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Ronja Ebeling Nüchtern, aber im Rausch

Ronja Ebeling: zwei verschwommene Frauen in einem Club
© xy / Adobe Stock
Alkohol ist out, junge Menschen bleiben heute lieber "sober“, also nüchtern. Ronja Ebeling, 25, gehört dazu. Sie stellt aber fest, dass dafür andere Rauschmittel auf dem Vormarsch sind.

Meinen ersten Sex on the Beach hatte ich mit 14 Jahren. Mein Vater saß daneben – genauer gesagt, war der Cocktail sogar seine Idee. Er habe seinen ersten harten Alkohol auch im Beisein seiner Eltern getrunken. Während meine Mutter stinksauer war, wollte mein Vater damit wahrscheinlich nur bezwecken, dass ich die Wirkung von Alkohol nicht unbeaufsichtigt einzuordnen lerne und meine Grenzen kenne.

In den folgenden Jahren habe ich sie tatsächlich regelmäßig überschritten: mit falschem Perso auf Partys, gefakten Erlaubnisscheinen von meinen Eltern, und weil ich schon als Minderjährige ziemlich groß war, konnte ich im Supermarkt meistens auch ohne Probleme Alkohol kaufen. Mit 20 kam die Wende, irgendwie erschien mir die Sache plötzlich langweilig. Heute trinke ich nur noch wenig Alkohol. Vielleicht mal zwei Gläser Wein zum Essen, aber ich bin quasi nie betrunken und hasse das Katergefühl.

Die meisten in meinem Freundeskreis ticken mittlerweile so. Es gibt kein Komasaufen, kein Rauschtrinken. Wenn ich auf einer Party bei meiner Apfelschorle bleibe, werde ich nicht als Spaßbremse bezeichnet. Dafür haben gerade in der Großstadt alle Verständnis. Sowohl die politisch-engagierten Klimaschützer:innen als auch die Influencerinnen, die auf raffinierten Zucker und Alkohol verzichten.

Die Nüchternheitsbewegung

Die Generation Z, also die Jugendlichen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind, erlebt eine Nüchternheitsbewegung. Das zeigt auch eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Im Jahr 2004 gaben noch 44 Prozent der 18- bis 25-Jährigen an, mindestens einmal die Woche Alkohol zu trinken. Fünfzehn Jahre später waren es nur noch 33 Prozent. In den USA zeichnet sich der Trend ähnlich deutlich ab: Zwei Drittel der Jungen gaben da 2019 an, ihren Alkoholkonsum reduzieren zu wollen. Dort spricht man vom "Sober curious“-Trend, nach dem Titel des Bestsellers von Ruby Warrington von 2018, in dem die damals 42-Jährige sich mit ihrer Trinkbiografie auseinandersetzt. Sinngemäß bedeutet das "nüchtern, aber neugierig“. Ruby Warrington nennt die neue Abstinenz den nächsten logischen Schritt der Wellness-Revolution und ist inzwischen Organisatorin alkoholfreier Events in New York.

Im Vordergrund steht bei diesem Trend die eigene Gesundheit, eine Parallele zu den ebenfalls rückläufigen Zahlen von jungen Raucher:innen. Auch die Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen bescheinigt meiner Generation, gesundheitsbewusster zu sein als die davor. Die Pandemie hat diese Haltung bei den unter 30-Jährigen laut einer Studie der pronova BKK noch bestärkt: Knapp die Hälfte achtet mehr auf ihr körperliches Wohlbefinden. Es geht um einen nachhaltigen Umgang mit sich selbst. Wir essen gesund, oft vegan, meditieren, achten auf unsere Fitness. Wenn wir versuchen, dem alltäglichen Stress, den vorherige Generationen mit Alkohol kompensiert haben, auf der Yogamatte zu entkommen, machen wir uns in meinen Augen jedoch etwas vor: Wir können gesellschaftliche Probleme weder wegatmen noch wegtrinken. Zu unserem Lifestyle passen die alten Drogen trotzdem nicht mehr.

Unser Verzicht auf Alkohol hat aber auch damit zu tun, dass viele von uns erlebt haben, wie häufig ältere Familienmitglieder zur Flasche gegriffen haben. Ich selbst bin in einer Kneipenfamilie aufgewachsen. Mein Großvater war Wirt; Trinken war gerade bei den älteren Männern meiner Familie eine Normalität und gehörte zur Tagesordnung. Heute leben in Deutschland rund 1,1 Millionen alkoholabhängige Menschen, laut einer Untersuchung der Barmer Krankenkasse sind viele davon in den 50er- und 60er-Jahren geboren. Das Trinken gilt bei unseren Eltern und Großeltern noch als gesellig und entspannend. Ich glaube, meine Generation sieht darin eher das Suchtmittel. Kaum verwunderlich also, dass wir uns bewusst dagegen entscheiden.

