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Fasten bei Krebs Chemotherapie und Nahrungsverzicht: Ist das sinnvoll?

Fasten bei Krebs: Chemotherapie
© satyrenko / Adobe Stock
Nahrungsverzicht während der Chemotherapie: Das hört sich vollkommen verrückt an, wird derzeit aber intensiv untersucht. Es zeichnen sich erste, sehr positive Effekte ab.

Jahrzehntelang war es ein No-Go: Krebspatient:innen sollten auf keinen Fall fasten, um sich nicht zusätzlich zu schwächen. Doch neuere Studienergebnisse könnten diese Überzeugung in Teilen ins Wanken bringen. Wir sprachen mit der Ärztin Daniela Koppold, Gründungsmitglied und Dozentin der Akademie für Integratives Fasten, über den Effekt von Nahrungsverzicht rund um die Chemotherapie auf deren Wirkung, wie es zu der neuen Sichtweise kam und warum es keine Option ist, auf eigene Faust loszufasten. 

Frau Dr. Koppold, wie kamen Forschende wie Sie darauf, die Effekte des Fastens während einer Chemotherapie zu untersuchen?

Zunächst mal ist die Idee an sich nicht neu. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden eigens Fastenkliniken eingerichtet, in welchen unter anderem Krebserkrankte behandelt wurden. Allerdings waren die medikamentösen Therapien damals bei Weitem nicht so effektiv wie heute, Patient:innen hatten schlechtere Prognosen und häufig im Krankheitsverlauf ein sehr geringes Körpergewicht. Das Sterberisiko stieg durch geringe Nahrungsaufnahme. Darum galt Fasten als tabu, man hat sich erst mal ganz vom Thema verabschiedet und sich auf die Weiterentwicklung der Diagnostik und der klinischen Therapien konzentriert. Da gab es glücklicherweise enorme Fortschritte.

Heute sehen wir die Betroffenen in sehr viel früheren Krankheitsstadien, durch Früherkennungsprogramme und bildgebende Methoden schauen wir genauer hin und können früh mit effektiven Therapien beginnen. Gewichtsverlust ist in der Regel erst im Endstadium einer Krebserkrankung ein Problem, wenn der Tumor viele Ressourcen konsumiert. Bei häufigen Tumorerkrankungen wie Brustkrebs aber sind Patientinnen oft sogar eher übergewichtig zum Zeitpunkt der Diagnosestellung.

Wie kam die begleitende Fastentherapie wieder ins Bewusstsein?

Vor rund 15 Jahren stellten Forschende in den USA fest, dass das Tumorwachstum in vielen Fällen – nicht in allen – mit Stoffwechselprozessen und vor allem der Ausschüttung des Hormons Insulin zusammenhängt. Dieses Hormon wird ja produziert, um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten. Aber es fördert auch die Produktion von Wachstumshormonen, etwa von IGF-1. Im Kinder- und Jugendalter ist das wichtig für die Entwicklung. In späteren Jahren kann es bei einem Überschuss aber das Tumorwachstum fördern. In unserer in großen Teilen überernährten Gesellschaft liegt bei vielen Menschen das IGF-1 zu hoch.

Also ist die Idee des Fastens: wenig essen, wenig Insulinausschüttung – und damit auch niedrigere Wachstumshormonspiegel?

Prinzipiell ja. Im Tierversuch stellte man fest, dass Mäuse, die während einer Chemotherapie fasteten, nicht nur deutlich niedrigere Werte des IGF-1 aufwiesen. Der Tumor konnte auch deutlich schneller und besser bekämpft werden. Die Wirkung der Chemotherapie verstärkte sich, während Nebenwirkungen abnahmen. Offenbar veränderten sich die Stoffwechselprozesse in den gesunden Zellen im nährstoffarmen Zeitraum so, dass interne Recyclingprogramme angestoßen wurden. Während dieser Reparaturphasen treten gesunde Zellen aber nicht so sehr in Wechselwirkung mit der Außenwelt, sodass sie weniger Schaden durch die Chemotherapie nehmen. Tumorzellen hingegen sind meist nicht besonders anpassungsfähig, sondern nehmen während der Fastenperiode umso mehr Chemotherapeutika auf. 

