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Was stimmt nicht mit meiner Schilddrüse?

Frösteln mitten im Frühling, schlechte Laune und schon wieder ein Kilo mehr: Nicht selten ist die Schilddrüse schuld. Oft dauert es, bis ein Arzt darauf kommt.

Die Veränderungen begannen schleichend, als sie um die 30 war. Mal war Martina Krause (Name von der Redaktion geändert) tagelang übel. Dann wieder fühlte sie sich wie zerschlagen, litt unter Nervosität oder Gliederschmerzen - und schob es aufs Wetter, den Kreislauf oder eine gerade grassierende Grippewelle. Auch Entspannungstechniken wie Yoga und Reflexzonenmassage halfen nicht.

Verschiedene Ärzte bescheinigten ihr, sie sei kerngesund. "Aus einer lebenslustigen, aktiven, zuverlässigen jungen Frau wurde ein unberechenbares Bündel aus Angst und Wut", erinnert sie sich heute. "Plötzlich konnte ich grundlos und ausgiebig heulen, sogar inmitten eines Kreises netter Leute." Psychische Probleme, so sahen es ihre Freunde und Ärzte. Sieben Jahre lang kam keiner von ihnen darauf, dass die junge Frau ein Problem mit ihrer Schilddrüse haben könnte.

Müde, abgespannt und schlecht drauf fühlt sich schließlich jede mal. Manchmal zeigt dann auch noch die Waage ein weiteres Kilo mehr an, und bei einem Blick in den Spiegel sinkt die Stimmung unter den Gefrierpunkt. Kommen solche Tiefs häufiger vor, besteht zumindest der Verdacht auf eine Unterfunktion der Schilddrüse.

Im Gegensatz zur Überfunktion, die für Ärzte durch eine einfache Blick- oder Tast-Untersuchung zu erkennen ist, wird diese Störung oft lange übersehen. Betroffen sind bis zu 10 Prozent der Bevölkerung, darunter besonders viele Frauen. Und ihre Symptome können sehr unterschiedlich sein: Viele haben Figurprobleme. Martina Krause aber blieb über ihren gesamten Leidensweg hinweg sehr schlank.

Ein Hormon, viele Folgen

Die Schilddrüse, ein schmetterlingsförmiges Gebilde, liegt unterhalb des Kehlkopfes und produziert zwei Hormone: Thyroxin (auch kurz T4 genannt) und Trijodthyronin (T3). Gemeinsam steuern diese viele verschiedene Stoffwechselvorgänge im ganzen Körper. Daher gibt es eine Vielzahl möglicher Anzeichen für eine Unterfunktion.

Schilddrüsenhormone bringen den Energiestoffwechsel in Schwung; tun sie das nicht ausreichend, steigen oft Blutfette und Gewicht. Der Blutdruck dagegen ist meist zu niedrig, Betroffene frieren leicht und fühlen sich antriebslos. Auch der Darm wird träge - Menschen mit Schilddrüsen-Unterfunktion leiden häufig unter Verstopfung.

Der Mangel an aktivierenden Hormonen beeinträchtigt zudem das Aussehen: Haut und Haare werden stumpf und trocken, die Fingernägel brüchig. Nicht zuletzt leidet die Psyche unter Müdigkeit und Niedergeschlagenheit bis zur ernsthaften depressiven Verstimmung. Und der Spaß am Sex lässt oft zu wünschen übrig.

Bei Martina Krause spielten schließlich auch die Sexualhormone verrückt: Sie hatte ihre Regel alle zwei, drei Wochen unter heftigen Schmerzen, beim Ultraschall zeigten sich Zysten an den Eierstöcken. Für ihren Arzt lag der Verdacht auf ein gutartiges Geschwür der Hirnanhangdrüse nahe. Sechsmal wurde sie innerhalb von drei Jahren in die Magnetresonanz-Röhre geschoben - ohne Ergebnis. "Meine Gynäkologin registrierte währenddessen meinen psychischen Verfall", erinnert sich die Dauerpatientin, die immer häufiger unter grundlosen Wutanfällen und Panikattacken litt: "Ich war früher wegen meiner ausgleichenden Art beliebt. Jetzt wurde ich allmählich zum keifenden Pitbull."

