Anzeige

Hilfe, wir haben Läuse!

Es gibt sie wieder, und zwar in Massen: Kopfläuse. Nun schlagen Mediziner Alarm: Die Läuse sind gegen Abwehrmittel resistent geworden.

Neue Erkenntnisse der Uni Kiel: Läuse widerstehen Abwehrmitteln

Opfer der Parasiten - ein Erfahrungsbericht

Am Sonntagmorgen kurz nach acht erbarmungslose Gewissheit. Mit einer Lupe bewaffnet fällt die eilig herbeitelefonierte "erfahrene" Freundin das Urteil: "Ihr habt Läuse." Sie tummeln sich auf dem Kopf unseres Sohnes und tanzen munter auf meinem. Der Rest der Familie schläft noch, aber die spätere Inspektion wird ergeben: Auch der große Sohn meines Mannes und seine Freundin, beide erstmals gemeinsam bei uns zu Besuch, haben ungewollte Gesellschaft. Verschont bleibt nur der Papa, mangels Verfügungsmasse. Noch nie habe ich meinen Allerliebsten um seine Bruce-Willis-Frisur beneidet. Heute jedoch hätte ich meine quirlenden Locken sofort gegen seine paar Rest-Stoppeln eingetauscht.

Dass sich mit der Diagnose der schlimmste meiner Albträume vollzieht, war allen Familienmitgliedern klar. "Läuse", orakelte mein Mann schon, als wir sie noch gar nicht hatten, "kommen bei dir kurz nach Tschernobyl, aber vor der Klimakatastrophe." In der Tat ist es egal, ob die Krabbelviecher meinen Kopf fantasievoll von innen oder real von außen befallen, sie sind mein persönlicher Super-GAU. Nach Schätzungen befallen die Parasiten hierzulande jährlich mehr als eine Million Köpfe. Wenn der Tag X bei uns einträfe, würde ich sterben, hatte ich gedacht. Stattdessen handelte ich.

Wie in Trance spulte ich das Programm ab. Machte all die Dinge, die man halt so macht, kolportiert in unzähligen Vorbereitungsgesprächen (Gibt es ein ergiebigeres Thema unter Müttern, das die Partei der Mitwisser und die der noch unwissenden, aber schaurig Vorausahnenden in höchster Grusellust eint?). Schließlich sind Kopfläuse nach der banalen Erkältung die zweithäufigste übertragbare Kindererkrankung. Jedes zweite Kind trifft es nach Angaben des "Deutschen Ärzteblatts" bis zu seinem 18. Lebensjahr mindestens einmal.

Acht Jahre - so alt ist mein Filius - konnte ich mich dagegen wappnen. Monatelanger Kopflausbefall im Kindergarten, Läusealarm in der Grundschule. Bisweilen fühlten wir uns wie das kleine gallische Dorf, das tapfer den übermächtigen Römern trotzte. Aber wie sagen Experten: Die Laus ist Demokrat und ein Freund der Globalisierung. Mit anderen Worten: Irgendwann trifft es jeden.

Und so begann der Kampf. Betten abziehen, Klamotten bei 60 Grad waschen, jeden Winkel absaugen, infektiöse Gegenstände (also eigentlich alles) luftdicht in Müllsäcken oder der Tiefkühltruhe verstauen, nicht vergessen, die Autositze abzusaugen, und natürlich den Kopf behandeln. An vorderster Front kann es keine Gnade geben.

Normalerweise bin ich ein friedvoller, tierlieber Mensch. Ich würde auch für den World Wildlife Fund spenden und eines jener großen wilden Tiere, die weit weg sind, adoptieren. Was ich aber nicht ausstehen kann, sind diese millimeterkleinen Heimlichtuer, die sich ungebeten einnisten, auf unerhört fruchtbare Weise vermehren (150 Kinder in einem kurzen 30-tägigen Leben!) und von ihrem Hochsitz auf mich herabschauen und mich verlachen.

Wir rüsteten also auf: Ein Trockner, bisher aus Umweltgründen verpönt, musste her, schließlich lief die Waschmaschine nun ohne Unterlass. Auf dem Kopf selbst setzte ich ein biologisches Kampfmittel ein, das uns vorab aus der Fußball-Jugendmannschaft als einzig Wahres empfohlen worden war. Acht Stunden bleibt die Biowaffe auf dem Kopf: Psychologisch gesehen kann ich das nur begrüßen. Es entspricht absolut meiner Einstellung zu dem Thema: Nur eine mausetote Laus ist eine gute Laus. In diesem Fall wird sie erstickt, mitsamt ihrer kompletten Brut. Ja!

Das ganze Ausmaß dieses Massensterbens enthüllt dann das Auskämmen. Wer weiß denn schon, was einem seit Tagen - oder sind es etwa schon Wochen?! - auf dem Kopf rumturnt? Die grausame Erkenntnis: alle Stadien der Parasitenentwicklung versammelt, die gesamten Läuse-Buddenbrooks auf meinem Schädel. Sagte ich schon, dass meine stundenlange Wasch-Putz-Auskämm-Orgie die Männer völlig kaltließ? Der Jüngste war gar selig. Den hatte ich entgegen sonstiger pädagogischer Regeln vor dem Fernseher geparkt. Den Älteren interessierte hormongesteuert nur, wo denn die Kontaminationszone ende - im Bett, Kleiderschrank, Sofa, Teppich? Keine Frage: Ich persönlich wähnte die Laus natürlich überall.

