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Hormone: Die Entdeckung der weiblichen Chemie

Hormone sind eine Art Wunderdroge, die unser Körper selbst herstellen kann. Immer mehr davon gibt es auch per Pille, Spritze oder Pflaster. Was können sie wirklich?

Ihr Leben ist kurz, und es hat nur ein Ziel: Kaum wurden sie in die menschliche Umlaufbahn geschleudert, machen sie sich schon auf die Suche nach einer Körperzelle, mit der sie sich verbinden können. Dort angekommen, erteilen sie ein paar kurze Kommandos. Deren Wirkungen können dramatisch sein: Eine Frau bricht in Tränen aus. Zwei Herzen fliegen einander zu. Ein Embryo beginnt zu wachsen. Ein Teenager schreit seine Eltern an. Krebszellen vermehren sich.

Hormone: Die wissenschaftliche Entdeckung dieser körpereigenen Botenstoffe liegt erst gut 100 Jahre zurück. Seitdem werden ihre vielfältigen Wirkungen auf unseren Organismus ebenso fieberhaft erforscht wie die Möglichkeit, ihre Produktion im Gehirn oder unseren Geschlechtsorganen durch synthetische Hormone zu ersetzen.

Der bisher spektakulärste Erfolg: die Antibabypille. Außerdem: ganz neue therapeutische Möglichkeiten durch Insulin, Cortisol oder das Schilddrüsenhormon Thyroxin und bei der Behandlung von Krebs. Noch immer werden weitere Hormone in unserem Körper entdeckt. "Aus medizinischer Sicht wird man das 20. Jahrhundert einmal das Jahrhundert der Hormone nennen... eine ganz neue Ära der Heilkunst zog damit auf", war 1978 in BRIGITTE zu lesen.

Damals wusste man noch nichts von den großen Enttäuschungen bei der Anwendung von Hormonen: über die Risiken einer Hormontherapie in den Wechseljahren etwa, die sich erst zeigten, als sie schon zig Millionen Frauen verschrieben worden war. Und man wusste noch nicht, dass Hormone bald wie eine Art Wunderpillen gehandelt würden, die versprechen, wovon wir schon immer, aber heute besonders träumen: Schönheit, Sexappeal und ewige Jugend.

Tatsächlich fördert die Erforschung dieser raffinierten Botenstoffe des Lebens immer wieder neue, überraschende Erkenntnisse zutage - aber auch widersprüchliche und verwirrende Befunde. Gerade deshalb gehört die so genannte Endokrinologie zu den spannendsten Forschungsgebieten, die uns die Medizin heute zu bieten hat.

Sturm und Abwehr: Ein raffiniertes Team!

Hormone sind die unsichtbaren Regisseure unseres Lebens: Östrogene und Gestagene regeln den Beginn der Pubertät, den Menstruationszyklus, den Verlauf einer Schwangerschaft, das Einsetzen der Wechseljahre. Melatonin sorgt dafür, dass wir morgens wach werden und abends müde. Cortisol und Adrenalin werden ausgeschüttet, wenn wir unter Stress geraten. Hormone helfen, Körper und Seele in Sekundenschnelle auf neue Anforderungen einzustimmen, sie wachen rund um die Uhr über unsere Gesundheit, aber sie können, einmal aus dem Konzept geraten, auch krank machen.

Zum Beispiel im Herz-Kreislauf-System: Körpereigene Östrogene bilden einen natürlich Schutz für unsere Gefäße. In der Menopause, wenn die Eierstöcke nicht mehr arbeiten, werden sie vermehrt im Bauchfett gebildet. Deshalb macht eine moderate Gewichtszunahme in dieser Lebensphase Sinn, Übergewicht aber schadet. Synthetische Hormone können sogar das Risiko von Herzinfarkt, Thrombosen und Schlaganfall erhöhen. Oder bei Allergien: Erst neuerdings beschäftigen sich Immunologen mit dem Zusammenhang zwischen erhöhten Östrogenspiegeln, Allergien und Asthma.

