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Depression - Bilder einer Krankheit

Depression - Bilder einer Krankheit
© Elge Kenneweg / Felix Nussbaumer
Eine Depression lässt sich kaum in Worte fassen, das weiß Felix Nussbaumer aus eigener Erfahrung. Zusammen mit seiner Frau kreiert er Bilder, um sich der Krankheit zu nähern.

Frau Kenneweg, Herr Nussbaumer, was hat Sie dazu bewogen, das Thema Depression fotografisch aufzuarbeiten?

Felix Nussbaumer (FN): Unser Ziel war es, das Thema Nichtbetroffenen über die Bildsprache näher zu bringen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Sprache dazu wenig geeignet ist: Es bleibt ein Verständnisgraben zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen. Mit den Bildern haben wir versucht, diese Kluft zu überbrücken.

Elge Kenneweg (EK): Ich arbeite als freie Fotografin und auch mein Mann hat eine fotografische Ausbildung. Somit war es naheliegend, sich dem Thema fotografisch zu nähern.

Basieren alle Motive auf persönlichen Erfahrungen?

FN: Ja, allesamt. Sie sollen das Innenleben eines Depressiven zeigen, symbolisch und real.

EK: Dabei ist klar, dass die Serie nicht vollständig ist und nur Teilaspekte abbildet. Es ist eine sehr individuelle Wahrnehmung und somit nicht allgemeingültig.

In welchem Zeitraum sind die Bilder entstanden? Haben Sie beide fotografiert?

FN: Die Bilder entstanden im Laufe des vergangenen Jahres. Da ich meist auf den Bildern zu sehen bin, hat - bis auf die Dame in Schwarz und den Aschenbecher - meine Frau fotografiert. Den Prozess von der Idee zum Bild haben wir gemeinsam gestaltet, der Druck auf den Auslöser war immer der Abschluss eines intensiven Gedankenaustauschs.

EK: Der wichtigste Teil war das Entwickeln der Bildideen, das war ein langer Prozess. Wir haben beide Motivideen eingebracht, wobei ich mich als Nichtbetroffene mit einer Außensicht immer bei Felix vergewissern musste, ob diese Ideen auch zutreffend sind und sich echt anfühlen.

Die Bilder des Fotoprojekts "(ICD-10 F33.2): Eine Depression"

Auf einem Ihrer Bilder ist ein weiß gekleideter Mann zu sehen, gut versteckt in einer Schneelandschaft. Auch eine Depression entwickelt sich eher im Verborgenen. Herr Nussbaumer, wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie an einer Depression leiden?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Noch bevor ich krankgeschrieben wurde, konsumierte ich in geringen Dosen Antidepressiva. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Ich überschätzte mich jedoch, dachte, ich würde die Krise irgendwie überstehen. Erst als ich nach etwa einem Jahr von meiner Ärztin aufgrund eines Zusammenbruchs aus der Arbeitswelt herausgenommen wurde, hatte sich der Schalter zur Depression definitiv umgelegt. Das Bild soll auch die Heimtücke der Depression symbolisieren, ihr plötzliches Auftauchen. Ursprünglich deuteten meine Symptome auf einen Burnout hin - also auf eine Erschöpfungsdepression. In diesem Fall können manche Patienten durch therapeutische Maßnahmen aufgefangen und in die Arbeitswelt reintegriert werden. Wenn aber weitere Faktoren hinzukommen, wie bei mir der familiäre Hindergrund in meiner Kindheit und darin erlebte Traumata, ist dies nicht mehr so einfach. Ich glaube, dass Depressionen oft durch mehrere Faktoren geprägt sind.

Frau Kenneweg, wie haben Sie die Veränderung Ihres Mannes wahrgenommen?

Am Anfang war es einfach eine permanent spürbare Anspannung. Felix stand ständig unter Druck, hauptsächlich aufgrund der Arbeit. Er konnte nicht mal mehr im Urlaub abschalten. Es dauerte wahnsinnig lange, bis er runterkam - und spätestens in der zweiten Urlaubshälfte drehte sich bereits alles wieder um die Arbeit, verbunden mit Ängsten und Sorgen. Ihm ging die Leichtigkeit verloren. Ich habe die Zeichen trotzdem nicht erkannt, dachte, das sei nur eine Phase. Außerdem plante er, sich beruflich zu verändern. Ich hoffte, wenn er erstmal eine andere Stelle hat, wird alles besser. Soweit ist es dann aber gar nicht mehr gekommen.