Der tags darauf aufgesuchte Kinderarzt wetterte dann auch erst einmal auf die mütterliche Hysterie. Kopfläuse seien doch harmlos. Sie würden wirklich nur von Kopf zu Kopf übertragen und höchstens bis zu den Augenbrauen wandern. Und wenn sie das Haar doch einmal verließen, käme das für sie einem tragischen Unfall gleich, denn ohne Kopfhaut würden die Blutsauger vertrocknen, spätestens nach zwei Tagen. Eine Infektion über Gegenstände sei also nahezu ausgeschlossen. Groß angelegte Waschaktionen oder sechswöchige Müllsackdeponien? Völliger Quatsch!

Trotzdem: Vermutlich würde ich beim nächsten Mal schon aus Gründen der psychischen Hygiene wieder so vorgehen. Mein Verhalten mag übertrieben scheinen, aber Konsequenz ist immer noch die beste Waffe gegen das Parasitenheer. Wahrscheinlich werden wir genau deshalb auch nicht mehr Herr der Läuselage, vermuten manche Fachleute: Wir haben zu wenig Ausdauer, die Viecher bis auf die letzte Nisse auszurotten. So bleiben nach jeder Läusewelle in Kindergarten oder Schule ein paar versprengte Partisanen auf den Köpfen zurück und sind nach einer Zeit der stillen Fruchtbarkeit bereit für den nächsten Massenansturm.

Auf unseren Köpfen hatten wir die Schlacht zunächst gewonnen: Der Arzt stellte den Läuse-Freischein aus. Ich triumphierte, doch nach der animalischen folgte am Tag darauf die soziale Demütigung. Erst kam das Söhnchen weinend nach Hause: Keiner habe in der Schule mehr mit ihm spielen wollen, nachdem einer der Mitschüler unser Attest als "Fälschung" bezeichnet habe. Darüber hinaus sagte auch noch der vorgesehene Übernachtungsbesuch mit fadenscheiniger Begründung ab. Wir waren Aussätzige! Und auch die Großeltern monierten vorwurfsvoll: "Was macht ihr bloß? Bei uns gab's das nicht!"

Leider kann man nicht mal widersprechen. Eine Statistik gibt es nicht - meldepflichtig sind Kopfläuse erst seit 2001 -, aber kaum jemand, der heute mit seinem Nachwuchs betroffen ist, kennt Läuse aus der eigenen Kindheit. Allein in den letzten vier Jahren hat sich der Umsatz von Antiläusemitteln verdoppelt. Doch der Experte vom Gesundheitsamt widerspricht dem subjektiven Eindruck, es würde tatsächlich mehr werden mit den Läusen: "Die Generationen vor uns haben den Befall höchstens noch konsequenter verschwiegen als wir."

Verständlich: Auch ich musste mich überwinden, das Schweigen zu brechen und von uns potenziell angesteckte Opfer zu warnen. Ich tat dann besonders emotionslos, als hätte ich schon immer Sätze wie "Wir hatten Läuse, bitte sucht auch eure Köpfe ab" im Repertoire gehabt, um dann verharmlosend anzuschließen: "Es ist gar nicht so schlimm."

Doch die Attacke des ekligen Ungeziefers hat mich verändert. Mein heroischer Kampf gegen die Untiere hat aus mir eine radikale Fundamentalistin gemacht. Nur noch tiefste Verachtung empfinde ich für Öko- Mütter - sorry, ich kaufe auch Bio -, die vor lauter öko von vornherein gar nicht in den Krieg ziehen wollen: "Mit Läusen müssen wir halt leben." Und auch frühere Schönheitsideale habe ich inzwischen rigoros über Bord geworfen: Die von meinem Mann so geliebte Uschi-Obermaier-Mähne kam ab, pflegeleichtes Kurzhaar ist jetzt Trumpf. Wollte ich eigentlich immer schon mal ausprobieren. Den Läusen sei Dank.

Was tun gegen Läuse? Die wichtigsten Schritte

Die Haare nach der Diagnose sowie unbedingt ein zweites Mal acht bis zehn Tage später mit einem Antiläusemittel behandeln. Zur Wahl stehen Präparate mit einem insektizidhaltigen Wirkstoff, welche die Plagegeister vergiften, aber aufgrund ihrer Toxizität und des Risikos für Resistenzen nicht unumstritten sind. Oder ein Mittel mit Silikonöl, das die Atemöffnungen der Tiere verklebt und als nebenwirkungsfrei gilt. Testsieger bei Stiftung Warentest waren kürzlich zwei insektizidhaltige Präparate.

Sorgfältiges Auskämmen der Haare mit einem engzahnigen Nissenkamm an folgenden Tagen: nach der Behandlung, am 5. sowie am 13. bis 17. Tag. Dieses Schema empfiehlt das Robert-Koch-Institut, um den Lebenszyklus von Nissen, Larven und Läusen zu unterbrechen. Am besten dabei eine Pflegespülung auftragen, das erleichtert das Kämmen und lähmt die Tiere.

Kämme und Bürsten eine Minute in heißer Seifenlauge reinigen.

Kleidung und Bettwäsche einmal bei 60 Grad waschen. Kuscheltiere, Kissen etc. für drei Tage bei Raumtemperatur in einen Plastiksack verpacken.

Text: Cornelia Heim Foto: Getty Images ein Artikel aus der BRIGITTE 22/08

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel