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Grauer Star Augenerkrankung: Mehr Durchblick bitte!

Grauer Star: Auge mit Grauem Star
© Alessandro Grandini / Adobe Stock
Grauen Star haben viele Menschen im Alter, aber mit Mitte 50? Christine Hohwieler fühlte sich definitiv zu jung für trübe Aussichten.

Eines Tages im Sommer fielen mir die Vögel auf. Ich stand im Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster. Sie flogen dicht beieinander, immer paarweise, in perfekter Synchronizität. Vielleicht waren sie verliebt? Oder vertrieben Rivalen? Ich bin ornithologisch nicht bewandert, aber dass alle Vögel in Zweierformation unterwegs waren, erschien mir unglaubwürdig. Ich dachte: ach so, optische Täuschung, es liegt an der Doppelverglasung! Danach verging noch ein gutes halbes Jahr, in dem ich trotz Brille keine Straßenschilder lesen konnte. Als ich dann doch mal zum Optiker ging, brach er den Sehtest ab und schickte mich zum Augenarzt. Die Diagnose: grauer Star. Beide Augen, muss operiert werden.

Ich habe einen eher rustikalen Umgang mit meiner Gesundheit. Das ist die eine Erklärung für so viel Ignoranz. Die andere ist mein Alter: Es gibt nicht mehr viel, wofür ich mich mit 57 zu jung fühle, aber eine Katarakt – der Fachbegriff für die Augenkrankheit Grauer Star, bei der die Linse eintrübt – hätte ich nie in Betracht gezogen. Laut Deutschem Ärzteblatt sind über 90 Prozent der Menschen ab 80 Jahren davon betroffen, im Alter zwischen 55 bis 64 nicht mal vier Prozent. Warum also ich? "Die Ursache für eine Linsentrübung kann in solchen Fällen ein Trauma sein, ein Schlag aufs Auge beispielsweise. Auch eine Bestrahlung kann grauen Star bedingen, ebenso einige Stoffwechselerkrankungen. Relativ häufig sind Medikamentennebenwirkungen, etwa von Kortison", sagt Dr. Lars Wagenfeld, Facharzt und mein Operateur an der Augentagesklinik am Rothenbaumin Hamburg. Ich habe wegen einer chronischen Erkrankung lange Kortison genommen, das erklärt’s.

Eine OP ist die einzige Lösung

Die Katarakt-OP, bei der die körpereigene Linse entfernt und durch eine künstliche ersetzt wird, gehört zu den am häufigsten durchgeführten Operationen. In Deutschland sind es 600 000 bis 800 000 Eingriffe jährlich. Dr. Wagenfeld sagt, er selbst komme auf 1500 bis 2000 im Jahr. Tatsächlich hat jeder, dem ich meinen Augenkummer klage, Freunde oder Verwandte, die die Sache hinter sich haben und wieder super sehen. Alle lassen es machen, weil keine OP keine Option ist: "Jede Form der Linsentrübung ist nur operativ behandelbar", sagt Dr. Wagenfeld. "Es gibt kein Medikament, das sie verschwinden lassen könnte."

Am Morgen meiner Voruntersuchung ist auf den Gängen der Augenklinik ähnlich viel los wie bei der Passbehörde vor den Sommerferien, nur ist der Altersdurchschnitt höher. Ich werde von einem Optiker in Empfang genommen, der meine Sehkraft überprüft und mich bei der Wahl der Intraokularlinsen berät – der beiden kleinen Acryl-Dinger, die im Abstand von ein paar Wochen erst in mein linkes, dann ins rechte Auge versenkt werden sollen. Im Internet hatte ich schon Stunden mit der Recherche verbracht und wusste immer noch nicht, was ich will. Lieber Monofokallinsen, die mich scharf in die Ferne gucken lassen, weil ihr Brennpunkt auf diese Sehdistanz eingestellt ist? Das zahlt die Kasse, aber dann bräuchte ich für die Nahsicht eine Brille. Umgekehrt ginge auch: nah scharf, fern Brille. Es gäbe aber auch Trifokallinsen, die eine gute Sicht in Nähe und Ferne und dem Zwischenbereich ermöglichen. Wegen der intensiveren Diagnostik und dem Preis für die Linsen wäre diese Variante aber mit einer Zuzahlung ab 1000 Euro verbunden. Außerdem können Nebenwirkungen auftreten – ein Halo-Effekt etwa, bei dem man eine Art Heiligenschein um Lichtquellen sieht. Erfreulicherweise hat der nette Optiker einen weiteren Vorschlag, nämlich Monovision. Dabei wird ein Auge für die Ferne eingestellt und das andere für den mittleren Bereich. Wenn der Unterschied in der Sehstärke nicht viel größer ist als eine Dioptrie, ignoriert das Gehirn den Seheindruck des Auges, das gerade nicht genutzt wird, und man sieht ohne Brille auf beide Distanzen scharf. Klingt super, das will ich!

