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Morgensteifigkeit Was wirklich hilft, um besser in Gang zu kommen

Morgensteifigkeit: Hund streckt sich
© Gladskikh Tatiana / Shutterstock
Morgensteifigkeit? Haben doch nur richtig alte Menschen, dachte unsere Autorin – bis sie selbst kaum noch aus dem Bett kam.

Frühaufsteherin zu sein, ist nicht sehr sexy, aber ich habe es immer geliebt. Abends um zehn ins Bett, morgens um halb sieben knallwach – in meinen Augen ist es die bessere Daseinsform. Ohne eigenes Zutun hat man einmal täglich frischen Elan und ein wohliges Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Menschen, die in der Küche stumm und verzweifelt nach der Kaffeemaschine tasten.

Ein Ganzkörperentsetzen von dem einen Tag auf den anderen

Auch deshalb traf mich der Schmerz hart, mit so was hatte ich einfach nicht gerechnet: Dass man eines Tages aufwacht, die Beine aus dem Bett schwingen will, und – äh, Moment – nichts geht mehr. Der untere Rücken ein Brett, die Schultern eng, die Arme wie eingefroren. Und am nächsten Tag wieder und am übernächsten auch. Dazu ein fieses Stechen in den Füßen und ein dumpfes Ziehen in den Waden – eine mehrstimmige Schmerzkakophonie, untermalt von Selbstmitleid.

Ich war genervt, besorgt, beleidigt. Wie konnte sich das friedliche Ziepen und Knirschen des mittleren Alters über Nacht in so ein Ganzkörperentsetzen verwandeln? Mit wehen Fersen ins Bad humpeln und nur unter Stöhnen von der Klobrille hochkommen – was, bitte schön, ist das denn für eine Krankheit? Ich ging Abend für Abend mit Anfang 50 ins Bett und wachte als 80-Jährige auf, um mich dann im Laufe des Morgens rasch wieder zu verjüngen. Das immerhin war beruhigend: Dass dieser seltsame Zustand kaum länger als eine Stunde anhielt.

Morgensteifigkeit ist einer dieser Begriffe, die man im Laufe seines Lebens schon mal nebenbei zur Kenntnis genommen, aber nie ausgesprochen oder auch nur bewusst gedacht hat. Nun rumpelte er durch meine Gehirnwindungen und löste dezenten Grusel aus. Also konterte ich meine ältliche Symptomatik mit ein paar ehrgeizigen Trainingseinheiten im Fitnessstudio, wo ich mich sonst eher selten blicken lasse. Das Ergebnis war Morgensteifigkeit mit Muskelkater, das ist ähnlich unangenehm wie Kindergebären oder frisch operiert zu sich kommen.

Ursache Wechseljahre?

"Arthrose, Arthritis, Fibromyalgie, Rheuma, Morbus Bechterew", antwortete meine Lieblingsnachbarin auf die Frage nach Diagnosen, die Morgensteifigkeit mit im Gepäck haben. Ich hatte sie im Treppenhaus abgepasst, sie ist Medizinisch-Technische Röntgenassistentin von Beruf, außerdem backt sie den weltbesten Schokoladenkuchen, was sie zur idealen ersten Anlaufstelle bei Befindlichkeitsstörungen aller Art macht. Ihre Aufzählung allerdings fand ich wenig tröstlich, Kuchen war auch alle, blieb also nur noch das Internet.

Das Internet sagte: Wechseljahre. Jede zweite Frau ab Mitte 40 ist von Gelenkschmerzen betroffen, dahinter steckt häufig das altersbedingte Absinken des Östrogenspiegels, und morgens ist die Unbeweglichkeit in den Gelenken typischerweise besonders ausgeprägt. "Wir wissen, dass Östrogen auf die Knochendichte wirkt, es fördert die Bildung von Gelenkflüssigkeit, und auch im Knorpel gibt es Östrogenrezeptoren", erklärt mir Dr. Brigitte Mergard, meine Frauenärztin, die in Hamburg-Ottensen ihre Praxis hat und auf Hormontherapie mit natürlichen Wirkstoffen spezialisiert ist. "Außerdem verbessert Östrogen die Muskelkraft – was der Gelenkführung zugutekommt und die Passung der Gelenkflächen aufeinander verbessert."

