heute wie im Dunst erscheinen: Aufnahmeformalitäten, der Bezug des Zimmers, meine Unterschrift, dass ich den Abbruch möchte, unser gemeinsames gesprochenes Ja zum Fetozid vor den Ärzten. Zu viel Trubel, um sich von unserem Sohn zu verabschieden. Ich liege auf der Liege, um mich mein Mann, Ärzte, Hebammen. Die Kaliumchloridspritze in meine Bauchdecke, mein Mann sieht auf den Ultraschallbildschirm, fängt an zu weinen, als das Herz stehen bleibt. "Das ist es", denke ich. Schlucke Tabletten, die Wehen auslösen sollen. Mein Mann liegt in meinem Klinikbett, Kraft tanken für die Geburt unseres toten Kindes.

Er ist da. Unser Max. Sie wickeln ihn in ein Tuch.

Ich stapfe los, stundenlang laufe ich die Treppen ab, hoch und runter. Irgendwann kommen die Wehen, werden stärker. Ich nehme keine Schmerzmittel, ich möchte alles erleben. Nach fünf Stunden Wehen bitte ich die Ärzte darum, die Fruchtblase zu öffnen. Dann geht es schnell. Er ist da. Unser Max. Über 2000 Gramm schwer. Sie wickeln ihn in ein Tuch. Ich taste mich an mein totes Baby heran. An seine Deformationen. Ich sehe, wie entstellt er ist. Mein Mann möchte ihn nicht mal angucken. Zwei Stunden halte ich ihn in meinen Armen, dann muss ich zur Ausschabung. Ein Stück Plazenta ist in mir geblieben. Später fahren wir nach Hause, zu Tom und Leni.

Nach zwei Tagen nahm ich das Angebot der Klinik an, ihn noch einmal zu sehen. Meine Mutter und meine Schwester begleiteten mich, wir hielten ihn, machten Fotos, verabschiedeten uns von ihm. Später schickten wir eine Todesanzeige an Freunde und Kollegen. Mein Chef weiß Bescheid, ein paar wenige Freunde auch. Wer danach fragt, warum unser Baby gestorben ist, dem erzählen wir, dass Max’ Tod unsere Entscheidung war. Ich schäme mich nicht dafür. Unser Sohn liegt jetzt in einem Kindergrab. Ich war nur einmal dort. Denn Max ist nicht da draußen, sondern in meinem Herzen.

Was ist ein Schwangerschaftsabbruch - und bis wann ist er möglich?

Nach § 218 a (2) ist es in Deutschland straffrei, eine Schwangerschaft bis zum Beginn der Geburt zu beenden, vorausgesetzt, ihre Fortführung gefährdet jetzt oder in Zukunft das Leben der Mutter, ihre körperliche oder seelische Gesundheit. Dies wird als medizinische Indikation bezeichnet.

Bis zur 14. Schwangerschaftswoche

Für Abbrüche innerhalb der ersten drei Monate nach der Befruchtung (bzw. bis zur 14. Schwangerschaftswoche, denn es wird ab der letzten Regelblutung gezählt) muss eine medizinische Indikation nicht gegeben sein, hier gilt lediglich die Beratungspflicht.

Ab der 14. Schwangerschaftswoche

Eine Behinderung oder Erkrankung des Kindes allein rechtfertigt keinen Schwangerschaftsabbruch. Nach Protesten unter anderem von Behinderten-Organisationen wurde das Gesetz vor 15 Jahren dahingehend geändert, dass stets die Mutter im Zentrum der Entscheidung steht, also ob ihr das Austragen des Kindes zugemutet werden kann. Bei den meisten der etwa 2300 Schwangerschaften, die jedes Jahr in Deutschland aufgrund einer medizinischen Indikation beendet werden, ist jedoch zunächst eine Behinderung oder Krankheit des Kindes festgestellt worden.

Bis zur 18. Woche

Abbrüche mit medizinischer Indikation erfolgen überwiegend zwischen der 14. und 18. Schwangerschaftswoche. Das Kind ist dann noch nicht lebensfähig und stirbt unter der mit Medikamenten eingeleiteten Geburt. Bei späteren Abbrüchen kann das Kind die Geburt überleben - und müsste dann von den Ärzten auch mit allen medizinischen Mitteln am Leben gehalten werden.

Etwa ab der 22. Woche

Bei diesen sehr späten Abtreibungen wird das Kind vor der Geburt - meist durch eine Injektion mit Kaliumchlorid - getötet. Etwa 230 solcher Spätabbrüche mit vorangegangenem Fetozid werden jedes Jahr vorgenommen.

Neues Gesetz

Seit Beginn dieses Jahres ist eine Frist von mindestens drei Tagen vorgeschrieben, die vom Zeitpunkt, zu dem eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Kindes festgestellt wird, bis zum Ausstellen einer Indikationsbescheinigung verstreichen muss, bis also die Abtreibung vorgenommen werden kann. Vorher war eine solche "Bedenkzeit" nicht festgelegt. Außerdem sind Arzt oder Ärztin nun dazu verpflichtet, die Frau stärker und "ergebnisoffen" zu beraten bzw. auf Wunsch den Kontakt zu Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder Behindertenverbänden zu vermitteln. Eltern sollen sich umfassend über das Leben mit einem behinderten Kind informieren können. Die Frau kann die Beratung durch den Arzt auch ablehnen.

Können Ärzte den Abbruch verweigern?

Ja, und zwar auch, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Denn laut Gesetz ist niemand - kein Mediziner und auch keine Krankenschwester - dazu verpflichtet, eine Abtreibung vorzunehmen oder daran mitzuwirken. Ob ein Abbruch im Einzelfall wirklich durchgeführt wird, entscheidet in vielen Kliniken und pränataldiagnostischen Praxen ein Ethikrat, der sich aus Ärzten, Hebammen, Genetikern, Seelsorgern und Psychologen zusammensetzt. Dieses Gremium ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Erst wenn bei einer Frau die Eröffnungswehen eingesetzt haben, nach allgemeinem Verständnis also die Geburt beginnt, ist ein Abbruch der Schwangerschaft auch nach dem Gesetz nicht mehr möglich.

Protokoll: Barbara Siefken

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