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Streitthema: Wie lange stillen?

Eine Mutter, die einen Dreijährigen stillt - mit diesem provokanten Titelbild sorgt die aktuelle "Time" für Aufregung. Wie lange sollte eine Mutter ihr Kind stillen?

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"Are you mom enough" titelt die aktuelle Ausgabe des US-Nachrichtenmagazins "Time" - und zeigt einen dreijährigen Jungen, der an der Brust seiner Mutter nuckelt. In den prüden USA hat das Bild eine hitzige Debatte ausgelöst.

Ein Kind, das morgens vor der Kita nicht wie andere Müsli oder Marmeladenbrot isst, sondern zum Frühstück schnell ein paar Schlucke aus Mamas Brust nimmt: Ist das nun empörend, pornografisch gar - oder doch etwas ganz Natürliches? So sehen es zumindest die Anhänger des so genannten "Attachment Parenting": Sie befürworten eine enge Bindung zwischen Mutter und Kind.

Am Thema Langzeitstillen entzünden sich immer wieder gesellschaftliche Debatten. 2010 sorgte das Buch "Breastfeeding older children" für Aufregung. Seine Botschaft: Kinder sollten so lange gestillt werden, bis sie selbst es nicht mehr wollen. Also: open end. So sehe es die Natur vor und so sei es auch das Beste: Gesundheit, Selbständigkeit und emotionale Entwicklung des Kinder und für weibliches Selbstverständnis und befriedigende Selbstfindung der Mutter.

Das Hohelied der Muttermilch singt auch die Stillberatungs-Organisation La Leche Liga auf ihrer Homepage: "Jede Frau, die ein Baby erwartet und es stillen möchte, entscheidet sich nicht nur für eine bestimmte Form der Ernährung. Sie entscheidet sich zugleich für eine ganz bestimmte Form der gefühlsmäßigen Beziehung zum Kind."

Was gleichzeitig bedeutet: Eine Frau, die nicht stillt, hätte eine "andere" gefühlsmäßige Beziehung zu ihrem Baby. Und zwar wahrscheinlich eher eine schlechtere, sonst würden die "Breast is best"-Vertreter ja nicht so vehement auftreten.

Wie gesund ist Stillen eigentlich?

Tatsächlich fühlen sich viele Frauen, denen das Stillen nicht gelingt, als schlechte Mütter. Und wer das Baby schon bald nach der Geburt nicht mehr rund um die Uhr selbst betreut und nährt, gilt sowieso als Rabenmutter.

Beschränkt man sich allerdings auf nüchternere Tatsachen, muss man feststellen: In einer Industrienation wie Deutschland hat das Stillen seinen größten Vorteil sowieso längst verloren: den einer größeren Überlebenswahrscheinlichkeit des Kindes.

Aber ist Muttermilch nicht auch ein allgemeiner Gesundheitsgarant? Stillen stärkt das Immunsystem, es schützt vor Allergien, vor Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen. Es macht Kinder intelligenter und bewahrt die Mutter vor Brustkrebs. All diese Vorteile gelten als wissenschaftlich belegt.

Beim Immunschutz weiß man allerdings mittlerweile, dass länger Stillen nicht unbedingt besser ist. Nach den neuen Empfehlungen reicht es zur Allergie-Vorbeugung, vier Monate voll zu stillen. Und es gibt sogar Hinweise darauf, dass die Wahrscheinlichkeit für Allergien, Asthma und Neurodermitis wieder steigt, wenn die Kinder zu lange nur an Mutters Brust genährt werden.

Ganz allgemein gilt: Muttermilch beeinflusst zwar bestimmte Gesundheitsrisiken statistisch messbar, bewahrt aber keineswegs vor bestimmten Krankheiten. Auch ein über viele Monate und Jahre gestilltes Kind kann als Erwachsener zu viel wiegen oder herzkrank werden. Denn es gibt einfach sehr viel mehr und auch wichtigere Faktoren, die hierfür oder auch für unsere Intelligenz verantwortlich sind.

Was ist das Beste für Mutter und Kind?

Und was ist mit den psychischen Auswirkungen der Muttermilch? Sind gestillte Kinder glücklicher, selbstbewusster und emotional stabiler als ungestillte - und Spätentwöhnte noch mehr als Kinder, die im ersten Lebensjahr abgestillt werden? Und geht es auch den Müttern besser, die ihren Kindern bis ins Schulalter die Brust geben?

Ann Sinnott, die Autorin des Buches "Breastfeeding older children", zitiert als Belege vor allem die Erfahrungen von begeisterten "Langstillerinnen" und fordert ein Umdenken in Gesellschaft und Berufswelt, um möglichst vielen Frauen und ihren Kindern dieses Ur-Erlebnis zu ermöglichen. Psychologen, Kinderärzte und Gynäkologen halten dagegen: Die lange Abhängigkeit von der mütterlichen Brust behindere die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes.

Sicher ist in der Diskussion aber vor allem eins: Keine Frau sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, ihr Kind auf jeden Fall zu stillen und das auch noch möglichst lange. Viele Frauen begeben sich oft selbst in einen Grabenkampf, wer denn nun die bessere Mutter sei. Bisher verlief die unsinnige Front meist zwischen Muttermilch und Flaschennahrung. Was wir auf keinen Fall brauchen, ist eine zweite Linie zwischen kurz, lang und am längsten stillenden Müttern, die den Umgang mit unseren Kindern zusätzlich verkrampft.

Denn eins ist der Entwicklung aller Beteiligten mit Sicherheit jederzeit förderlich: ein entspanntes Verhältnis von Mutter, Vater und Kind.

Text: Antje Kunstmann, Angelika Unger

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