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Ausschabung nach Fehlgeburt: Muss das sein?

Auf den Schock einer Fehlgeburt folgt in Deutschland für viele Frauen ein zweiter: die Ausschabung. Doch die Methode hat Risiken. In anderen Ländern entscheiden Frauen selbst, ob sie eine Ausschabung wollen.
Ausschabung nach Fehlgeburt: Muss das sein?
© mapoli-photo/Fotolia.com

Endlich hatte es geklappt: Susanne Stiegler (Name geändert) war schwanger! Doch in der 9. Woche fing die 39-Jährige plötzlich an zu bluten. Schockiert rief sie in der Klinik an. Sie müsse sofort kommen, sagte man ihr. Aus der Angst wird schnell traurige Gewissheit: Der Embryo ist abgestorben. Nach einer kurzen Untersuchung in der Klinik teilt ihr die Ärztin in knappen Worten mit, was jetzt geschehen werde: eine Ausschabung. Doch das will Susanne auf keinen Fall. "Ich möchte lieber warten, ob es nicht von selbst geht", erklärt sie mehrmals, auch gegenüber der Oberärztin, die dazugeholt wird.

Ich möchte lieber warten, ob es nicht von selbst geht.

Doch die Medizinerinnen reden auf sie ein: Wenn sie sich nicht sofort operieren lasse, könne sie "Wahnsinns-Infektionen" bekommen oder sogar verbluten. Außerdem müsse man das Gewebe aus ihrem Bauch untersuchen, es könne ja bösartig sein. Susanne bekommt es mit der Angst. Am Ende willigt sie widerstrebend ein. In den Wochen danach fühlt sie sich elend, überrumpelt - und wütend. Sie beginnt zu recherchieren, Studien und Bücher zu durchforsten: War wirklich so dringend eine Ausschabung, auch Curretage genannt, nötig?

Was sie liest, schürt nur ihre Empörung. Denn in den meisten Fällen ist eine Operation nach einer frühen Fehlgeburt gar nicht zwingend notwendig. Die Leitlinie der angesehenen britischen Royal Society empfiehlt den Eingriff nur bei schweren Blutungen, Infektionen oder instabilem Kreislauf. Oder wenn sich eine seltene Fehlbildung der Plazenta, eine Blasenmole, gebildet hat, die in sehr seltenen Fällen zu einem Tumor entarten kann. All diese Komplikationen betreffen etwa zehn Prozent der Frauen, die eine frühe Fehlgeburt erleiden - Susanne jedoch nicht. Ihr wird klar, dass es in anderen Ländern, wie etwa in Frankreich, üblicher ist, einfach abzuwarten, ob der Körper von selbst die Fehlgeburt vollenden kann. Und ihre Wut und Sorge wachsen, denn eine Ausschabung kann sogar negative Folgen für eine spätere Schwangerschaft haben. "Ich bin regelrecht betrogen worden", sagt sie.

Die gelernte Juristin entschließt sich zu klagen. Ein erstes Gutachten jedoch weist ihre Kritik zurück: Sie sei nach deutschem Standard behandelt worden, schreibt der Ärztliche Direktor einer bayerischen Klinik; der Richter legt ihr nahe, die Klage zurückzuziehen. Doch sie gibt nicht auf, recherchiert weitere Studien und Belege. Inzwischen beginnt auch das Gericht umzudenken und hat einen ersten Vergleichsvorschlag gemacht, nach dem die Klägerin ein Schmerzensgeld bekäme.

Natürlich weiß Susanne: Geld lindert ihren Schmerz nicht. Aber sie will mit dem Prozess dazu beitragen, dass anderen Frauen der Albtraum erspart bleibt: zur Trauer über den Verlust ihres Kindes noch eine Operation zu durchleiden, die unnötig war und ihr aufgezwungen wurde.

