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Multitasking: Extremer Stress für unser Gehirn

Multitasking: Extremer Stress für unser Gehirn: Gestresste Frau mit Handy
© Galina Kovalenko / Shutterstock
Warum unser Gedächtnis uns so oft im Stich lässt und wie wir es besser nutzen, erklärt der Neurobiologe Martin Korte.

Guten Tag, Herr Korte. Wenn ich jetzt peinlicherweise Ihren Namen vergessen hätte: Gäbe es eine schnelle Notfall-Strategie für mein Gedächtnis?

Martin Korte: Schnell ist schwierig. Sie könnten versuchen, den Kontext herzustellen, also in diesem Fall: Wie bin ich auf das Interview gekommen, durch welche Person, welche Information? Sie könnten auch das Alphabet durchgehen und blieben eventuell bei dem richtigen Buchstaben hängen und kämen auf meinen Namen. Wenn mehr Zeit da ist, hilft es, den Gedanken loszulassen, sich mit etwas anderem zu beschäftigen und später wieder dorthin zurückzukehren, dadurch entspannt sich das Gehirn.

Kann ich Ihnen jetzt eigentlich zuhören, mir merken, was Sie sagen, und nebenbei einen Einkaufszettel schreiben – Stichwort Multitasking?

Nein. Unser Arbeitsgedächtnis, das dafür da ist, Informationen aufzunehmen und zu speichern, schafft das nicht, es kann nicht gut zwischen verschiedenen mentalen Tätigkeiten wechseln. Trotzdem versuchen wir es immer wieder, weil wir glauben, auf diese Weise effizient zu sein. In Wirklichkeit verwechseln wir Belastung mit Effektivität: Wir sind beim Multitasking mental stark beansprucht, aber eben überhaupt nicht effektiv, weil wir viele Fehler machen, Inhalte vergessen. Multitasking bedeutet für unser Gehirn extremen Stress.

Wenn wir lernen, etwa für eine Prüfung oder Vokabeln für unsere nächste Urlaubsreise, brauchen wir eine Menge Konzentration. Warum lassen wir uns trotzdem so schnell ablenken, am liebsten von unserem Smartphone?

Hier kommen alte Muster der Evolution zum Tragen: Wir scannen ständig unsere Umgebung, weil vielleicht irgendwo ein Feind lauert oder eine Belohnung, ein Beutetier, vorbeikommen könnte. Mit den digitalen Medien werden diese alten Instinkte geweckt: Wir sind ständig in einem Habachtalarmzustand, es könnte ja immer eine neue Nachricht aufpoppen. Schon der Anblick des Handys auf dem Schreibtisch führt dazu, dass unsere Leistungsfähigkeit abnimmt. Ein Teil unserer Nervenzellen feuert nämlich die ganze Zeit die Botschaft: "Nicht an das Handy denken, nicht das Handy anfassen." Diese Willensanstrengung kostet das Arbeitsgedächtnis eine Menge Kapazität. Es ist nämlich nicht nur für die Verarbeitung von Informationen zuständig, sondern auch für die Selbstkontrolle.

Was können wir tun, um es zu entlasten?

Wir sollten die entbehrlichen Reize, die unsere Willenskraft ganz unnötig beanspruchen, ausschalten. Also: Das Handy am besten außer Sichtweite legen. Oder bei einer Diät: Dann schwächt es unsere Denkleistung und damit unsere Merkfähigkeit, wenn wir den Gedanken an leckeres Essen ständig abwehren müssen – deshalb sollten wir Chips oder Schokolade gar nicht erst im Haus haben.

Was bringen Sudokus, Kreuzworträtsel oder sogenannte Gehirnjogging-Apps, um das Gedächtnis zu trainieren?

Dabei werden nur einzelne Areale unseres Gehirns gefordert. Wichtiger ist es, ganze Gedächtnissysteme zu trainieren, um neue Informationen zu speichern und sicher wieder abrufen zu können. Hier hilft unsere Fähigkeit der Assoziation, gerade Orte und Bilder erinnern wir sehr gut.

Wenn ich mir nun zum Beispiel eine Pin-Nummer merken möchte ...

... kann ich jede Zahl mit einem Bild verbinden, zum Beispiel die Null mit einem Spiegelei, die Zwei mit einem Schwan usw. Am besten ist es, wenn ich mir dazu noch Geschichten ausdenke, dann schwimmt die Zwei wie ein Schwan in der Badewanne. Diese Methode erfordert ein bisschen Übung, ist aber enorm effektiv.

Martin Korte ist Professor für Neurobiologie an der TU Braunschweig. Sein aktuelles Buch "Hirngeflüster. Wie wir lernen, unser Gedächtnis effektiv zu trainieren" ist im Europa Verlag erschienen (216 Seiten, 18 Euro).

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