In Ihren Anmerkungen zu dem Bild vom weißen Mann schreiben Sie: "An Flucht ist nicht mehr zu denken."

Damit spreche ich die Flucht vor einer Depression an. So wie ich es davor getan hatte: Selbstüberschätzung und zu wenig Ernstnehmen der existierenden Symptome (kein Empfinden von Freude, keine Erholung, schlechte Schlafqualität, übermächtige Angstzustände, soziale Isolation, ...). Während der Depression habe ich hin und wieder an Flucht gedacht, an den finalen Abgang. Zum Glück habe ich die suizidalen Zustände durchlebt, ohne zu Handeln.

Das Motiv mit der Dame in Schwarz ist inspiriert von einem Zitat des Psychiaters C.G. Jung. Haben Sie professionelle Hilfe in Anspruch genommen?

FN: Ja, medizinischer wie auch psychotherapeutischer Natur. Ich denke, der Austausch mit Fachpersonal hat es mir ermöglicht, die Depression überhaupt als solche anzunehmen und die Tatsache, dass sie nun zu mir gehört, zu akzeptieren. Zusätzlich half mir die Psychotherapie, schwere Krisen zu überstehen. Die Antidepressiva haben allenfalls dazu beitragen, dass ich heute stabiler bin.

EK: Nach einiger Zeit habe ich ebenfalls therapeutische Hilfe in Anspruch genommen, weil ich gemerkt habe, dass mir die Kraft ausgeht und ich jemanden brauche, mit dem ich über meine Situation als Angehörige sprechen kann. Das war sehr hilfreich, allein um Druck und Stress abzubauen. Inzwischen gehe ich auch in eine Selbsthilfegruppe für Angehörige.

Der Mann in der Felswand deutet das Gefühl von Überforderung und Ausweglosigkeit an, das Menschen mit Depressionen oft zur Verzweiflung treibt. Herr Nussbaumer, in welchen Situationen überkamen Sie solche Gefühle? War es für Sie überhaupt noch möglich, zu arbeiten?

Nein, Arbeiten war nicht mehr möglich. Selbst das eigene Kind morgens zur Kita zu bringen, wurde zur unüberwindlichen Herausforderung. Ganz zu Schweigen von den Anforderungen, die die Arbeitswelt weiterhin an mich stellen würde. Die Widerstandsfähigkeit gegen alltäglichen und beruflichen Stress sowie das Selbstvertrauen sind am Boden. Die Situation hatte sich derart verschärft, dass ich nur noch den Weg zur Ärztin als Ausweg sah. Hätte sie nicht gehandelt, würde ich heute sehr wahrscheinlich nicht mehr leben.

Sie vergleichen Depressionen mit Waterboarding, einer "weißen Foltermethode", die keine körperlichen Spuren hinterlässt. Auch Depressiven sieht man ihre Probleme oft nicht an. Wie lange haben Sie Ihre Probleme mit sich allein ausgemacht?

Glücklicherweise lebe ich in einem sozialen Umfeld, welches das Ausleben von Gefühlen aushält und mich so auffangen kann. Mein privates Umfeld war stets auf dem Laufenden. Trotzdem hat niemand die eindeutigen Zeichen erkannt - ich am allerwenigsten. In der Kommunikation nach Außen ist die Sache komplizierter. Ich wurde indirekt dazu aufgefordert, mich "zusammenzureißen" und "die Depression nicht vor mir herzutragen". Eine Depression ist eben kein Beinbruch. Dies macht es Betroffenen so schwer, Fachpersonal und Behörden zu überzeugen, aber auch das private Umfeld. Das Waterboarding symbolisiert auch das brutale Gefühl der Atemlosigkeit, des Ertrinkens sowie der verzweifelten Hilflosigkeit. Emotionale Zustände der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins sind mir als Depressivem geläufig.