Prof. Erika Jensen-Jarolim, Leiterin des Institutes für Pathophysiologie an der Universität Wien, hat jetzt eine Übersicht über die wichtigsten Studien publiziert: "Dabei zeigte sich, dass Heuschnupfen häufiger um die Menstruation herum auftritt und dass in der Schwangerschaft die Zahl lebensbedrohlicher Asthmaanfälle steigt." Zwar haben Mädchen seltener Allergien als Jungen, doch im Laufe des Lebens kehrt sich dieses Verhältnis um. Östrogene stimulieren die Immunabwehr. Deshalb ist bei Frauen, die Hormone gegen Wechsel jahresbeschwerden nehmen, auch eine erhöhte Allergiebereitschaft nachweisbar.

Einige Studien nährten einen beunruhigenden Verdacht: Wir können auch gegen unsere eigenen Geschlechtshormone allergisch werden. Als amerikanische Forscher 2007 Frauen nach Fehlgeburten einem Hauttest unterzogen, reagierten 23 von 29 allergisch auf Östrogene.

Für Jensen-Jarolim ist dieses Phänomen "nur auf dem Hintergrund erklärlich, dass viele Frauen zur Verhütung jahrelang synthetische Hormone einnehmen". Denn Präparate, die man dem Körper hoch dosiert per Pille oder Pflaster zuführt, provozieren möglicherweise andere Immunantworten als die körpereigene Produktion.

Depressionen und Krebs: Anti-Hormone im Einsatz

Auch bei der Entstehung von Brust-, Eierstock- und Gebärmutterkörperkrebs sind oft Östrogene im Spiel. Eine langfristige Einnahme von Wechseljahreshormonen erhöht das Brustkrebsrisiko um bis zu 73 Prozent - das belegte jetzt noch einmal eine große Studie ("MARIE") im Auftrag des Deutschen Krebsforschungszentrums. Die Antibabypille hingegen senkt die Gefahr, an Eierstockkrebs zu erkranken.

Die Forschung über Hormone und Krebs brachte auch therapeutische Fortschritte: Mit Anti-Hormonen (z. B. Tamoxifen) können viele Brustkrebspatientinnen heute schonender und erfolgreicher behandelt werden als mit Chemo und Strahlen. Dass Frauen doppelt so häufig wie Männer unter Depressionen leiden, wird ebenfalls mit Hormonen in Verbindung gebracht: Östrogene machen uns weicher und empfänglicher für seelische Verletzungen.

Doch auch ein Entzug von Geschlechtshormonen kann für seelische Tiefpunkte verantwortlich sein, etwa nach einer Geburt. Eine Anti-Östrogen-Therapie wird andererseits gerade als Heilmittel gegen psychische Störungen erprobt: Kürzlich zeigte eine Studie, dass das Brustkrebsmedikament Tamoxifen helfen kann, Manien rasch und wirksam zu beenden.

Sex und ewige Jugend: Wovon wir träumen

In der zweiten Lebenshälfte sinkt unser Hormonspiegel, wir werden schlapp, faltig und lustlos. Und dagegen helfen synthetische Hormone. So schlicht ist es in manchen Werbebroschüren der Anti-Aging-Industrie zu lesen - doch tatsächlich sind die Wirkungen von Lifestyle-Drogen wie DHEA oder Somatropin noch äußerst umstritten und etliche schädliche Nebenwirkungen inzwischen bekannt.

Und auch guten Sex gibt's nicht einfach aus der Pillendose. Zwar steigern Östrogene bei Frauen während ihrer fruchtbaren Tage nachweislich Attraktivität und Libido.Doch Antibabypillen, die dem Körper ständig Östrogene zuführen, können die Lust auf Sex wiederum empfindlich vermindern: durch eine Zunahme der sexualhormonbindenden Globuline im Blut.

Auch Medikamente gegen Akne, die den Testosteronspiegel senken, dämpfen die Libido - ebenso wie das Schwangerschaftshormon Prolaktin. Die gute Nachricht: In der Menopause verändert sich bei manchen Frauen der Anteil von Testosteron im Verhältnis zum Östrogen - und damit steigt noch einmal der Spaß am Sex. Es gibt ihn also, den Zusammenhang zwischen Hormonen und Sex. Doch während ein gestörter Hormonhaushalt heute in der Regel gut behandelbar ist, lässt sich ein gesunder Körper nicht so einfach manipulieren: Da wirkt in Bezug auf die Lust kaum etwas so effektiv wie eine neue Liebe.

