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Kau-Training Schlingst du noch oder isst du schon?

Kau-Training: Frau isst Apfel
© Westend61 / Getty Images
Schlingst du noch oder mahlst du schon? Die Ernährungsexpertin Barbara Plaschka bietet Kau-Trainings an. Warum das eine sehr schlaue Idee ist.

BRIGITTE: Jetzt mal ehrlich: Kauen kann doch jedes Kind. Oder etwa nicht?

Barbara Plaschka: Stimmt, die Kaubewegung durch die Kiefermuskulatur ist von Natur aus in uns angelegt. Und trotzdem gibt es eine Menge Trainingsbedarf: Denn die allermeisten Menschen lassen sich von ihrem angeborenen Schluckreflex leiten, der sich meldet, sobald ein Bissen die Zunge berührt. Den Effekt kennt jeder, der mal in einen knackigen Apfel gebissen hat: Sofort will die saftige Frucht heruntergeschluckt werden. Die Kunst ist es jetzt, diesem Schluckreflex erst mal zu widerstehen – und jeden Happen vor dem Schlucken ausgiebig zu kauen, genauer gesagt: zu zermahlen. Es heißt ja schließlich "Mahl-Zeit" und nicht "Schling-Zeit".

Und was bringt mir das?

Es entlastet vor allem Magen und Darm, denn erst beim langen Kauen kann unser Speichel seine Zauberkräfte entfalten. Darin enthaltene Enzyme, die sowohl Verdauungsarbeit leisten als auch krankmachende Bakterien abtöten, sind nämlich ausschließlich im Mund wirksam, nicht mehr im Magensaft. Ein ausgedehnter Kauvorgang bereitet die Nahrung also ideal auf die weiteren Verdauungsstationen Magen und Darm vor. Menschen, die vorher über Magenbeschwerden klagten, merken nach einem Kau-Training oft: So bekommen mir Rohkost und Co. plötzlich richtig gut. Ein weiteres Aha-Erlebnis ist die Tatsache, dass stark industriell bearbeitete Lebensmittel, etwa Paprikachips, sich durch das Dauerkauen ziemlich eklig im Mund anfühlen. Dadurch entdeckt man fast automatisch die Freude an gesünderen Lebensmitteln wie frischem Salat.

Wie lange ist beim Kauen denn lange genug?

Das kommt auf die Grundkonsistenz des Nahrungsmittels an. Rohkost oder Mehrkornbrot muss ich länger kauen als eine Scheibe Toast. Grundsätzlich kann man aber sagen: über 20-mal ist gut, über 30-mal ist sehr gut. Und ein Saatenbrot lässt sich auch 80-, 90-mal kauen, da gibt es nach oben eigentlich keine Grenze.

Klingt nicht so appetitlich, die Idee, nur noch Brei im Mund zu haben …

Probieren Sie es aus! Das Spannende daran ist, dass man Nahrungsmittel noch mal ganz anders kennenlernt. Oft entdeckt man neue Geschmackskomponenten, erschmeckt plötzlich Gewürze, Süße oder Säure, die einem vorher nicht bewusst waren. Wer schlingt, bringt sich um ganz viel Genuss, da unser Geschmackserleben nur im Mund-Rachen-Raum in Kombination mit dem Geruchssinn stattfindet.

Kann ich wirklich genießen, wenn ich mich nur aufs Kauen konzentriere?

Das ist wie beim Fahrradfahren, der Anfang ist stressig: Wie soll ich jemals gleichzeitig die Balance halten, in die Pedale treten, auf die Straße achten? Mit der Übung kommt dann die Routine. Und irgendwann kann ich die Natur bewundern. Ist beim gründlichen Kauen genauso: Hat es sich erst mal etabliert, erlebe ich bewusst die Geschmacksvielfalt – und größere Zufriedenheit beim Essen, ein klar verständliches Sättigungsgefühl.

Brauche ich eigentlich weniger Essen, wenn ich länger kaue?

Es geht nicht um die Menge, sondern um die Qualität des Essens und um ein Gespür für echten Hunger. Durch achtsames Kauen gebe ich meinem Körper die Gelegenheit, aufgenommene Nahrung zu registrieren – und nach 15 bis 20 Minuten ein Signal zu senden: Das reicht, ich bin satt! Beim Schlingen lassen sich in dieser Zeit locker eine zweite und auch dritte Portion verdrücken. Viele meiner Teilnehmer:innen melden nach den ersten Trainingseinheiten: Wahnsinn, ich habe heute zum ersten Mal nur eine halbe Pizza geschafft! Und fühle mich total zufrieden, wenn ich den Rest liegen lasse und morgen esse.

Wie starte ich mein Kau-Programm, wenn die Zeit knapp ist oder die Kinder hungrig am Tisch sitzen?

Ich rate dazu, das genaue Kauen anfangs von den Mahlzeiten zu entkoppeln. Einfach mal zwischendurch in einem entspannten Moment damit beginnen, zwei, drei Bissen ganz andächtig und bewusst zu mahlen – zum Beispiel von einem guten Sauerteigbrot. Zählen Sie zur Übung ruhig mit, ob Sie es bis 30 schaffen. Jeder einzelne gut gekaute Happen entlastet bereits das Verdauungssystem und den Stoffwechsel und trägt zum Wohlfühlen bei. Man sollte sich zur Umstellung einige Wochen Zeit geben. Und sich das Trinken direkt zur Mahlzeit besser abgewöhnen. Denn zum einen verwässert und schwächt es die Speichelkraft, zum anderen verleitet die Flüssigkeit zum schnelleren Schlucken, weil die Bissen eben besser flutschen. Lieber vorher und hinterher trinken.

Über Barbara Plaschka

Die Biologin und Ernährungsberaterin gibt auf Youtube ihre Trainings "tuesday is chewsday" Mehr Infos unter barbaraplaschka.de.

Brigitte

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