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Krankenhausheime: Was steckt dahinter?

Krankenhauskeime: Krankenschwester am Bett
© Rawpixel.com / Shutterstock
Hygienemangel und Antibiotika, die nicht mehr wirken – macht das Krankenhaus krank? Petra Gastmeier, Professorin an der Charité Berlin, warnt vor Panikmache.

Laut einer Umfrage haben etwa zwei Drittel der Deutschen Angst, sich in der Klinik mit Keimen anzustecken. Zu Recht?

PETRA GASTMEIER: Etwa drei bis vier Prozent der Patient*innen entwickeln während der Krankenhausbehandlung eine Infektion. Davon werden aber nur zehn Prozent durch Erreger verursacht, die von außen kommen. Also zum Beispiel übertragen durch das Personal, wenn zwischen zwei Behandlungen keine Händedesinfektion gemacht wird.

Was ist mit den anderen?

Die werden durch Bakterien, Viren und Pilze ausgelöst, die Patientinnen und Patienten bereits im Körper haben, etwa auf der Haut und im Darm, und entstehen, weil Keime in Körperbereiche gelangen, wo sie eigentlich nicht hingehören, zum Beispiel durch einen Katheter oder die Beatmung.

Trotzdem: Laut Statistik haben wir in Deutschland etwa 500 000 Fälle von Krankenhausinfektionen pro Jahr, 15 000 Menschen sterben daran ...

Aber die Zahl der Infektionen, die sich verhindern lassen, ist eben viel geringer. Das sind zum einen die zehn Prozent, die durch fremde Bakterien entstehen. Zum anderen kann man auch Infektionen durch körpereigene Bakterien zu einem gewissen Teil vermeiden. Insgesamt kann man sagen: Etwa 30 Prozent der Infektionen sind vermeidbar.

Und wie?

Indem man das Personal schult, vor allem in Sachen Hygiene, sowie Eintrittspforten für Erreger wie Gefäß- und Harnwegskatheter zeitlich begrenzt. Wichtig sind auch regelmäßige Kontrollen, ob diese Präventionsmaßnahmen eingehalten werden.

Sie selbst haben ein Überwachungssystem für Klinikinfektionen begründet. Wie funktioniert das?

Wir haben 1997 mit 20 Krankenhäusern angefangen, die Infektionen im eigenen Haus zu erfassen, und dann zurückgespielt bekommen, wie sie im Vergleich zur durchschnittlichen Infektionsrate dastehen. Und wie sich gezeigt hat, nehmen Kliniken sich ein schlechtes Ergebnis durchaus zu Herzen und entwickeln Maßnahmen. Bei Wund- und Blutstrominfektionen sowie Lungenentzündungen hat das eine Reduktion von etwa 30 Prozent gebracht.

Kann man Menschen also beruhigen: Die Situation in Deutschland hat sich verbessert?

Auf jeden Fall! Wir haben die erste Studie zu Krankenhausinfektionen 1994 gemacht, und seitdem ist die Rate nicht gestiegen, obwohl sich die Risiken deutlich erhöht haben, weil die Therapien invasiver sind als vor 25 Jahren und die Patienten älter. 2008 haben wir die "Aktion Saubere Hände" ins Leben gerufen, um die Händehygiene auch objektiv zu messen, und in zehn Jahren hat sich zum Beispiel der Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln im Durchschnitt verdoppelt.

Inzwischen finden auch Beobachtungen zur richtigen Händedesinfektion statt, da steht wirklich jemand in der Ecke und schaut dem Personal auf die Finger. Die Händedesinfektion wird mittlerweile zu 75 bis 80 Prozent eingehalten, vor 20 Jahren waren es unter 50 Prozent. Wir sind auf dem richtigen Weg. Allerdings noch nicht da, wo wir hinwollen. Auch was den Einsatz von Antibiotika angeht: Der ist immer noch zu hoch.

Wie sieht es außerhalb der Kliniken aus: In einer Radiologie-Praxis in Köln infizierten sich Anfang des Jahres nach Spritzen in den Rücken 28 Menschen mit einem gefährlichen Erreger, ein Patient starb an Organversagen. Kann das überall passieren?

In der Regel nicht. Das ist wirklich ein GAU, zu dem ich aber keine Details kenne. Es ist natürlich wichtig, bestimmte Infusionen und Ampullen nur für einen Einzelpatienten zu benutzen, und es scheint so, als wäre das in der Praxis nicht eingehalten worden. Ich würde aber nicht sagen, dass es generell ein Hygienedefizit im ambulanten Bereich gibt.

Viele Menschen fürchten sich vor allem vor multiresistenten Erregern. Sind Infektionen vielleicht nicht mehr, aber gefährlicher geworden?

Ungefähr zehn Prozent der Infektionen, egal ob durch eigene oder Keime von außen, werden durch multiresistente Erreger ausgelöst. Oftmals liest man, dagegen stünden keine Antibiotika mehr zur Verfügung. Das ist in Deutschland aber gar nicht der Fall.

Dann ist das Thema der Killerkeime aufgebauscht?

Nein, weltweit ist es ein Riesenproblem. In Indien zum Beispiel sterben inzwischen viele Kinder auf den Neugeborenen-Stationen an solchen Erregern. Das liegt daran, dass Antibiotika dort frei erhältlich sind und sehr oft eingesetzt werden. Auch wenn die Situation bei uns in Deutschland besser ist, dürfen wir Länder in Asien und Afrika mit dem Problem der Multiresistenzen nicht alleinlassen. Und bei Patient*innen aus diesen Regionen, die zu uns kommen, müssen wir aufpassen, dass sie nicht andere infizieren. Deswegen werden sie auf Erreger getestet.

Und ein generelles Aufnahmescreening?

Davon halte ich gar nichts. Dabei geht es vor allem um sogenannte MRSA-Keime, über die oft in den Medien berichtet wird; darauf werden eh 40 Prozent der Patient*innen untersucht, nämlich Risikogruppen wie Menschen mit Diabetes oder Dialyse-Pflicht. Aus Großbritannien wissen wir: Ein generelles Screening bringt keine weitere Verbesserung.

Was können Patientinnen und Patienten selbst tun, um Infektionen zu verhindern?

Sich gut informieren. Es gibt Empfehlungen, wie man sich auf eine Operation vorbereitet. Viele rasieren sich zu Hause, das sollte man aber auf keinen Fall tun. Und generell sollten Patient*innen wachsam sein und nachfragen. Etwa ob man nach der Operation den Gefäßkatheter noch braucht oder ein Harnwegskatheter nicht inzwischen rausgenommen werden kann. Achte außerdem darauf, ob Ärzte und Pflegende sich wirklich die Hände desinfizieren, und sprich sie gegebenenfalls darauf an.

Petra Gastmeier, 62, ist Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité Berlin. Unter anderem leitet sie die "Aktion Saubere Hände" (unter www.aktion-sauberehaende.de sind die zertifizierten Kliniken gelistet) und hat das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) mitentwickelt, an dem inzwischen mehr als 1400 Kliniken teilnehmen.

BRIGITTE 16/2019

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