Soja, Plastikhormone und Co: Offene Fragen

"Designer-Hormone", die man ganz gezielt für Gesundheit, Schönheit und Wohlbefinden einsetzen könnte, bleiben also vorläufig ein Wunschtraum. Und das gilt auch für ihre pflanzlichen Pendants, für Soja, Rotklee und Co. Viele Frauen machen zwar gute Erfahrungen damit, und auch Anti-Aging-Mediziner sind überzeugt von der Wirkung, doch die Wissenschaft weiß noch wenig darüber. "Es gibt Riesenunterschiede bei der Reinigung und Verarbeitung dieser Präparate, die es zum Beispiel in Drogeriemärkten zu kaufen gibt - das macht wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkung von Isoflavonoiden schwierig", erklärt Dr. Enikö Kallay, die an der Universität Wien über Pflanzenhormone forscht.

So ist zwar bekannt, dass Japanerinnen, die von klein auf viel Soja essen, weniger Wechseljahresprobleme und weniger Brustkrebs haben. Aber lässt sich diese Wirkung auch mit Präparaten erzielen, die Pflanzenhormone pur enthalten? "Wir vermuten, dass beim Soja mehrere verschiedene Substanzen zusammenwirken, und empfehlen eine Einnahme eher über die Ernährung", sagt Enikö Kallay.

Und da Soja an Östrogen-Rezeptoren ähnliche Effekte auslösen kann wie "echte" Hormone, wird Frauen nach Brustkrebs inzwischen von Soja abgeraten. "Hormone sind nicht nur Dienstboten, die einfach Anweisungen ausführen wie Licht an, Licht aus. Hormone haben vielfältige Talente auf völlig verschiedenen Gebieten. Und ein sympathisches Hormon mit nützlichen Eigenschaften kann unversehens zum Killer werden", schreibt der Wissenschaftsautor Hans Ulrich Grimm. Sein neues Buch ("Die Kalorienlüge", Dr. Watson Books 2008) handelt von Stoffen, die wir bisher kaum als "Hormone" eingeordnet hätten: Es geht um Phtalate (Weichmacher) oder Bisphenol A, die in vielen Lebensmittelverpackungen oder in Kinderspielzeug vorkommen.

Diese so genannten Plastikhormone stehen im Verdacht, zur männlichen Unfruchtbarkeit beizutragen. Und sie können, so Grimm, unsere körpereigenen Botenstoffe so aus dem Konzept bringen, dass natürliche Essbremsen gestört, die Menschen gefräßig und dick werden.

Je mehr über Hormone geforscht wird, desto mehr erfahren wir über ihre Risiken. Gut, sich daran zu erinnern, dass unsere körpereigene Chemiefabrik vor allem ein Wunderwerk ist, das auf höchst intelligente Weise rund um die Uhr für uns sorgt. Und sehr dankbar darauf reagiert, wenn wir uns selbst etwas Gutes tun. In einer aktuellen Studie untersuchen Sportwissenschaftlerinnen um Prof. Petra Platen an der Ruhr Universität Bochum, wie sich die verschiedenen Phasen im Menstruationszyklus auf die Trainingserfolge von Sportlerinnen auswirken.

Eines Tages werden diese Hormonschwankungen vielleicht effektiver zur Leistungssteigerung genutzt, als es jedes chemische Doping könnte: mit maßgeschneiderten Trainingsplänen, die sich am individuellen Zyklus einer jeden Sportlerin orientieren und zum Beispiel die Tatsache berücksichtigen, dass ein Muskelaufbau in der ersten Zyklushälfte viel leichter möglich ist. Das Wachstumshormon Somatropin zum Beispiel, das Knochen und Muskeln stabil hält, gibt's schließlich nicht nur bei dubiosen Händlern im Internet. Es wird auch in unserem eigenen Gehirn ausgeschüttet, wenn wir uns sportlich betätigen: kostenlos, risikofrei und genau in der Dosis, die wir gerade brauchen.

BRIGITTE Heft 14/08 Text: Antje Kunstmann, Irene Stratenwerth Foto: Corbis

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