Von wegen alles Psycho

Wenn Frauen über diffuse Beschwerden klagen, neigen nicht wenige Ärzte dazu, an psychische Probleme zu denken. Manche verordnen Antidepressiva, ohne die Schilddrüsenfunktion auch nur zu überprüfen.

Dabei wäre das nicht sehr kompliziert: Mit einem einfachen Bluttest können im Labor die Werte für das die Schilddrüse stimulierende Hormon (TSH), das die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) produziert, bestimmt werden. Bei einer Schilddrüsen-Unterfunktion ist dieser Wert erhöht - der Körper versucht sozusagen ständig, die schwächelnde Schilddrüse anzuspornen.

Angeborene Defekte werden heute zum Glück fast immer in den ersten Lebenstagen erkannt. Bei einer Unterfunktion, die etwa bei jedem 4000. Kind vorkommt, muss eine Behandlung mit Schilddrüsenhormonen sofort beginnen, um schweren Entwicklungsstörungen vorzubeugen.

Wenn die Schilddrüse später im Leben schlappmacht, können eine durch Viren hervorgerufene Entzündung (Thyreoiditis), eine vorausgegangene Bestrahlung oder Medikamente schuld sein. Am häufigsten aber kommt die so genannte Hashimoto-Thyreoiditis vor: Bei dieser Autoimmunerkrankung verwechselt der Körper Freund und Feind, er greift die Schilddrüse an wie einen unwillkommenen Eindringling. Die Folge ist ein chronischer Entzündungsprozess, der schleichend verläuft und daher oft erst spät erkannt wird. Warum diese Krankheit bei Frauen etwa viermal so häufig auftritt wie bei Männern, ist nicht völlig klar.

Auf die Dosis kommt es an

Ob nun Östrogene, Erbanlagen oder beide gemeinsam beteiligt sind - heilen lässt sich die Störung bisher nicht. Dafür aber gut behandeln: Das fehlende Schilddrüsenhormon T4 wird als Tablette geschluckt. Man beginnt mit einer niedrigen Dosis und steigert dann langsam, bis ein normaler Hormonspiegel im Blut erreicht ist.

Nur in Ausnahmefällen müssen die Patienten auch das zweite Hormon T3 einnehmen. In der Regel, so zeigt eine aktuelle Studie, ist der Körper selbst in der Lage, T4 in T3 umzuwandeln. Allerdings kann es dauern, bis die im individuellen Fall passende Dosis gefunden ist. Schon ein Wechsel des Präparates kann das Gleichgewicht wieder durcheinanderbringen.

Gestritten wird unter Experten noch darüber, wann eine medikamentöse Therapie beginnen sollte. Denn ein leicht erhöhter TSH-Wert ist oft auch dann nachzuweisen, wenn die Betroffenen subjektiv wohlauf sind. Die Konzentration der Schilddrüsenhormone selbst ist dann oft noch im normalen Bereich, und drei Viertel aller Patienten, bei denen die TSH-Laborwerte eine solche milde Form der Schilddrüsen-Unterfunktion anzeigen, haben keinerlei Beschwerden. Einige Studien deuten zwar darauf hin, dass ihr Risiko für Arteriosklerose erhöht sein könnte. Aber die wissenschaftlichen Daten sind widersprüchlich. Und so erscheint es fragwürdig, Menschen, die sich gesund fühlen, zu Patienten zu erklären.