Meinem Kummer mit der Morgensteifigkeit begegnet Dr. Mergard mit freundlichem Pragmatismus. "Die Steife verschwindet ja in der Regel nach einer halben Stunde. Und in allen Kulturen gibt es Übungsfolgen, die den Körper nach dem Aufstehen beweglich machen: die ,Fünf Tibeter‘ zum Beispiel oder den Sonnengruß. Und unsere alten Tanten haben früher am offenen Fenster Frühgymnastik gemacht."

Schlaf wird ständig unterschätzt

Eine Hormonersatztherapie würde die Ärztin bei Gelenkschmerzen nur dann verschreiben, wenn noch weitere typische Symptome vorhanden sind, welche die Wechseljahre für betroffene Frauen zu einer erheblichen Belastung werden lassen, wie Hitzewallungen oder Schlafstörungen. Überhaupt hält Brigitte Mergard Schlaf für elementar, "der wird so unterschätzt! Wenn wir zu spät ins Bett gehen oder zu viel Wein trinken, und dann schlecht schlafen, ist der nächste Morgen nur noch die Hälfte wert, dann machen wir auch keinen Sport mehr." Und die Bewegung diene ja keineswegs nur dem Muskelaufbau, sondern hätte einen stimmungsaufhellenden Effekt – "und das wiederum macht unempfindlicher gegen Schmerzen."

Auch Elke Himmelmann, Physiotherapeutin und Osteopathin mit Praxis bei mir um die Ecke, landet bei meiner Frage nach der Morgensteifigkeit durch Östrogenmangel gleich bei ihrem persönlichen Herzensthema: dem Bindegewebe. "Das reagiert stark auf Östrogen – das Hormon fördert unter anderem die Bildung von Kollagen", erklärt sie. "Und weil das Bindegewebe sich durch den ganzen Körper zieht, kommt es bei einigen Frauen in den Wechseljahren zu dieser großen Irritation: Nicht nur einzelne Gelenke, der ganze Körper tut plötzlich weh, und man denkt, man habe eine echt gravierende Erkrankung."

Was die Morgensteifigkeit natürlich nicht ist, vielmehr lässt sie sich "durch schöne, tägliche Übungsfolgen" gut in den Griff kriegen – da ist sich die Physiotherapeutin mit der Gynäkologin einig. Besonders empfehlenswert findet Elke Himmelmann Yoga: "Das liebt das Bindegewebe, die Faszien werden dabei vom Kopf bis in die Ferse gedehnt, gepflegt und angeregt." Wenn man es dann noch schaffe, sein Gewicht zu halten und sich basisch zu ernähren – zwei Drittel Gemüse, ein Drittel Getreide und möglichst kein Fleisch –, komme zusätzlich noch der Stoffwechsel in Schwung, und der ganze Körper werde besser mit Nährstoffen versorgt.

Leibesübungen, Pflanzenkost und früh ins Bett gehen

Besonders reizvoll ist das alles nicht, aber unterm Strich finde ich das unglamouröse Trio Leibesübungen, Pflanzenkost und früh ins Bett gehen doch einen Tick attraktiver als jeden Morgen stöhnend ins Bad zu humpeln. Ich gehe also wieder öfter ins Yoga-Studio. Und rolle manchmal neben dem Bett und vor dem Duschen die Matte aus, für zwei, drei knarzende Sonnengrüße. Und ja, es tut erstaunlich gut.

Dass mir meine Frauenärztin Wochen später doch noch Östrogen gegen die frisch hinzugekommenen, wirklich sehr störenden Hitzewallungen verschreibt, beendet die Morgensteifigkeit quasi über Nacht. Leider bleibt mit ihr auch mein neuer, zarter Bewegungseifer auf der Strecke: Nichts macht bequemer, als ein Körper, der so richtig schön gar nicht mehr wehtut.

17/ 2021 Brigitte

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