Wirklich beeindruckend. Aber Tierversuche lassen sich nicht direkt auf den Menschen übertragen. 

Das ist richtig. Es gab große Bedenken, Studien am Menschen zu starten. Die Datenerhebung in diesem Bereich ist grundsätzlich schwierig. Zudem eignen sich nicht alle Chemotherapie-Schemata dazu, begleitend zu fasten, etwa wenn die Medikamente mehrere Wochen am Stück verabreicht werden müssen, wie es bei Hirntumoren häufig der Fall ist. Das würde zu einem kritischen Gewichtsverlust führen. Tatsächlich fanden sich aber genügend mutige an Krebs erkrankte Menschen, deren Behandlungsschema und körperliche Verfassung geeignet war, und die entschieden, diese unterstützende Maßnahme während ihrer Chemotherapie auszuprobieren. Sie erhielten an einem oder mehreren Tagen die Chemotherapie und hatten danach eine Behandlungspause von mehreren Wochen. Während der Chemo erklärten sie sich bereit, das unterstützende Fasten unter fachlicher Begleitung zu testen. 

War da nicht ein großes Risiko, dass man Patient:innen damit schadet? 

Zunächst mal musste natürlich nach eingehenden Untersuchungen und Gesprächen festgestellt werden, ob der oder die Betroffene überhaupt die entsprechende Konstitution zum Fasten mitbringt, also ein ausreichendes Körpergewicht und stabile Herz-Kreislauf-Bedingungen. Wer bereits in der Phase des Muskelabbaus ist, darf keinesfalls fasten. Für Interessierte in stabilem Zustand wurden passende Fastenprogramme rund um den Zeitpunkt der Chemotherapie entwickelt. 

Wie eine Krebserkrankung verläuft, hängt von vielen Faktoren ab. Welche Effekte lassen sich konkret auf das Fasten zurückführen?

Eben die biochemischen Marker wie niedrigere Insulin- und IGF-1-Spiegel und das verringerte Ausmaß toxischer Zellschäden bei gesunden Zellen. Darüber hinaus nannten in unserer eigenen Pilotstudie, in der wir 34 Brustkrebspatientinnen untersuchten, die Teilnehmerinnen verringerte Übelkeit, weniger Müdigkeit und Erschöpfung als positive Begleiterscheinungen des Fastens. Die Wirkung auf psychologischer Ebene darf man auch nicht unterschätzen. Der Gedanke "Ich kann durch das Fasten selbst etwas beitragen, bin nicht hilflos ausgeliefert" macht für viele einen enormen Unterschied aus und vermittelt in dieser gefahrvollen, beängstigenden Lebenssituation zumindest in gewissem Maß ein Gefühl von Kontrolle.

Es waren nur 34 Patientinnen – könnten die Effekte Zufall sein? 

Natürlich stehen wir noch am Anfang und müssen die Beobachtungen verifizieren. Seit 2020 läuft eine Studie mit 120 Teilnehmerinnen, in der wir anhand von zwei Gruppen vergleichen, ob Kurzzeitfasten während der Chemotherapie effektiver ist als eine kurzzeitige pflanzenbasierte Ernährung mit Reduktion raffinierter Kohlenhydrate. Leider ist die Finanzierung großer Studien mit Tausenden Patient:innen sehr schwierig, weil mit dem Thema Fasten nicht viel Geld zu verdienen ist.

Bedeutet Fasten für Krebserkrankte während der Chemotherapie wirklich, komplett auf feste Nahrung zu verzichten?

Es gibt unterschiedliche Ansätze. In unserer Studie verzichteten die Brustkrebspatientinnen bei jedem Behandlungszyklus etwa 36 Stunden vor Beginn der Chemotherapie auf feste Nahrung, tranken nach einem vorausgegangenen Entlastungstag nur Gemüsesäfte oder abgekochten Hafer- und Leinsamensud. Obstsäfte eignen sich nicht, da der Zuckeranteil oft sehr hoch ist. Dieses Saft- und Sudfasten behielten die Teilnehmerinnen nach Ende der Behandlung noch circa 24 Stunden lang bei. Die Gesamtdauer umfasste also rund 60 Stunden.