Kein Zurück mehr

Je näher die OP rückt, desto gruseliger finde ich die Vorstellung, dass mir jemand im Auge rumfuhrwerkt. Nachts liege ich wach und hätte lieber eine Vollnarkose. Morgens denke ich: Anstellerei, ambulant ist viel weniger Aufwand.

Tatsächlich geht es unglaublich fix. Um neun komme ich in den OP, um elf sitze ich zu Hause auf dem Sofa, links ein Salbenverband, mit rechts lese ich Augen-tropfen-Beipackzettel. Ich weiß, dass ich im OP-Vorraum mit der Anästhesistin geplaudert habe, während sie mir eine Braunüle in den Handrücken legte für ein bisschen Propofol zum Wegdämmern – wegen der Betäubungsspritze neben dem Auge, brrr! Und dass Dr. Wagenfeld mir im OP sagte, es würde jetzt losgehen. Von den kleinen Schnitten in der Hornhaut und der Hohlnadel, mit der der Linsenkern umspült und abgesaugt wurde, habe ich ebenso wenig mitgekriegt wie vom Einsetzen der neuen Linse in den leeren Linsenkapselsack. Da war Licht und Flackern und als Nächstes die Krankenschwester, die sagte: "Ich hol Ihnen mal einen Kaffee, Ihr Blutdruck ist ein bisschen niedrig." Als die Tasse leer war, hat mich eine Freundin eingesammelt und nach Hause gefahren.

Ist alles gut gegangen?

Nach dem Aufwachen am nächsten Morgen halte ich mir abwechselnd die Augen zu und bin irritiert. Mit rechts, dem unoperierten Auge, hat meine Umgebung den mir vertrauten, freundlichen, ja: güldenen Ton. Mit links wirkt alles kalt, klar und zu blau.

Beim Kontrolltermin in der Klinik erklärt mir Dr. Wagenfeld, dass es nicht daran liege, dass man mir eine komische Linse eingesetzt hätte – mein Verdacht –, sondern dass "das Güldene" die gelbstichige Linsentrübung sei. Und dass die Welt so nicht aussehe – mit gesunden Augen.

Der nächste Schock kommt drei Wochen später. An einem Freitagabend bemerke ich plötzlich Blitze im Augenwinkel. Und schwarze Pünktchen, die durch mein Blickfeld wabern. Die Ursache ist – das erfahre ich sonntag-morgens in der Augenambulanz der Uniklinik – eine Abhebung des Glaskörpers, die laut der Ärztin durch eine Katarakt-OP verursacht werden kann. Wegen der sogenannten Mouches volantes (französisch für fliegende Mücken, denn so ähnlich sehen die Punkte aus), müsse ich mir keine Sorgen machen, sofern nicht zusätzlich neue Schlieren auftreten. Es sind Kollagenfasern, die vor allem dann irritieren, wenn sie sich direkt in der Sichtachse ballen. Manchmal sinken die "Mücken" mit der Zeit ab. Und man gewöhnt sich dran – das Gehirn blendet die Pünktchen irgendwann aus.

Bei Blitzen hingegen ist ein schneller Augenarztbesuch geboten. Während der Ablösung des Glaskörpers können Zugkräfte entstehen, die zu Rissen in der Netzhaut führen. Die wiederum können eine Ablösung der Netzhaut und dann eventuell auch eine Erblindung zur Folge haben, wenn sie nicht zügig gelasert werden. Meine Netzhaut ist zum Glück in Ordnung. Auch nach der zweiten OP, als das Gleiche wieder passiert.

Inzwischen sind ein paar Monate vergangen. Die Pünktchen, die ich noch sehe, stören nicht weiter, und ich freue mich über die leuchtend klare, gut konturierte Welt. Nur die Vögel sind einsamer geworden. Sie fliegen wieder allein.

Nach der OP hat Christine Hohwieler ihre Liebe für E-Reader entdeckt: im Bett mit großen Buchstaben – ein ungeahntes Lesevergnügen!

Brigitte

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