Was bei einer Fehlgeburt passiert

Etwa jede fünfte ärztlich festgestellte Schwangerschaft endet frühzeitig, meist in den ersten zwölf Wochen: Oft handelt es sich um eine natürliche Abwehrreaktion, wenn sich ein Embryo nicht "richtig" entwickelt oder abstirbt. Allerdings muss auch bei einer "natürlichen" Fehlgeburt eine Ärztin oder ein Arzt zu Rate gezogen werden, um gefährliche Situationen auszuschließen. Bei Fieber, starken Schmerzen, sehr heftigen Blutungen oder einem insgesamt instabilen Gesundheitszustand ist ärztliches Eingreifen notwendig. Eine Fehlgeburt reduziert die Chancen auf eine erfolgreiche weitere Schwangerschaft nicht; diese ist bereits nach der nächsten Regelblutung möglich. Häufig empfiehlt es sich, zur Verarbeitung des Verlustes psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ellen Grünberg vom Deutschen Hebammenverband rät, sich eine Hebamme zu suchen, die durch die Zeit des Abschieds begleitet. Welche der folgenden Methoden eingesetzt wird, können in den meisten Fällen die Frauen selbst entscheiden.

1. Abwarten

Manchen ist es lieber, wenn der traurige Prozess möglichst natürlich abläuft und sie sich von der Schwangerschaft allmählich verabschieden können. Sie können dabei durchaus erst einmal auf die Natur vertrauen: Studien aus den USA und Schweden zeigen, dass bei 80 Prozent der Frauen, die nach einer beginnenden Fehlgeburt einfach abwarten, innerhalb von drei Tagen der Körper selbst das Gewebe vollständig abstößt. Bei manchen dauerte der Prozess jedoch mehrere Wochen. Er gelingt eher, wenn die Blutung bereits begonnen hat, als bei einer "verhaltenen Fehlgeburt", wenn das Herz des Embryos zwar nicht mehr schlägt, der Körper der Frau darauf jedoch noch nicht reagiert hat.

Risiken: Durchschnittlich eine von zehn Frauen, die sich gegen den Eingriff entscheidet, muss am Ende doch operiert, also curettiert werden. Außerdem bluten Frauen, die abwarten, im Schnitt zwei Tage länger und gelegentlich stärker als nach einer Curettage, ohne dass das aber in der Regel gefährlich für sie wäre.

2. Medikamente

Arzneimittel mit Wirkstoffen wie Prostaglandine sind eine sichere Alternative zur OP; sie lösen Kontraktionen der Gebärmutter aus oder lockern den Gebärmutterhals Gebärmutterhals. Und sie machen es zwei- bis dreimal wahrscheinlicher, dass der Embryo komplett abgeht, als wenn man nur abwartet.

Nebenwirkungen: Müdigkeit, Übelkeit, Durchfall treten bei Medikamenten aus der Gruppe der Prostaglandine häufig auf.

3. Ausschabung

In Deutschland am häufigsten eingesetzt: Rund 85 Prozent der AOK-versicherten Frauen, die eine Fehlgeburt in den ersten Schwangerschaftswochen erlitten, wurden 2010 auf diese Weise behandelt. Manche entscheiden sich bewusst dafür, um nicht darauf warten zu müssen, dass Blutungen irgendwann von selbst einsetzen - das kann bis zu zehn Tage dauern. Oft wird den Frauen die Alternative "Abwarten" aber auch einfach nicht angeboten.

Der Eingriff: Meist wird der Embryo und das verbliebene Gewebe mit einem Röhrchen abgesaugt, manchmal aber auch mit einem schlingenförmigen Instrument ausgeschabt. Als schonender gilt das Absaugen. Eine örtliche Betäubung ist möglich, häufiger ist eine Vollnarkose. Der Eingriff an sich dauert durchschnittlich zehn Minuten, anschließend bleibt die Frau zur Beobachtung in Praxis oder Klinik - mindestens zwei Stunden lang.

Risiken: Die Komplikationsrate liegt bei etwa zwei Prozent. Sie ist umso höher, je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten und vor allem je unerfahrener der Operateur ist. Folgen des Eingriffes können Infektionen, schwere Blutungen und Risse im Gebärmutterhals sein. Später können Verwachsungen und Narben in der Gebärmutterwand entstehen - das so genannte Asherman-Syndrom. Die Folgen reichen von schmerzhaften Regelblutungen bis zur Unfruchtbarkeit. Dr. Andreas Nugent, Gynäkologe an der Tagesklinik Altona in Hamburg, schätzt, dass jede zehnte Frau nach einer Curettage betroffen ist. Wird ein zweiter Eingriff nötig, weil der erste nicht erfolgreich war, verdoppelt sich das Risiko.

Text: Natalie Rösner Ein Artikel aus BRIGITTE Heft 13/2012

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