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Masern-Impfung: Das müssen Sie wissen

In München sind innerhalb der vergangenen vier Wochen 40 Menschen an Masern erkrankt - die Behörden raten zur Masern-Impfung, um eine Epidemie zu verhindern. Impfung, ja oder nein - diese Frage stellt sich nicht nur bei Masern.

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Vorsorge ist gut, aber Impfen? Diese Frage sorgt ein ums andere Mal für Zündstoff, besonders unter Eltern. Denn gerade für Kinder werden immer neue Impfungen angeboten.

Im vergangenen Jahr waren an drei Grundschulen in Berlin Masern ausgebrochen. Kinder, die nicht gegen die extrem ansteckende Virusinfektion geimpft waren - oder Antikörper aufgrund einer früheren Masern-Erkrankung gebildet haben - durften nach einem Beschluss des zuständigen Gesundheitsamtes nicht am Unterricht teilnehmen. Zeitgleich forderte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Impfnachweise für Kinder, die in staatlichen Kindergärten betreut werden. Der Druck auf Eltern, die nicht impfen wollen, wächst.

Dabei sind viele Familien verunsichert. Sie fragen sich, wie all diese "künstlichen" Immunisierungen die natürlichen Abwehrkräfte von Kindern beeinflussen und was dran ist an den Warnungen vor Impfschäden, die Kritiker immer wieder verbreiten. Die wichtigsten Fragen und Einwände zur Masern-Impfung und was man zu Impfungen generell wissen sollte:

"Hatten wir nicht alle die Masern?" Gefährlich sind Masern vor allem für Kinder, die in Hunger und Armut leben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass 2010 weltweit rund 140.000 Menschen an Masern starben, die meisten dieser Opfer waren Kinder unter fünf Jahren in Entwicklungsländern. Aber auch im reichen Deutschland können Masern zu einer Entzündung des Gehirns mit bleibenden Schäden und sogar zu Todesfällen führen. "Kurz nachdem ich meine Praxis eröffnet hatte, bekam ein Kind eine Masern-Enzephalitis, lag wochenlang im Krankenhaus und musste über zwei Jahre lang in der Reha-Klinik wieder gehen und sprechen lernen", erinnert sich die Kinderärztin Dr. Ursel Lindlbauer-Eisenach, die zeitweise Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut war. Tragische Einzelschicksale werden indes auch von Impfgegnern angeführt. Ein Blick auf die Zahlen macht die Entscheidung leichter: So tritt eine Masern- Enzephalitis etwa bei jedem 1000. Masernfall auf, aber nur bei einem von einer Million Kindern nach der Impfung. Häufiger sind Fieberkrämpfe: Sie kommen in einem von 100 Fällen nach der Impfung vor, während der Erkrankung krampfen sieben bis acht von 100 Kindern.

"Warum sind Masern-Impfungen dann nicht Pflicht?" In den USA ist die Debatte entschieden, zumindest von staatlicher Seite. "No vaccination - no school" heißt es dort. Kinder, die keinen ausreichenden Impfschutz vorweisen können, werden nicht in Schulen und Kindergärten aufgenommen. Eine Folge: Der amerikanische Kontinent ist seit Jahren masernfrei. Hierzulande hingegen gab es im Jahr 2011 rund 1600 Fälle der Viruserkrankung - Deutschland gilt als Masernschleuder Europas. Deshalb fordert der Verband Kinder- und Jugendärzte auch für Deutschland eine Impfpflicht als Voraussetzung für den Schulbesuch. Viele Mütter und Väter aber wollen selbst darüber entscheiden, ob, wann und wogegen sie ihre Kinder impfen lassen.

"Zusätzliche Spritzen - das nutzt doch nur der Pharma-Industrie!" "Es stimmt, die Zahl der empfohlenen Impfungen hat immer mehr zugenommen. Das hat aber erheblich dazu beigetragen, dass unsere Kinder heute viel gesünder sind als noch vor wenigen Jahrzehnten", sagt Kinderärztin Lindlbauer-Eisenach. Nachdem zunächst häufige Krankheiten wie Masern oder Mumps zurückgedrängt wurden, geraten nun seltenere Gefahren ins Blickfeld: zum Beispiel Pneumokokken und Meningokokken. Diese Bakterien können Hirnhautentzündungen, Blutvergiftungen, Mittelohr- und Lungenentzündungen hervorrufen. Knapp 1000 Kinder unter fünf Jahren erkranken jedes Jahr an einer Pneumokokken-Infektion. Etwa zwei Drittel dieser Fälle wären durch eine Impfung vermeidbar, schätzt die STIKO und empfiehlt sie seit 2006. Das pharmakritische Arznei-Telegramm bemängelt jedoch, dass diese Empfehlung auf Zahlen aus den USA beruht, wo andere Erregertypen verbreitet sind als in Europa. Genaue Daten für Deutschland fehlen.