Wer verzichtet?

Doch tun das überhaupt alle? Laut der Umfrage der pronova BKK verzichten durchschnittlich vier von zehn der 16- bis 29-Jährigen auf Alkohol, unter jungen Akademiker:innen ist es schon mehr als die Hälfte. Ich glaube, entscheidender als der Bildungsstatus ist der Wohnort: Als ich vor der Pandemie auf der letzten Scheunenfete in meiner Heimat war, wurde noch gut gebechert. Es gingen Jägermeister und Cola-Korn über die Theke. An solchen Abenden bin ich gerne freiwillig die Fahrerin und winke mit den Autoschlüsseln, wenn mich jemand zum Trinken überreden will. In Großstädten wie Berlin und Hamburg ist das anders. Hier brauche ich keinen Autoschlüssel als Alibi, auch nicht gegenüber Leuten ohne Abitur. Mit dem Vorurteil, Alkohol sei die Droge der unteren sozialen Schichten, macht sich übrigens schon die Generation unserer Eltern konstant etwas vor: Im mittleren Alter trinken nämlich vor allem die mit der besseren Ausbildung und dem höheren Einkommen. Gerade unter Frauen. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts neigt vor allem sie zu regelmäßig riskantem Konsum: die Akademikerin ab 45.

Was aber sagt das nun über uns aus? Dass wir cleane Menschen sind, die Lebensfreude allein aus ihrer Gesundheit und Fitness ziehen? Nicht wirklich. Ich vermute eher, wir haben nur die Droge gewechselt. Das hat viel mit den Ansprüchen an uns zu tun, eine Generation zu sein, die performt, abliefert: Startups gründet, mit Krypto-Währungen balanciert, auf TikTok oder Instagram Erfolge feiert oder zumindest den schönen Körper. Mit Alkohol klappt das nicht, denn der macht träge oder aggressiv.

Dafür gelten andere Substanzen mittlerweile als smarte Performer-Drogen. Der Trend zu ihnen zeichnet sich auch in den Schulen ab. Um sich zum Beispiel vor einer Klausur zu pushen, ziehen viele – je nachdem, was man sich leisten kann – Koks oder Speed, zum Teil auch auf der Schultoilette. Dass das auch schiefgehen kann, habe ich mit 16 zum ersten Mal im Philosophieunterricht erlebt. Ein Mitschüler rutschte mit aufgerissenen Augen auf seinem Stuhl hin und her, sein Fuß wippte, er schwitzte, seine Hände zitterten. Die Schulstunde wurde für ihn zum kalten Entzug, bis er irgendwann aufsprang und auf die Toilette ging. Als er zurückkam, war er zugedröhnt, aber äußerlich ruhig. An unserem kleinstädtischen Gymnasium kein Einzelfall.

Der illegale Drogenkonsum steigt

Die BZgA hat festgestellt, dass der Konsum illegaler Drogen steigt, fast die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen hat sie bereits konsumiert. Vor allem Cannabis, aber auch Ecstasy, LSD, Kokain und psychoaktive Pflanzen haben bei den Jüngeren zugenommen. Auch bei Crystal Meth ist die Kundschaft sehr jung.

Wir sind also vielleicht die Generation Nüchtern, aber nicht die Generation Glasklar. Vermutlich hat jede Altersgruppe ihre Droge, die erst mal mit Spaß und Leichtigkeit gleichgesetzt wird. Aber in letzter Zeit habe ich gesehen, wie Menschen vor die Hunde gegangen sind. Sie haben ihre Familien verloren, sich die Zukunft verbaut oder sitzen teilweise in geschlossenen Einrichtungen. Man muss viel Alkohol trinken, um diesen Zustand zu erreichen, aber nur wenige bunte Pillen schmeißen. Ich fürchte, dieses Risikos sind sich manche in meiner eigentlich so gesundheitsbewussten Generation noch nicht ganz bewusst.

Ronja Ebeling ist Journalistin und lebt in Hamburg. Letzten Herbst ist ihr erstes Buch erschienen, es handelt vom Lebensgefühl ihrer Generation: "Jung, besorgt, abhängig: eine Generation in der Krise" (256 S., 16 Euro, Eden Books).

Brigitte

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