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Mit ergreifenden Worten verabschiedet sich Nina Zacher vom Leben

Vor vier Jahren bekam Nina Zacher ihr Todesurteil: Die vierfache Mutter aus München hat ALS, eine unheilbare Nervenkrankheit. Ihr Abschiedsbrief sollte uns zu denken geben.

Manche Schicksale sind so grausam, dass man sie selbst als Außenstehende kaum ertragen kann - wie zum Beispiel das der 46-jährigen Nina Zacher, deren Geschichte Tausende Menschen bewegt. 2012 wurde bei der vierfachen Mutter und Wirtin der Münchener "Sankt Emmeramsmühle" ALS diagnostiziert, kurz für Amyotrophe Lateralsklerose. Diese seltene, unheilbare Nervenkrankheit lähmt nach und nach alle Muskeln des Körpers. Die Lebenserwartung ist extrem kurz. Im Sommer 2015 schütteten sich Stars bei der "Ice Bucket Challenge" einen Eimer mit Eiswasser über den Kopf, um Spendengelder zu sammeln, denn ALS ist noch kaum erforscht. Im Endstadium greift die Krankheit auch die Muskulatur der Lunge und des Sprechapparats an - die Patienten ersticken, wenn sie nicht künstlich weiterbeatmet werden. Nina Zacher hat sich dagegen entschieden. In ihrer Patientenverfügung hat sie lebenserhaltende Maßnahmen ausgeschlossen. Sie wird sehr bald sterben.

Schon jetzt ist sie gefangen im eigenen Körper, allein mit all den Gedanken, die sie kaum noch mitteilen kann. Das Atmen fällt ihr schwer, sie hat starke Muskelkrämpfe. Ihr Mann Karl-Heinz kümmert sich um sie, wäscht und füttert sie. Seit 22 Jahren sind sie ein Paar, haben sich zusammen erfolgreich eine Existenz aufgebaut und dafür hart gearbeitet. Doch sie haben auch das Leben genossen, sind viel gereist und haben Zeit mit ihren vier Kindern verbracht - zwei Mädchen und zwei Jungen im Alter von 4 bis 14 Jahren.

"Ich habe ALS" - Nina Zacher über ihre tödliche Krankheit:

Trotz ihres schweren Schicksals hat Nina Zacher ihre Offenheit und ihren Mut nicht verloren. Sie geht mit ihrem bevorstehenden Tod an die Öffentlichkeit, um anderen ALS-Patienten Kraft zu geben - und gesunde Menschen wachzurütteln und für die Krankheit zu sensibilisieren. Das Frauenmagazin Myself berichtete drei Mal über Nina Zacher. Im letzten Beitrag mit dem Titel "Was ich dir noch sagen wollte" nehmen Nina und ihr Mann Karl-Heinz mit einem offenen Brief voneinander Abschied. Gegenüber der Münchener tz sagte sie:

"Der Tod macht mir mittlerweile - und nach allem, was ich in den letzten vier Jahre erleben und ertragen musste - gar keine so große Angst mehr. Denn das langsame Sterben, das ich jetzt erlebe, ist das eigentlich Schreckliche."

Vor wenigen Tagen verfasste sie auf ihrer Facebook-Seite mithilfe eines ferngesteuerten Computers ihre vermutlich letzte Botschaft. Sie wählte jeden Buchstaben einzeln aus, musste Fehler verbessern und Pausen machen, weil es sie so sehr anstrengte. Mehr als zwei Tage hat sie dafür gebraucht. Darin beschreibt sie ihren Gesundheitszustand:

"Ich bin nur noch ein Schatten dessen, was und wer ich einmal war und mit nur noch knapp 35 Kilo auf 1,78m mehr tot als lebendig. Meine Sprache ist bis auf ein unverständliches, nicht mehr wahrnehmbares Krächzen unwiederbringlich verstummt. (...) Im Sitzen kippe ich nun nach allen Seiten um und meinen Kopf kann ich kaum noch halten. (...) Ich bin verzweifelt, leide aber an solcher Atemnot, dass ich mir, um nicht Panik zu bekommen, Tränen nicht erlauben darf."

Ebenso schmerzhaft wie der körperliche Verfall sei jedoch die Erkenntnis, dass sich ein Großteil ihrer Freunde und Nachbarn von ihr abgewendet hat. Selbst an Ninas wohl letztem Geburtstag bekam sie von den meisten nur eine kurze Mail oder SMS. Dabei hätte sie sich über einen Besuch oder gar "kleine, bunt verpackte Sinnlosigkeiten" riesig gefreut. Die Menschen scheuen die Konfrontation mit dem Tod, blenden alles Unschöne aus, schreibt sie:

"Ich habe mich früher immer gefragt, was das nur für Menschen sind, die immer "wegschauen" und vor allem Angst haben, sprachlos werden, aber dann vor Neugierde fast zerplatzen und überall tratschen, oder wie meine Nachbarn sehr viel Zeit am Fenster verbringen oder sogar meine Besuche vor ihren Autos abpassen, um Informationen zu erfahren, aber noch nie bei uns waren, um vielleicht mal irgendetwas vom Einkaufen mitzubringen oder sonst irgendwo behilflich zu sein. Ich würde mich ja schämen."

Weil Leid und Sorgen vor allem im Verborgenen stattfinden, hätten viele Menschen verlernt, menschlich zu sein. Nina Zacher beendet ihren offenen Brief mit Zeilen, die uns allen zu denken geben sollten:

"Es geschieht jeden Tag dieses grausame Drama, überall in Deutschland hinter verschlossener Tür, in Pflegeheimen, bei schwer kranken und alten Menschen. (...) Nächstenliebe, Mitgefühl und etwas für jemanden zu tun, ohne stets nur an seinen eigenen Vorteil zu denken, können nur die wenigsten Menschen, die ich einmal kannte.

Hier könnt ihr Nina Zachers Brief in voller Länge lesen:

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