"Eine Impfung gegen Windpocken ist doch sicher übertrieben!" Stimmt, Windpocken verlaufen meist harmlos, und die juckenden Pusteln heilen folgenlos ab. "Doch auch hier kommen Komplikationen wie Lungen- oder Gehirnentzündungen vor", erklärt die Kinderärztin. Allerdings sei das selten: "Der einzelne Arzt sieht so etwas vielleicht nur einmal im Leben." Bekommt eine Schwangere Windpocken, kann der Fötus schwere Fehlbildungen erleiden. Bei einer Infektion der Mutter um den Geburtstermin herum stirbt jedes fünfte Neugeborene. Ähnlich dramatisch verhält es sich bei Röteln: Die eigentlich harmlose Kinderkrankheit kann, wenn sich eine Schwangere ansteckt, beim Kind schwere Behinderungen auslösen. Deshalb rät die Stiko, alle Kleinkinder zu impfen. Dass die Kommission seit 2004 eine Impfung gegen Windpocken empfiehlt (und die Kassen deren Kosten übernehmen), hat jedoch nicht nur medizinische, sondern auch ökonomische Hintergründe. Sabine Reiter, Leiterin des Fachgebiets Impfprävention am Berliner Robert-Koch-Institut: "Da fast jedes Kind Windpocken bekommt, entstehen hohe Kosten, wenn berufstätige Eltern zu Hause bleiben und ihre Kinder pflegen."

"Kinderlähmung gibt's bei uns doch gar nicht mehr, oder?" Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam - so wurde in den sechziger Jahren geworben. Mit Erfolg: 1960, kurz vor Beginn der Impfung, erkrankten mehr als 4000 Kinder, 1962 weniger als 300. Bald ging die Zahl auf wenige Fälle pro Jahr zurück - bis schließlich mehr Lähmungen durch die Impfung ausgelöst wurden als durch das ursprüngliche Virus. Inzwischen ist auch diese Gefahr gebannt: Der Impfstoff, der heute per Spritze verabreicht wird, enthält keine lebenden Viren mehr. Weil Kinderlähmung, ebenso wie Diphtherie, aus anderen Ländern wieder eingeschleppt werden kann, ist die Impfung auch weiterhin notwendig.

"Schutz im Kombipack - bedeutet das auch: Risiko hoch drei?" Mit einem Pieks gegen ein halbes dutzend Krankheiten geschützt - was könnte einfacher sein fürs Kind? Doch vor allem homöopathisch orientierte Ärzte meinen, dass der Impfstoff-Mix in der Spritze das kindliche Abwehrsystem überfordert. Wenn überhaupt, solle jede Impfung einzeln verabreicht werden. Kinderärztin Lindlbauer-Eisenach hält dagegen: "Früher enthielt allein der Keuchhusten-Impfstoff 3000 verschiedene Antigene - also fremde Moleküle, mit denen der Körper sich auseinander setzen musste", erklärt sie. "Heute bestehen die Impfstoffe nur noch aus einzelnen Bestandteilen der Erreger. In allen empfohlenen Impfungen zusammen finden sich nur knapp 150 Antigene." Das sei für Kinder gut zu verkraften. Ob Eltern dies überzeugt oder nicht - ihnen bleibt oft keine Wahl. Viele Impfstoffe werden nur noch im Kombipack angeboten. "Dass manche Einfach-Impfstoffe, wie gegen Keuchhusten, nicht mehr auf dem Markt sind, finde ich problematisch", sagt Sabine Reiter. "Versäumte Impfungen können dann nicht so leicht nachgeholt werden."

"Jetzt soll ich mein Baby auch noch gegen Rotaviren impfen lassen . . . auf eigene Kosten!" Rotaviren verursachen Durchfallerkrankungen - fast jedes Kind macht so eine Infektion bis zum fünften Lebensjahr durch. Besonders gefährlich ist das in der Regel nicht. Die relativ neue Schluckimpfung hat sich in Studien zwar als wirksam und ungefährlich erwiesen, kann aber nur bis zur 26. Lebenswoche gegeben werden - und sie ist teuer: Um 180 Euro kostet eine Impfserie. Selbst die Stiko empfiehlt die Impfung allenfalls für besonders gefährdete Kinder, und deshalb zahlen auch die Krankenkassen in der Regel nicht.