Ein Forum als Rettungsleine

Die Deutschen Fachgesellschaften für Endokrinologie und Nuklearmedizin jedenfalls haben sich kürzlich dagegen ausgesprochen, den Normbereich für TSH nach unten zu verschieben und so den Kreis der offiziell Behandlungsbedürftigen zu vergrößern. Nur in einigen Fällen sollte auch eine symptomlose Unterfunktion behandelt werden, etwa bei Frauen, die schwanger sind oder es werden wollen.

Martina Krause kam ihrer Krankheit schließlich selbst auf die Spur: im Internet. Sie gab ihre Beschwerden ein, "und so landete ich auf einer Seite, die mein Leben rettete. Es gibt ein tolles Forum (www.hashimotothyreoiditis.de), in dem ich endlich auf Leidensgenossen traf. Ich lernte verstehen und akzeptieren, was mit mir los ist, fühlte mich aufgefangen und endlich mal getröstet".

Ein Endokrinologe bestätigte dann die Diagnose: Hashimoto Thyreoditis, seit mindestens sieben Jahren. "Die Ärzte verschwiegen nicht, dass es sehr lange dauern könnte, bis mein Körper sich von den Strapazen der Fehldiagnose erholen würde", erinnert sich Martina Krause und trauerte erst einmal um die verlorenen Jahre und ihre verpassten Chancen im Beruf: "Ich hab mich zwar im Job immer engagiert, musste aber auf viele Fortbildungsangebote und auch auf die Möglichkeiten eines Auslandseinsatzes aus gesundheitlichen Gründen verzichten." Heute weiß sie, was ihr neben der täglichen Hormontablette am meisten hilft, um mit ihrem Schilddrüsenproblem zu leben: "Selbstvertrauen, Geduld und vor allem gute Freunde."

Schilddrüse und Schwangerschaft

Frauen, die gern schwanger werden möchten und bei denen es nicht klappt, sollten auch ihre Schilddrüsenfunktion prüfen lassen, weil eine Unterfunktion die Fruchtbarkeit beeinträchtigen kann. Während der Schwangerschaft steigt der Bedarf an Schilddrüsenhormonen an: Experten empfehlen eine Behandlung werdender Mütter selbst dann, wenn bei ihnen zwar Hashimoto-Antikörper nachweisbar sind, aber noch kein akuter Mangel an Schilddrüsenhormonen besteht. Denn die Hälfte dieser Frauen entwickelt bis zur Geburt des Kindes eine Unterfunktion.

Diese Unterfunktion kann zu Früh- und Fehlgeburten führen oder auch zu einer verzögerten Lungenreifung beim Ungeborenen. Auch nach der Geburt sollten junge Mütter an ihre Schilddrüse denken: Der "Baby-Blues" nach der Entbindung kann durch eine Unterfunktion dieses Organs (mit)bedingt sein.

Schilddrüse und Jod

Für die Produktion von Schilddrüsenhormonen braucht der Organismus Jod. Bekommt er zu wenig, gefährdet das die Hormonproduktion. Der Körper versucht den Mangel wettzumachen, indem er mehr hormonproduzierendes Gewebe bildet - die Schilddrüse wächst, bis sie als Kropf (Struma) sichtbar wird.

In jodarmen Gegenden trat das früher häufig auf: Als Folge können entweder so genannte "kalte Knoten" entstehen, aber auch "heiße Knoten", die im Übermaß Schilddrüsenhormone bilden und behandelt werden müssen. Durch mit Jod angereichertes Speisesalz ist der Kropf seltener geworden. Doch keine Wirkung ohne Nebenwirkung: Die bessere Jodversorgung hat dazu geführt, dass jetzt Schilddrüsen-Unterfunktionen häufiger vorkommen.

Mehr Infos

Zum Weiterlesen:Leveke Brakebusch, Armin Heufelder, "Leben mit Hashimoto"

Im Internet:www.hashimotothyreoiditis.de. www.forum-schilddruese.de (gibt einen guten Überblick, ist aber Pharma-gesponsert)

Text: Wiebke Rögener Mitarbeit: Elvira Draschner BRIGITTE Heft 11/08

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