In anderen Modellprojekten nehmen die Testpersonen teilweise auch feste Nahrung in kleinen Mengen wie Grünkohlchips, Oliven oder Nüsse zu sich. Die tägliche Energiemenge bewegt sich zwischen 150 und 500 Kilokalorien, wobei ein niedrigerer Nährwert mit besseren Effekten einherzugehen scheint. Ich kann aber Betroffenen nur dringend davon abraten, auf eigene Faust mit dem Fasten zu beginnen, egal in welcher Form. Was für diesen einen Menschen am besten ist, sollte unbedingt ärztlich besprochen und begleitet werden.

In den sogenannten Leitlinien, den anerkannten Empfehlungen zur Komplementärmedizin bei Krebs, kommt das Fasten nicht vor. Warum nicht? 

Zum einen, weil eben groß angelegte Studien und damit eine ausreichende Evidenz fehlen. Zum anderen, weil viele Zusammenhänge noch unklar sind, etwa, wann exakt der richtige Zeitpunkt für das Fasten im Therapieverlauf gekommen ist. Außerdem geht man im Bereich der medikamentösen Behandlung eher weg von toxisch wirkenden Chemotherapeutika, orientiert sich in Richtung immunstimulierender Medikamente wie Immuncheckpoint-Inhibitoren oder entwickelt Small-Molecules-Therapien, die Krebszellen zielgerichtet angreifen. Wie das Fasten damit interagiert, ist noch nicht untersucht worden.

Erst gehypt, dann verurteilt – das gab es schon bei der ketogenen Diät bei Krebs. Wird sich das hier wiederholen?

Davon gehe ich nicht aus. Bei der ketogenen Diät, die in der Umsetzung recht kompliziert ist, sollte dem Körper möglichst kein Zucker, aber viel Fett angeboten werden. Die Leber kann dann keine Glukose verbrennen und muss stattdessen Fette zerkleinern und in sogenannte Ketonkörper umwandeln. Der hohe Fettanteil ist aber gerade bei einer Krebstherapie, die ja häufig mit Übelkeit einhergeht, meines Erachtens kaum zu schaffen. Beim Fasten wiederum berichten mir Patient:innen, dass sie durch den kurzzeitigen Verzicht auf feste Nahrung keine mentale Verknüpfung von bestimmten Lebensmitteln mit Übelkeit aufbauen und so keinen Ekel dagegen entwickeln.

Ihre Prognose für die Zukunft?

Fasten ist sicher kein Allheilmittel gegen Krebs und kommt auch nicht für alle Betroffenen infrage. Es gibt auch durchaus Tumorarten, die mit dem Fasten gut zurechtkommen und sich anpassen, da kann man dann nichts ausrichten. Ich denke, weitere Grundlagenforschungen, etwa Zellanalysen einzelner Krebsarten, werden zeigen, welche Tumorzellen auf das Fasten ansprechen. Außerdem sollten wir für Menschen, deren Lebenssituation das Fasten nicht zulässt, weiter nach alternativen Ernährungsmethoden suchen, die Wachstumsfaktoren drosseln. Das könnte eine gezielte Reduktion von raffiniertem Zucker, Weißmehl und tierischen Fetten sein. Im Idealfall ließen sich durch solche Ernährungskonzepte viele Krebserkrankungen ganz vermeiden. Dazu braucht es noch viele Bemühungen – und finanzielle Unterstützung für große Studien, zum Beispiel von Sponsoren, die sich für das Thema interessieren.

Dr. Daniela Koppold, Fachärztin für Allgemeinmedizin, forscht am Immanuel-Krankenhaus Berlin in der Abteilung Naturheilkunde und an der Charité, unter anderem zu den Effekten des Fastens während der Krebstherapie.

Brigitte

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