"Eine Impfung schützt vor Krebs - kann man das glauben?" Ohne Virus kein Krebs. Zumindest gilt dies für Tumore des Gebärmutterhalses: Sie entwickeln sich aus Infektionen mit humanen Papillomaviren (HPV), die beim Sex übertragen werden. Vor zwei der gefährlichen HPV-Typen schützt seit kurzem ein Impfstoff. Offenbar ohne Risiken und vermutlich ein Leben lang. "Bisher deuten Studien auf einen sehr langen Impfschutz hin", erklärt Professor Lutz Gissmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Die Stiko empfiehlt die Impfung für alle Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Übrigens entsteht auch Leberkrebs häufig in Folge von Virusinfektionen. Die Hepatitis-B-Impfung für Säuglinge, die davor schützt, gehört deshalb schon seit längerem zum Katalog der Stiko-Empfehlungen.

"Impfschäden werden überhaupt nicht richtig registriert" Laut Infektionsschutzgesetz müssen Ärzte seit 2001 jeden Verdacht auf eine Impfkomplikation melden. Oftmals lässt sich aber gar nicht so einfach feststellen, ob die gesundheitlichen Probleme mit der Impfung zusammenhängen. Komplikationen seien viel häufiger, als offiziell bekannt, glaubt der Schutzverband für Impfgeschädigte. "Ganz im Gegenteil", meint Impfexpertin Sabine Reiter vom Robert-Koch-Institut. Wenn ein Kind erkranke, werde das allzu leicht der letzten Impfung angelastet. "Jedes Jahr gibt es leider viele Fälle von plötzlichem Kindstod, zwangsläufig auch einige davon kurz nach einer Impfung. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen."

"Impfungen fördern Allergien - stimmt's?" Sicher ist: Es gibt mehr Impfungen - und mehr Allergien. Aber ob das eine mit dem anderen zu tun hat? Schwedische Forscher fanden kürzlich, dass geimpfte Kinder häufiger unter Ekzemen und allergischem Schnupfen litten als meist ungeimpfte Waldorf- Schüler. Doch die hatten häufiger Bio-Kost auf dem Tisch, die Eltern rauchten weniger, und die Kinder bekamen seltener Antibiotika. Zu viele Unterschiede, um den Einfluss der Impfungen eindeutig herauszufiltern. Kinderärztin Lindlbauer-Eisenach verweist außerdem auf den Ost-West-Vergleich: "Allergien waren in der DDR fast unbekannt, obwohl dort fast alle Kinder geimpft wurden. Allergien nahmen erst nach der Wende häufiger zu, während die Impfraten sanken."

"Krankheiten machen Kinder stark" Kinderkrankheiten bringen einen Entwicklungsschub mit sich: Das wird oft behauptet, ist aber nicht bewiesen. Unbestritten dagegen: Mütter, die eine Virusinfektion überstanden haben, geben ihrem Baby einen längeren Schutz vor Ansteckung mit. Bis zu einem Jahr hält der Nestschutz nach überstandenen Masern, bei gegen Masern geimpften Müttern nur bis zu acht Monate.

"Jedenfalls sollte man sich nicht so oft impfen lassen . . . " Diese Einstellung ist gefährlich. Denn weil Auffrischungsimpfungen leicht in Vergessenheit geraten, besitzen nicht einmal zwei Drittel aller Kinder einen vollständigen Impfschutz vor Masern. So steigt das Risiko, als Jugendliche oder Erwachsene eine "Kinderkrankheit" zu bekommen - oft mit besonders schwerem Verlauf. Vor solchen Versäumnissen schützt ein Service im Internet: Unter www.kinderaerzte-im-netz.de finden Eltern nicht nur Informationen zum Thema Impfen. Sie können auch den Geburtstag ihres Kindes eingeben - und werden per E-Mail stets rechtzeitig über anstehende Impftermine informiert.

Und wann wurden Sie das letzte Mal geimpft?

Der Schutz vor Diphtherie und Tetanus sollte alle zehn Jahr aufgefrischt werden, und eine Impfung gegen Keuchhusten empfiehlt die Stiko Frauen mit Kinderwunsch und allen, die engen Kontakt mit Säuglingen haben (Eltern, Großeltern, Tagesmütter). Vielen Erwachsenen fehlt außerdem die vierte Polio-Impfung, so dass sie vor Kinderlähmung nicht ausreichend geschützt sind. Einen Impfstatus- Check gibt es unter www.impfenaktuell.de. Oder Sie nehmen zur nächsten Vorsorgeuntersuchung Ihres Kindes auch Ihren eigenen Impfpass mit. Der Kinderarzt kann Sie dann beraten und bei Bedarf sogar gleich impfen. Und vielleicht hilft das auch Ihrem Kind, den Piekser leichter zu ertragen.

Foto: mbt_studio/Fotolia Produktion/Text: Wiebke Rögener Mitarbeit: Monika Herbst, Antje Kunstmann

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