Wie hat Ihr soziales Umfeld auf Ihre Erkrankung reagiert?

Betroffen und gleichzeitig unterstützend und positiv - in der Regel. Trotzdem bleibt ein "Graben der Erkenntnis" auch innerhalb der Partnerschaft, weil es so schwierig ist, Außenstehenden das Innenleben eines Betroffenen begreifbar zu machen. Ich selber konnte es mir früher ebenso wenig vorstellen, was eine solche Erkrankung bedeutet und wie gravierend die Folgen sein können.

Mit dem überfüllten Aschenbecher sprechen Sie die Drogen an, mit denen sich viele Betroffene zu betäuben versuchen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Sucht ist bei mir in der Depression schon ein Thema: Früher Gelegenheitsraucher, rauche ich mittlerweile regelmäßig und oft zu viel. Rauchen kann meine Seele beruhigen und Stress abbauen. Viele Betroffene geraten durch einen erhöhten Alkoholkonsum an die Grenze zur Sucht oder überschreiten diese sogar. Alkohol hat kurzfristig eine stark stimmungsaufhellende Wirkung.

Das zerknüllte Familienbild verweist auf das Leid und die Last, die eine Depression auch für Angehörige bedeutet. Wie hat sich Ihre Erkrankung auf das Familienleben ausgewirkt?

Für meine Familie bedeutet die Depression eine enorme Herausforderung. Gerade zu Beginn war es für Elge sehr schwierig, zu trennen, was bin "ich" und was ist die Depression. Alltägliche Verrichtungen wurden für mich zu unüberbrückbaren Hindernissen, von einem geregelten Tagesablauf konnte keine Rede sein, geschweige denn von einer angemessenen Kinderbetreuung. Dies als Partner zu akzeptieren, obwohl man dem Betroffenen von außen nichts ansieht, ist schwierig.

EK: Ich kann nur bestätigen, dass ein Verständnisgraben bleibt. Auch nach all unseren intensiven Gesprächen und dem Anfertigen dieser Bilderserie bleibt bei mir eine Lücke des Verstehens. Man kann sich annähern, aber ich denke, dass man diese Krankheit nicht in Gänze begreifen und nachempfinden kann, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Das kann etwas Trennendes haben, was in einer Paarbeziehung und in der Familie Konfliktpotenzial birgt. Und natürlich fragen wir uns, welche Auswirkungen diese Erkrankung auf unseren Sohn haben wird, auf seine Beziehung zum Vater.

Das Bild vom Mann im Meer weckt die Assoziationen Aufbruch und Vorankommen. Herr Nussbaumer, welchen Weg sind Sie mit Ihrer Krankheit gegangen?

Aufbruch und Vorankommen sollen das Bild tatsächlich zeigen. Aber Aufbruch wohin? Der Mann bewegt sich zielstrebig ins Meer hinein, als wäre dort sein Ziel: Im Nichts, eventuell im Tod. Es ist bekannt, dass etwa 15 Prozent aller schwer Depressiven irgendwann einen Suizidversuch begehen, was bei mir zum Glück nicht der Fall war. Das Bild sollte außerdem zeigen, dass man auch bei starken Symptomen noch versucht, zu funktionieren und weiterzumachen, selbst wenn einem das Wasser schon bis zum Hals steht. Momentan bin ich nach wie vor dabei, mich soweit zu stabilisieren, dass ein geregelter Alltag möglich ist.

Inwiefern hat Ihnen das Fotoprojekt dabei geholfen, Ihre Depression zu verarbeiten?

Das Projekt hat dazu geführt, dass ich und wir uns in der Partnerschaft intensiv mit dem Thema auseinandersetzen mussten. Das hat das gegenseitige Verständnis wesentlich verbessert. Es hat geholfen, die Krankheit zu akzeptieren.

Was ist seit der Veröffentlichung Ihrer Bilder passiert?

Die Reaktion der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien war teilweise überwältigend, selten negativ. Allerdings bleibt das Gefühl zurück, dass sich vor allem Betroffene durch die Bilder angesprochen und verstanden fühlen. Ob wir auch Nichtbetroffene erreichen konnten, wissen wir nicht.

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